Die Digitalisierung stellt für viele Unternehmen der Gesundheitswirtschaft immer noch eine große Herausforderung dar. Bisher ungenutzte Möglichkeiten wie die Digitalisierung der Patient Journey sind jedoch eine Chance, sich gegen Wettbewerber am Markt erfolgreich durchzusetzen und die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern. Wie genau die Patient Journey den Krankenhäusern und dem Gesundheitssystem helfen kann und wie es insgesamt um die Digitalisierung in der Gesundheitsbranche steht, verrät Axel Bindewalt, Head of Healthcare KPMG Deutschland.
Welche Lehren haben Sie bisher aus der Corona-Pandemie hinsichtlich der digitalen Infrastruktur des Gesundheitssektors ziehen können?
Die Krise hat die Schwachstellen in den Gesundheitssystemen deutlich offenbart. Im internationalen Vergleich sowie im innerdeutschen Branchenvergleich zeigt das deutsche Gesundheitswesen im Hinblick auf die Digitalisierung großen Nachholbedarf. Die Defizite haben multifaktorielle Gründe. Zusätzlich zu regulatorischen Fragen, Datenschutzhürden und dem lahmenden Breitbandausbau arbeitet oftmals eine Vielzahl an IT- Systemen parallel, aber nicht miteinander. Dies bedingt ein agilitätsfeindliches und benutzerunfreundliches Gesamtsetting der Einrichtungen.
Insbesondere hat sich gezeigt, wie wichtig schnelles, abgestimmtes Reagieren basierend auf sicheren Informationen ist. Die Anwendung von effektiven Informations- und Kommunikationstechnologien bietet die Chance, Qualitätsverbesserungen in der Patientenversorgung sowie eine Reduktion der gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsausgaben zu erreichen. Unternehmen der Gesundheitswirtschaft können darüber hinaus auch einen konkreten, wirtschaftlichen Nutzen aus dem Ausbau digitaler Infrastrukturen ziehen: Die Implementierung neuer Technologien kann im zunehmenden Wettbewerb dazu dienen, Marktanteile zu halten oder sogar zu gewinnen.
Wie bewerten die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft ihre eigenen Leistungen im Bereich Digitalisierung?
In dem von KPMG veröffentlichten „Future Readiness Index 2020“ gaben lediglich 46 Prozent der Befragten an, dass sie sich im Bezug auf ihr Innovationspotenzial gut aufgestellt sehen. Ähnlich sieht es bei der Anpassung an den technologischen Fortschritt und die Nutzung neuer Technologien aus: Hier sehen sich nur 42 Prozent gut und zukunftssicher aufgestellt. Wie bereits erwähnt, haben Versäumnisse in der Digitalisierung direkte, wirtschaftliche Auswirkungen auf Marktanteile und die Wettbewerbsfähigkeit. So stimmten zum Beispiel in der KPMG-Studie „Die Geschäftsführung spricht Klartext“ 14 Prozent der befragten Führungskräfte von Kliniken im Raum Baden-Württemberg und Bayern der Aussage zu, dass ihr Krankenhaus in der Digitalisierung bereits abgehängt ist.
Sehen Sie derzeit interessante neue Trends in der Digitalisierung des Gesundheitsmarktes?
Analog zu dem Stichwort Industrie 4.0 ist sicherlich Healthcare 4.0 zu nennen. Die Haupttreiber für eine neue Ära der Digitalisierung im Gesundheitswesen sind Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Blockchain und Predictive Analytics. Unternehmen der Pharma- und Medizintechnikindustrie setzten diese Technologien bereits ein. Leistungserbringer und Kostenträger des Gesundheitssektors be-finden sich jedoch größtenteils noch in der Implementierungsphase von Healthcare 3.0. Dazu zählen vor allem die Einführung elektronischer Gesundheitsakten und die Nutzung von Big Data für die Bereitstellung von patientenzentrierten Lösungen und umfassender Interaktion von Patientinnen und Patienten. Diese sollen im Mittelpunkt stehen und insgesamt lässt sich sagen, dass die Digitalisierung der gesamten Patientenreise – der sogenannten Patient Journey – immer relevanter und wichtiger wird. In diesem Kontext sind unter anderem auch die Begriffe E-Commerce, Medical Devices und personalisierte Gesundheit zu nennen.
Inwiefern tragen diese neuen Trends zur konkreten Verbesserung der Arbeitswelt im Gesundheitssektor bei?
Besonders die Neuerungen in der digitalen Infrastruktur helfen dabei, das klinische Personal in der täglichen Arbeit zu entlasten und die Prozesseffizienz zu stärken. Die Einführung von 5G beispielsweise erlaubt eine mobile Einbindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Einweiserinnen und Einweisern sowie Patientinnen und Patienten. Zudem führt 5G zu einer Öffnung neuer Kommunikationskanäle und Remotezugriffen. KI kann durch Prozessautomatisierung und Unterstützung bei der Diagnose und Befundung neue Möglichkeiten in der Präzisionsmedizin eröffnen. Ferner sollen Medical Devices zu einer Effizienzsteigerung medizinischer Anwendungen führen. Aber auch für Patientinnen und Patienten bringt die Digitalisierung einen echten Mehrwert: Intersektorale Patientenkommunikation, Datenaustausch, effizientere und schnellere Kommunikation in Verbindung mit einer höheren Transparenz der medizinischen Leistungserbringung ermöglichen eine verbesserte Patient Journey bei der Terminvereinbarung, dem Diagnostikprozess und der Therapieplanung. Dadurch wird die personalisierte Gesundheit in den Fokus gerückt
Ihr Konzept „Digital Nurse“ hat das Ziel, die Patientenversorgung reaktionsschnell und effizient zu machen. Wie wird dadurch die Patientenversorgung gestärkt und gibt es bereits Anwendungsbeispiele?
Mit dem Konzept „Digital Nurse“ kombiniert KPMG eine volldigitalisierte Patient Journey mit Technologien wie maschinellem Lernen, robotergesteuerter Prozessautomatisierung, Chatbots sowie umfassender Möglichkeiten der Datenanalyse. Die digitale Patient Journey betrifft alle Bereiche, die unter Verwendung digitaler Technologien den Kontakt mit Akteuren der Gesundheitswirtschaft effizienter gestaltet: Von der Aufnahme über Anamnese, Diagnostik, Therapieauswahl und Therapieplanung bis hin zur Entlassung. Durch die Bündelung von Patienteninformationen können ebenfalls vor- und nachsorgende Bereiche in diesem Konzept berücksichtigt und Behandlungsmöglichkeiten sektorübergreifend stationär, ambulant oder zuhause angeboten werden. Der Erfolg einer solchen integrierten, digitalen Lösung hat sich in Israel gezeigt. Das israelische Gesundheitswesen hat international eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung der Patient Journey. So konnte KPMG mit dem Konzept „Digital Nurse“ zum Beispiel verschiedene Krankenhäuser in Israel dabei unterstützen, eine stärkere Patientenzentrierung zu etablieren und die Gesundheitsversorgung leistungsfähiger zu machen.
Welche weiteren Lösungen bietet KPMG an, um Unternehmen der Gesundheitswirtschaft auf dem Weg zu einer digitalisierten Gesundheitsversorgung zu begleiten?
Da jede Kundschaft in der Gesundheitswirtschaft höchst individuelle und vielfältige Voraussetzungen und Anforderungen hat – gerade auch in der digitalen Dimension – bietet KPMG stets passgenaue und spezialisierte Lösungen an. Jedes Unternehmen muss bestmöglich auf die digitale Zukunft vorbereitet sein. Das Leistungsspektrum umfasst dabei, neben dem Fördermittelmanagement für den digitalen Infrastrukturausbau, die Entwicklung von Implementierungskonzepten innovativer Technologien sowie die Umsetzung ganzheitlicher Digitalisierungsstrategien.
Axel Bindewalt, Head of Healthcare Deutschland und Partner im Bereich Public Sector Consulting, ist seit 2011 bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig. Der studierte Diplom-Betriebswirt in Finance und Accounting berät schwerpunktmäßig Unternehmen der Gesundheitswirtschaft bei der Neuausrichtung von Kernprozessen, Nutzung von Digitalisierungspotenzialen, Prozess- und Strategieentwicklung sowie Organisationsanalyse und Großprojektsteuerung.
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