Gefäßchirurg:innen setzen sich vorwiegend mit den Erkrankungen, den operativen Behandlungen, der Nachsorge und Rehabilitationen des Gefäßsystems sowie mit Verletzungen und Fehlbildungen von Blutgefäßen auseinander.
Welche Aufgabengebiete, neben den klassischen Behandlungsmethoden, die Gefäßchirurgie wahrnimmt und welche spannenden und vielseitigen Arbeiten innerhalb der fachärztlichen Weiterbildung erlernt werden können, erzählt uns Dr. med. Markus Wortmann von dem Universitätsklinikum Heidelberg.
Herr Wortmann, was macht Ihrer Meinung nach den Reiz der Gefäßchirurgie aus?
Die Gefäßchirurgie bietet eine spannende Kombination aus klassischen operativen und neuen endovaskulären Verfahren. Gerade durch die rasante Entwicklung der endovaskulären Verfahren im letzten Jahrzehnt ist die Gefäßchirurgie ein sehr innovatives Fach mit vielen offenen Fragestellungen, die Anknüpfungspunkte für akademische und wissenschaftliche Fragestellungen bieten.
In Abgrenzung zu den anderen Fachdisziplinen, die Patient:innen mit gefäßmedizinischen Erkrankungen behandeln, vereint die Gefäßchirurgie als einziges Fach chirurgische, endovaskuläre und medikamentöse Behandlungsstrategien. Hier wird somit eine „Therapie aus einer Hand“ geboten. Dies wird in Zukunft umso wichtiger werden, da gefäßmedizinische Erkrankungen, bedingt durch die Überalterung der Bevölkerung in Kombination mit einer steigenden Inzidenz von Risikofaktoren, weiter zunehmen.
Im Alltag bietet die Gefäßchirurgie eine spannende und interessante Kombination aus elektiv planbaren und notfallmäßigen Eingriffen sowie ein breites Spektrum an zu behandelnden Erkrankungen.
Was ist neben fachlicher Expertise die wichtigste persönliche Eigenschaft, die Gefäßchirurg:innen mitbringen sollten?
Gerade in der Gefäßchirurgie spielt die Kommunikation mit den Patient:innen eine entscheidende Rolle. Durch eine gute und intensive Aufklärung lässt sich ein Fortschreiten vieler gefäßmedizinischer Erkrankungen deutlich verzögern oder aufhalten. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Nikotinabusus: Patient:innen, die direkt nach einer mehrstündigen Bypassoperation wieder Rauchen gehen wollen, sind leider kein Gerücht, sondern manchmal bittere Realität.
Wie sieht es mit dem Nachwuchsbedarf in Ihrem Fachbereich aus?
Die Inzidenz vieler Gefäßerkrankungen steigt im Zuge der steigenden durchschnittlichen Lebenserwartung. Aufgrund dieser Mehrbelastung hat die Gefäßchirurgie – wie auch die anderen (chirurgischen) Fächer – Nachwuchssorgen. In einer im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Auswertung gehörte die Gefäßchirurgie 2018 zu den drei Fächern mit der niedrigsten Bewerbungsanzahl auf eine ausgeschriebene Oberarztstelle. Wer sich heute also für eine Karriere als Gefäßchirurg:in entscheidet, braucht sich keine Gedanken über eine fehlende Zukunftsperspektive machen – im Gegenteil.
Wie können Nachwuchsmediziner:innen schon im Vorfeld erkennen, ob es sich bei der Klinik um die passende Weiterbildungsstelle handelt?
Ob das jeweilige Krankenhaus eine gute Weiterbildung bietet, lässt sich wohl am besten im Rahmen einer Hospitation oder durch ein Gespräch mit den bereits dort tätigen Weiterbildungsassistent:innen klären. Wichtige Fragen wären zum Beispiel, ob der/die Chefarzt/Chefärztin eine volle Weiterbildungsgenehmigung hat und ob es eine strukturierte Weiterbildung inklusive der notwendigen Rotationen in andere Fachgebiete und Abteilungen – oder sogar Kliniken gibt. Hier lohnt sich auch der Kontakt zu Assistenzärzt:innen, um abzuklären, ob die Rotationen auch wie geplant stattfinden.
Mir persönlich wäre es wichtig, dass die Fachklinik eigenständig ist, ein:e neue:r Assistenzarzt/-ärztin also auch direkt in der gewählten Disziplin anfängt und nicht in einem Pool aus Assistent:innen landet, der auch andere Fachrichtungen mit abdeckt. Letzteres ist manchmal der Fall, wenn die Gefäßchirurgie eine Abteilung/Sektion innerhalb einer chirurgischen Klinik ist. Das ist jedoch Geschmackssache – es kann auch spannend und vorteilhaft sein, anfangs eine breitete allgemeinchirurgische Ausbildung zu erhalten.
Zudem sollte die Klinik auch endovaskuläre Behandlungen selbst durchführen. Manchmal werden diese komplett oder in Kooperation mit anderen Abteilungen, wie der interventionellen Radiologie, durchgeführt. In diesem Falle sollte zumindest eine Rotation in diese Abteilung sichergestellt sein. Schließlich spielen endovaskuläre Behandlungsmethoden und Hybrideingriffe, also die Kombination aus offener Operation und interventionellem Eingriff in einer Sitzung, eine zentrale Rolle in der modernen Gefäßchirurgie.
Interessant kann auch das Dienstsystem der Klinik sein. Wie viele Dienste haben die Assistenzärzte im Monat? Handelt es sich dabei um rein gefäßchirurgische Tätigkeiten oder müssen auch andere chirurgische Disziplinen mit abgedeckt werden?
Wenn zusätzlich Interesse an einer wissenschaftlichen Karriere besteht, sollte man sich erkundigen, wie genau die Forschung im Arbeitsalltag abgebildet ist. Können Freistellungen für Forschungsprojekte erfolgen? Gibt es feste Arbeitsgruppen oder ein Grundlagenlabor? Wie viele Mitarbeiter:innen haben bereits habilitiert oder habilitieren gerade? Durch die Recherche auf einer gängigen Plattform lassen sich im Vorfeld die Publikationsleistung der Klinik und deren wissenschaftliche Schwerpunkte in Erfahrung bringen.
In welchen Bereichen gibt es derzeit die größten medizinischen Fortschritte?
Gerade die endovaskulären Techniken haben die Gefäßchirurgie im letzten Jahrzehnt revolutioniert. Diese Entwicklung setzt sich in rasantem Tempo fort. Nur zur Verdeutlichung: Bis Langzeitdaten zu einer endovaskulären Prothese vorliegen, ist meist schon die verbesserte Nachfolgegeneration auf dem Markt. Klinische Forschung mit dem Ziel der Entwicklung neuer Devices und die Überprüfung deren Funktionalität im klinischen Alltag spielen somit eine große Rolle.
Darüber hinaus gibt es auch viele Themen aus dem Bereich der Grundlagenforschung, die interessante Forschungsfragen bieten. Alleine die Pathophysiologie der Entstehung eines Aortenaneurysmas ist bis heute leider weitestgehend unklar. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Entwicklung neuer, konservativer medikamentöser Therapieansätze für gefäßmedizinische Erkrankungen.
Künstliche Intelligenz spielt vor allem im Rahmen komplexere endovaskulärer Eingriffe eine Rolle. Bereits heute kann die Strahlenbelastung für den Patienten und die behandelnden Chirurgen durch den Einsatz von Softwarelösungen deutlich reduziert werden.
Wer sich also wissenschaftlich engagieren will, findet in der Gefäßchirurgie ein breites Forschungsfeld.
Wie sieht es in der Gefäßchirurgie mit Teilzeit und Work-Life-Balance aus?
Gerade in den chirurgischen Fächern hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren viel getan. Die Zeit, in der chirurgisches Arbeiten gleichbedeutend mit dem Leben in der Klinik war, ist vorbei. Das liegt auf der einen Seite an den verschärften Arbeitszeitgesetzen. Auf der anderen Seite haben viele Kliniken erkannt, dass gute Arbeitsbedingungen ein wichtiger Faktor im Wettkampf um Nachwuchs sind und versuchen die Arbeitsbedingungen kontinuierlich zu verbessern.
Elternzeit ist heutzutage in der Gefäßchirurgie keine Besonderheit mehr, und auch Teilzeitmodelle setzten sich langsam durch. Allerdings ist das im Vergleich zu nicht-operativen Fächern deutlich schwerer umzusetzen – Chirurgie ist und bleibt kein Nine-to-Five-Beruf. Dies gilt auch für die Gefäßchirurgie, wo es einen hohen Anteil an Notfalleingriffen und nicht planbaren, komplexen Operationen gibt.
Besteht in der Gefäßchirurgie auch die Möglichkeit, selbstständig in einer Praxis zu arbeiten?
Das ist eine interessante Frage. Das klassische Tätigkeitsgebiet der Gefäßchirurg:innen ist weiterhin in der Klinik. Gerade größere (aortale) Operationen sind nur im stationären Bereich umzusetzen. Niedergelassene Gefäßchirurg:innen führen meist neben ihrer Sprechstunde ambulante oder stationäre Operationen im Sinne eines Belegarztkonzeptes durch. Im Normalfall sind das venöse Operationen, oder die Anlage von Shunts bei Dialysepatient:innen. Durch Belegarztbetten oder Kooperationen mit gefäßchirurgischen Kliniken sind jedoch auch andere gefäßchirurgische Eingriffe möglich, etwa bei Verengungen der Halsschlagader oder peripheren arteriellen Verschlusskrankheiten. Teilweise haben sich große Gemeinschaftspraxen gebildet, die ein entsprechend großes operatives Spektrum abdecken.
Wie sieht die Situation in den Kliniken derzeit bezüglich Personalbedarf und Arbeitsbelastung aus?
Eine pauschale Aussage zur Arbeitsbelastung lässt sich nur schwer treffen. Viele gefäßchirurgische Kliniken haben Nachwuchssorgen und somit Schwierigkeiten freie Stellen zu besetzen. Das birgt die Gefahr eines Teufelskreises, da hieraus zwangsläufig eine erhöhte Arbeitsbelastung für die anderen Mitarbeiter:innen entsteht.
An dieser Stelle sei noch einmal auf die Möglichkeit zur Hospitation im Rahmen der Stellenbewerbung hingewiesen. Es gibt keine bessere Möglichkeit, einen Einblick in eine Abteilung zu erhalten. Erfahrungsgemäß geben andere Assistenzärzte gerne Auskunft über die tatsächliche Arbeits- und Dienstbelastung. Die meisten Kliniken bieten Hospitationen nicht nur für Bewerber:innen, sondern auch für Studierende an. Nutzen Sie die Möglichkeit, das Fach kennenzulernen und erste Kontakte zur knüpfen.
Kann man sich innerhalb des Fachbereichs weiter spezialisieren?
Die zunehmende Bedeutung der endovaskulären Therapie spiegelt sich auch in der Vielzahl der Spezialisierungen wieder. Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) bietet die Möglichkeit einer zertifizierten Weiterbildung zum endovaskulären Chirurgen und Spezialisten an. Zusätzlich gibt es auch weitere Möglichkeiten, sich weiter zu spezialisieren, zum Beispiel als Phlebolog:in oder Wundspezialist:in.
Welche Themen werden in Ihrem Fachgebiet momentan besonders viel diskutiert?
Ein Punkt ist mit Sicherheit der steigende ökonomische Druck. Die Diskussion um Kosten ist ja ein Dauerbrenner im deutschen Gesundheitssystem, und gerade in der Gefäßchirurgie spielt der finanzielle Aspekt eine große Rolle, weil für die meisten Krankheitsbilder sowohl offen chirurgische als auch minimalinvasive endovaskuläre Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen. Beide Verfahren bieten Vor- und Nachteile, so dass für jede:n Patient:in das passende Verfahren ausgewählt werden muss. Dabei sind jedoch die Kosten bei den endovaskulären Techniken meist deutlich höher. Alleine die Kosten einer endovaskulären Prothese zur Behandlung einer komplexen Aortenerkrankung können mehrere zehntausend Euro betragen. Hierbei gilt es auch in Zukunft sicherzustellen, dass die Verfahrenswahl weiterhin anhand medizinischer Gesichtspunkte erfolgt und nicht durch die Kostenfrage entschieden wird.
Ein weiteres vieldiskutiertes Thema ist die Behandlung von älteren und komorbiden Patient:innen. Da mit dem Alter das Risiko für viele gefäßmedizinische Krankheiten steigt, ist die Gefäßchirurgie vom demografischen Wandel besonders stark betroffen.
Was sind die gängigen Vorurteile (im Sinne falscher Erwartungen) gegenüber Ihrem Fachgebiet, die Sie gerne einmal korrigieren würden?
Gefäßchirurgie ist keine Amputationschirurgie, auch wenn eine Amputation im Rahmen schwerer Durchblutungsstörungen manchmal unabwendbar ist. Kernaufgabe der Gefäßchirurgie ist jedoch Extremitätenerhalt. Dazu werden sämtliche zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden (offene Chirurgie, endovaskuläre Behandlungsmethoden und medikamentöse Therapie) ergänzend eingesetzt. Somit kann oftmals eine zuvor amputationsgefährdete Extremität gerettet werden.
Welche Nachwuchsförderprogramme bietet die DGG an?
Die Nachwuchsförderung beginnt bereits im Rahmen des Studiums. Studierende erhalten im Rahmen der MAGIC-Kampagne Stipendien zum Besuch der Jahrestagung der DGG. Für Student:innen wurde ein Programm gestaltet, dass dazu dient, verschiedene Teilbereiche und Tätigkeitsgebiete innerhalb der Gefäßchirurgie kennenzulernen. In verschiedenen Workshops werden zudem gefäßchirurgische Nahttechniken oder endovaskuläre Grundlagen vermittelt.
Angehende Gefäßchirurg:innen haben zudem die Möglichkeit, sich bei der Exzellenz-Akademie der DGG zu bewerben. Neben unterschiedlichen Fortbildungsangeboten gibt es hier ein Mentoring-Programm, für das viele Ordinarien und Chefärzt:innen als Mentor:innen zu Verfügung stehen.
Zudem bietet die DGG verschiedene Stipendien, unter anderem auch Reise- und Forschungsstipendien, die im Rahmen der Jahrestagung vergeben werden.
Dr. med. Markus Wortmann ist Facharzt für Gefäßchirurgie in der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg. Seit 2019 ist er Vorsitzender des Jungen Forums der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt sowohl in der Grundlagenforschung (Pathophysiologie der Entstehung von Aortenaneurysmen) als auch auf der Durchführung klinischer Studien.
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