Der Gastroenterologe Professor Dr. med. Alexander Hann beschäftigt sich mit der digitalen Gegenwart und Zukunft insbesondere in seiner Fachdisziplin. Ein Gespräch über die Vorteile des E-Learning, Nutzen und Grenzen der KI und warum die Endoskopierenden nicht durch Computer ersetzt werden.
Sie sind stellvertretender Schwerpunktleiter der Gastroenterologie und Professor für Digitale Transformation am Uniklinikum Würzburg und befassen sich in diesem Kontext mit der Lehre und Weiterbildung mittels Virtual Reality und Data Science. Erzählen Sie uns doch bitte etwas von Ihnen und Ihrem Berufsweg.
Schon als Jugendlicher habe ich mich während der Schulzeit für Computer und Programmieren interessiert. Meine ersten Computerspiele in der Programmiersprache Basic habe ich durch Herumexperimentieren umgeschrieben und so Schritt für Schritt das Programmieren gelernt. Durch die Erstellung von dynamischen Homepages nahm dieses Hobby, welches ich zwischenzeitig im Team mit zwei Schulkameraden ausübte, immer mehr Zeit in Anspruch. Nach der Schulzeit wollte ich etwas Neues ausprobieren und habe Medizin studiert. Dabei habe ich mich zuerst auf die Grundlagenforschung konzentriert und meine Doktorarbeit in der Immunologie gemacht. Mein Ziel war es so viele biochemische und molekularbiologische Methoden wie nur möglich zu erlernen. Nach dem Studium, in der Klinik angekommen, versuchte ich das erworbene Wissen durch translationale Forschung anzuwenden und somit der Patientenversorgung und damit unserem eigentlichen Auftrag als Arzt oder Ärztin näher zu sein. Hier stellte ich fest, dass in der Medizin, einem traditionellen Fachgebiet, viel Bedarf für digitale Lösungen besteht. Diese können bereits durch wenig Aufwand den Arbeitsalltag verbessern und die Weiterbildung fördern. Somit hat sich das Zurückbesinnen, auf die Interessen aus meiner Schulzeit, als der erfolgreichste Weg in meiner Karriere erwiesen.
Können Sie mir Beispiele nennen, wo die Digitalisierung der Kliniken heute schon fortgeschritten ist?
In meiner Laufbahn, bei der ich in vier Klinika, davon drei Uniklinika arbeiten durfte, habe ich die Entwicklung von verschiedenen Digitalisierungsoffensiven erlebt. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist die Erstellung des Arztbriefes anhand eines Diktats. Initial wurden die Arztbriefe auf Kassette diktiert. Morgens um Punkt sieben Uhr wurde die Kassette im Arztzimmer abgeholt und ins Sekretariat gebracht, wo die Arztbriefe geschrieben wurden. Später kam die Digitalisierung. Diese sah vor, dass die Arztbriefe mittels Audiodatei per E-Mail intern an das Sekretariat geschickt wurden.
Nicht sehr innovativ.
Nein, keinesfalls. Doch dann kamen die wirklich nützlichen digitalen Lösungen. Eine KI verstand beim Diktieren jedes gesprochene Wort und erstellte somit den Arztbrief. Hinzu kamen die digitale Version der Patientenakte und die Fieberkurve. Heute tauschen wir an der Uniklinik Würzburg medizinische Dokumente mit Kollegen und Kolleginnen über unser Kommunikationsportal aus. Auf meinem Smartphone kann ich nicht nur alle Laborwerte meiner Patienten und Patientinnen einsehen, sondern auch ihre Röntgenbilder und die Bilder der endoskopischen Untersuchungen. All diese Umstellungen haben jedoch auch ihren Preis. Viele Mitarbeitende haben berechtige Bedenken gegen diesen Wandel. Ich kann es gut verstehen. Denn am Anfang laufen solche neuen Prozesse nie reibungslos. Da hilft es nie das Ziel aus den Augen zu verlieren: Weg vom Faxgerät.
Um den Bedenken gegen den Wandel zu begegnen, müsste es sinnvoll sein, den konkreten Nutzen der Digitalisierung frühzeitig zu transportieren – etwa in der Weiterbildung.
Digitale Kursmanagementsysteme und Lernplattformen sind im Medizinstudium weit verbreitet. Sie sind sehr nützlich, jedoch benötigt man viel Zeit, um gute Inhalte zu erstellen. Diese Inhalte können dann durch spezielle Lizenzen in Form von Open Educational Resources weiterverbreitet und modifiziert werden. Solche Initiativen müssen unterstützt werden, denn gute Lehre braucht gute Quellen für Lehrmaterialien. E-Learning erlaubt es interaktiv das Wissen im eigenen gewählten Tempo sich anzueignen. Hier sind im Internet bereits viele gute Kurse für verschiedene Fachdisziplinen vorhanden.
Die Erstellung eines solchen Kurses mit Bilden, Videos, interaktiven Elementen, Quizrunden und anderen Wissensabfragen erfordert jedoch viel Zeit, die Dozenten und Dozentinnen häufig nicht haben.
Richtig. Dank einer Unterstützung durch das BMBF konnten wir in einem Team mit Expertise aus der Medizin, Pflegewissenschaft, Pädagogik und Medieninformatik einen Virtual Reality Simulator für die Weiterbildung in der Endoskopie erstellen. Als Zielgruppe des virtuellen Gastrotutors ViGaTu dienen dabei Pflegekräfte, Ärzte und Ärztinnen gleichermaßen. Trotz der Entwicklungszeit von über drei Jahren erlaubt das so erstelle Tool die Einbindung von OER-Materialien wie 3D Grafiken. Dieses wird auch veröffentlicht und zudem in andere Sprachen übersetzt, um auch Mitarbeitende anzusprechen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben. In zukünftigen Versionen kann über den Einsatz von KI nachgedacht werden, um so noch individueller auf die Bedürfnisse der Auszubildenden eingehen zu können.
Wie groß ist Ihrer Meinung nach der potenzielle Nutzwert von KI in der Medizin?
Das medizinische Wissen nimmt immer mehr zu. Uns allen fällt es schwer, mit diesem Tempo mitzuhalten. Dieser Trend führt dazu, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen immer spezialisierter in ihrem Fachgebiet werden. KI hat gezeigt, dass sie eine ähnliche gute Leistung in verschiedenen Fachgebieten leisten kann. Potenziell könnte es sich somit in der Zukunft als zuverlässige Wissensquelle erweisen. Meine größte Hoffnung besteht jedoch darin, dass KI mir ein paar der Mausklicks und Texteingaben, die den Tagesablauf durch ihre Masse deutlich beeinträchtigen, abnehmen kann. Diese Mausklicks als sinnvolle KI-Aufgabe sehe ich noch vor der Interpretation von komplexen medizinischen Sachverhalten, über die häufig berichtet wird. Im Nächsten Schritt steht das Erfassen der wesentlichen medizinischen Sachverhalte einer Patientin oder eines Patienten. Durch die zunehmende Digitalisierung nimmt die Masse an Dokumenten in der elektronischen Patientenakte immer mehr zu. Hier sind dringend Lösungen gefragt, welche intelligent die medizinischen Daten übersichtlich auf Anfrage auswerten.
Wie offen sind Krankenhäuser für das Thema KI?
Die Gastroenterologie hat im Bereich des Einsatzes von KI in der Patientenversorgung derzeit eine Vorreiterrolle. In unserem Fachbereich werden viele randomisierte, klinische Studien zum Einsatz von KI durchgeführt, weil jeder große Endoskop-Hersteller eine eigene KI auf dem Markt gebracht hat. Diese werden wiederum in akademischen Zentren in Studien getestet und unter anderem in vielen gastroenterologischen Schwerpunktpraxen in der Patientenversorgung eingesetzt. Die ersten Systeme haben dabei geholfen, Darmkrebsvorstufen bei der Vorsorgedickdarmspiegelung zu finden. Neuere Systeme helfen auch bei der Unterscheidung zwischen adenomatösen Krebsvorstufen und hyperplastischen Polypen, aus denen nie Krebs entstehen wird. Nach einer eigenen Analyse mittels Eye Tracking Methoden konnten wir jedoch Hinweise finden, dass diese Assistenzsysteme auch die Untersuchenden nachlässiger werden lassen können. Solche neuen Technologien sollten daher bei der Einführung in die klinische Routine immer durch Studien begleitet werden.
Aber die Endoskopie wird in naher Zukunft nicht vom Computer übernommen?
Insgesamt sehe ich keine Gefahr, dass die Endoskopierenden bald durch Computer ersetzt werden. Die Endoskopie ist durch die Geräte ein manuelles Fach und es gibt derzeit keine vielversprechende Maschine, die das Endoskop gut durch den Darm führen könnte. Neben der Navigation müsste die Maschine auch gleichzeitig die Therapie der Krebsvorstufen übernehmen. Eine wesentliche Hilfe würde jedoch die KI bei zwei exemplarischen Problemen darstellen. Zum einen ist es das ungelöste Problem der Größenbestimmung von Polypen. Ärztinnen und Ärzte sind bei der Einschätzung von Größe in Millimetern meist nicht gut. Hier haben wir eine KI entwickelt, die anhand von Referenzwerten im Bild, diese Aufgabe besser als der Mensch erledigt. Des Weiteren haben wir eine KI entwickelt, die während man endoskopiert, Teile des Berichtes verfasst. Hiervon erhoffen wir uns, dass den Untersuchenden mehr Zeit bleibt, sich um den Patienten oder die Patientin zu kümmern, als diese vor dem Computerbildschirm zu verbringen.
Und der Mensch kontrolliert immer die Ergebnisse der KI?
Bei der überwiegenden Anzahl an kommerziell verfügbaren KIs ist die menschliche Kontrolle unerlässlich. Auch wenn KI in vielen Bereichen eine ähnlich gute oder etwas bessere Leistung als die durchschnittliche Arbeitskraft hat, zeigt diese Leistung Grenzen. Ein Beispiel ist eine kommerziell erhältliche KI, welche gutartiges Gewebe wie hyperplastischer Schleimhaut von adenomatösen Krebsvorstufen unterscheiden kann. Die Leistung erfolgt sehr zu verlässlich, solange es sich um einen Polypen vor der Resektion handelt. Wenn die gleiche KI auf die frische Wunde angewendet wird, nach der Resektion des Polypen, kann sie in manchen Fällen die harmlosen Wundräder als Adenom fehlklassifizieren. Unreflektierte Übernahme solcher Interpretationen könnten zur Übertherapie führen. Der Schlüssel ist, sich bewusst zu machen, dass die KI ausschließlich mit Bildern von unbehandelten Polypen trainiert wurde und somit nicht auf anderes Bildmaterial angewendet werden sollte. Generell sollte der Einsatz einer KI immer kritisch hinterfragt werden. So konnten zwei Studien zeigen, dass nach der Einführung einer KI, welche die Rate an gefundenen Adenomen steigern sollte, in Realität die Rate abfallen ließ. Es besteht also noch viel Forschungsbedarf in diesem Gebiet, um all diese Phänomene besser verstehen zu können.
Wie wichtig ist die Akzeptanz und Förderung von KI durch erfahrene Ärzte und Ärztinnen?
Wenn man meine bisherigen Ausführungen weiterführt, sollte KI vorerst nur durch erfahrene Ärztinnen und Ärzte eingesetzt werden, bis wir durch Studien verstehen, was für Auswirkungen der Einsatz hat. Die Annahme ist, dass dieser Personenkreis robuster gegenüber Situationen, bei denen die KI falsche Entscheidungen trifft, ist. Jedoch besteht selbstverständlich auch ein großer Bedarf an Lehre und Assistenz durch die KI für die jüngeren Ärzte und Ärztinnen. Hier werden die zukünftigen weiterentwickelten KIs eine große Rolle spielen.
Welche Empfehlungen haben Sie für den Medizinernachwuchs, sich dem Thema KI zu nähern?
Das KI-Feld entwickelt sich rasant. In meinen Augen sollte mindestens ein kostenfreier Account bei Open AI angelegt werden, um mit ChatGPT zu experimentieren. Gewisse Einstellungen können und sollten jedoch vorgenommen werden, um die Privatsphäre bei dieser proprietären Software zu bewahren. Im Anschluss kann man versuchen alltägliche Aufgaben, aber auch fachspezifische, anonymisierte Aufgaben durch die KI lösen zu lassen. Halten Sie ebenfalls die Augen offen für Open Source KI-Lösungen, die vielleicht mehr Privatsphäre und Datenschutz ermöglichen werden.
Prof. Dr. med. Alexander Hann ist stellvertretender Schwerpunktleiter Gastroenterologie an der Uniklinik Würzburg. Der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie ist Professur für Digitale Transformation in der Gastroenterologie und Spezialist für die Lehre und Weiterbildung mittels Virtual Reality sowie Data Science.
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