Trotz großer medizinischer Fortschritte in den letzten Jahrzehnten sind immer noch unzählige Menschen von schweren Krebserkrankungen betroffen. Die Hämatologie und Onkologie beschäftigen sich mit Diagnose und Behandlung dieser Krankheitsbilder. Was die Weiterbildung in diesem Fachbereich ausmacht und welche Fähigkeiten und Interessen man dafür mitbringen sollte, beantwortet Dr. Erik Engel vom Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e.V. (BNHO).
Herr Engel, warum ist die Hämatologie und Onkologie der spannendste von allen Fachbereichen?
Die Hämatologie und Onkologie ist ein hoch innovatives Fach, in dem uns durch die eindrucksvolle Entwicklung in der Molekularbiologie zunehmend Arzneimittel und Immuntherapeutika zur Verfügung stehen, um die ehemals gefürchtete Krebserkrankung zu einer Art chronischer Erkrankung werden zu lassen, die zusehends gut behandelbar wird. Für den/die Ärzt:in bedeutet eine Tätigkeit in der Hämatologie und Onkologie zum einem, sehr dicht an diesen spannenden medizinischen Entwicklungen zu sein und zum anderen, eine Medizin praktizieren zu können, die ihm/ihr durch die häufig langfristige partnerschaftliche Betreuung des/der Patient:in und seiner/ihrer Angehörigen die Auseinandersetzung mit elementaren Grundfragen des Menschseins ermöglicht. Eine Besonderheit des Fachgebiets ist auch die Verbindung von Patientenversorgung und Beteiligung an klinischer Forschung über die nationalen Studiengruppen, an denen Ärzt:innen aller Versorgungsebenen (Universitätsklinikum, Krankenhaus, Praxis) beteiligt sind.
Die hohe Attraktivität des Faches wird auch so wahrgenommen, denn der Anteil von Fachärzt:innen für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie an der Ärzteschaft wächst seit Jahren überdurchschnittlich.
Gibt es Soft Skills, die man in diesem Fachbereich unbedingt mitbringen sollte?
Es bedarf in der Hämatologie und Onkologie eines besonderen Einfühlungsvermögens in die spezielle Situation des/der Patient:in und auch die menschliche und fachliche Führung von Patient:in und Angehörigen durch eine oftmals lange Zeit mit Krankheit. Dafür ist eine hohe kommunikative Kompetenz erforderlich und die Freude an und die Fähigkeit zur Teamarbeit. Denn heutzutage ist eine komplexe onkologische Therapie in der Regel eine Gemeinschaftsleistung mehrerer Berufsgruppen, die vom/von der Onkolog:in als Team organisiert und geleitet werden muss.
Wird der Bedarf an Onkolog:innen und Hämatolog:innen zunehmen?
Auf jeden Fall! Die immer besser werdenden Behandlungsmöglichkeiten von hämatologischen und onkologischen Krankheiten führen dazu, dass diese im Sinne von chronischen Erkrankungen verlaufen und daher immer mehr Patient:innen immer länger behandelt werden können. Oftmals sterben sie inzwischen mit der Krebserkrankung, aber nicht an ihr. Daher nimmt der Bedarf an Onkologen einerseits durch zunehmende Behandlungsmöglichkeiten zu, andererseits aufgrund der demografischen Entwicklung: Ein wachsender Anteil an älteren Menschen sieht sich einer abnehmenden Zahl an jüngeren Ärzt:innen gegenüber, die für die Versorgung der Patient:innen zur Verfügung stehen.
Wie kann ein:e Nachwuchsmediziner:in erkennen, dass sich die Weiterbildungsstelle für ihn/sie eignet?
Der Weg zum Facharzt sollte strukturiert und so klar wie möglich geregelt sein und im Sinne einer schriftlichen Weiterbildungsvereinbarung festgelegt werden. Im Vorstellungsgespräch sollte erkennbar werden, welchen Stellenwert die Weiterbildung für die jeweilige Einrichtung hat. Und die Vielfalt des Fachgebiets sollte sich in den Behandlungsschwerpunkten einer Einrichtung wiederfinden. Dabei kann die Weiterbildung zum/zur Hämatolog:in und Onkolog:in auch in hämatologisch-onkologischen Schwerpunktpraxen stattfinden. Es ist klug, sowohl im Krankenhaus als auch in der Schwerpunktpraxis Teile der Weiterbildung zu absolvieren, weil bestimmte Krankheitsbilder oftmals nur in einer der beiden Einrichtungen angetroffen werden.
Welche medizinischen Fortschritte konnte Ihr Fachbereich in jüngster Zeit verzeichnen?
Die Hämatologie und Onkologie gehört zu denjenigen Gebieten, in denen durch molekularbiologische Methoden ein enormer Wissenszuwachs stattfindet und gleichzeitig auf molekulare Veränderungen hin spezialisierte Arzneimittel synthetisiert werden können. Das heißt, dass Krebserkrankungen zukünftig sehr gezielt auf den jeweils vorliegenden genetischen Defekt der Tumorzelle hin ausgerichtet werden können (personalisierte Medizin). Hier liegen auch enorme Chancen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die dabei helfen kann, aus der Komplexität genetischer Tumorveränderungen eine spezielle und individuelle Therapie auszuwählen. Andere Entwicklungen gehen dahin, dass es nunmehr durch sogenannte Immuncheckpoint-Inhibitoren gelingt, den Immunblock, den Tumorzellen sonst selbstschützend aufbauen können, zu durchbrechen und dem körpereigenen Immunsystem so zu ermöglichen, selbst aktiv gegen die Tumorerkrankung vorzugehen.
Ist in der Onkologie eine ausgewogene Work-Life-Balance möglich?
Die sogenannte Work-Life-Balance spielt auch in der Onkologie deshalb eine besondere Rolle, weil die erfolgreiche anspruchsvolle Tätigkeit des/der Onkolog:in voraussetzt, dass er/sie selbst gesund bleibt. Das heißt, dass in der Onkologie auch Mechanismen und Techniken frühzeitig erlernt werden sollten, mit den speziellen Belastungen dieses Bereiches umgehen zu können. Umfragen belegen zum einen, dass diese Aspekte besondere Obacht verdienen, andererseits aber auch, dass Onkolog:innen diese nicht als nachteilige Belastung erleben: Häufig empfinden sie die Dankbarkeit von Patient:innen und die Möglichkeit, diese über einen langen Zeitraum partnerschaftlich zu betreuen, als positiv. Teilzeitmodelle sind in der Onkologie möglich, weil die allermeisten onkologischen Therapieverfahren ambulant durchführbar und daher gut planbar sind. Im Bereich der stationären Versorgung können, wegen der Notwendigkeit von Schicht- und Wochenenddienstarbeit, zu der fachlich anspruchsvollen Tätigkeit noch zusätzliche arbeitszeitliche Belastungen hinzukommen.
Ist die Onkologie ein klassisches Klinikfach oder besteht auch die Möglichkeit, sich etwa in einer Praxis selbstständig zu machen.
Die Möglichkeiten sind prinzipiell gut, weil inhabergeführte Onkologische Schwerpunktpraxen in Deutschland seit Jahrzehnten etabliert sind und die Altersstruktur dergestalt ist, das kurz-und mittelfristig Nachfolger:innen für diese Praxen benötigt werden. Durch einen Einstieg in etablierte Praxen sind dabei die finanziellen Risiken eher als gering einzustufen. Fachärzt:innen erkennen dabei gerade die Chance, in einer arztgeführten Institution die eigenen Vorstellungen der Behandlung von Patient:innen umsetzen zu können und so eigene Ziele und Werte des Arztberufs zu verwirklichen. Hürden bestehen gelegentlich dahingehend, dass die letztlich unternehmerische Tätigkeit in einer Praxis auch noch betriebswirtschaftliche Kenntnisse und weitere strukturelle Fähigkeiten, zum Bespiel der Mitarbeiterführung, erfordern, die man sich aber durchaus aneignen kann.
Kann man sich nach der Weiterbildung noch weiter spezialisieren?
Die Hämatologie und Onkologie ist ein extrem breites Fachgebiet, in dem viele Arbeits- und Forschungsschwerpunkte möglich sind. Das reicht von der allogenen Stammzelltransplantation über Hochdosis-Chemotherapie bis zur CAR-T-Zelltherapie, wenn es um die Spezialisierung auf bestimmte Behandlungsverfahren geht. Des Weiteren ist auch Schwerpunktbildung bezüglich bestimmter Tumorentitäten möglich oder auch eine Konzentration auf nicht solide Tumore im Bereich der Hämatologie. Daneben gibt es die große Gruppe der benignen hämatologischen und immunologischen Erkrankungen, die ebenfalls zu unserem Fachgebiet gehören. Viele Ärzt:innen haben auch die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin erworben und engagieren sich besonders auf diesem Gebiet. Im Bereich der Schwerpunktpraxen liegt das Augenmerk noch etwas stärker auf der patientenzentrierten Versorgung im Sinne einer führenden Begleitung der Patienten während des gesamten Krankheitsweges. Insgesamt ist das Fachgebiet so vielfältig, dass jede:r junge Kolleg:in einem für seine/ihre Bedürfnisse passenden Bereich der hochmodernen Medizin finden sollte, in dem er/sie sinnstiftend tätig sein kann.
Welche Themen sind in der Onkologie besonders aktuell?
Das sind zurzeit die immunologischen Therapieverfahren, die es den körpereigenen Immunsystem ermöglichen, direkt gegen die Tumorerkrankung vorzugehen und der weiteren zielgerichteten Therapien, die oftmals als Tablette eingenommen werden können und gegen die molekulare Ursache der Tumorerkrankung wirksam werden können. Zum anderen Verfahren, bei denen molekularbiologisch aktivierte T-Zellen in den/die Patient:in infundiert werden, um Sinne einer hochspezifischen Immuntherapie Krankheitserfolge zu erzielen.
Was sind die gängigsten falschen Vorstellungen, die man Ihrem Fachbereich entgegenbringt?
Die Mitte bis Ende des letzten Jahrhunderts eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten von Krebserkrankungen führten dazu, dass mit ihnen Schmerzen, Siechtum und Sterben assoziiert wurden. Unzureichend zur Verfügung stehende Begleitmedikation, zum Beispiel zur Chemotherapie, führten dazu, dass auch heute noch das Vorurteil besteht, es handele sich um eine Behandlung, welche die Lebensqualität verringert und oft wirkungslos ist. Das ist heute nicht mehr der Fall. Trotz der Ernsthaftigkeit einer Tumorerkrankung, die natürlich weiterhin besteht, sind die modernen Behandlungsverfahren in der Regel gut verträglich, Übelkeit oder gar Erbrechen finden kaum mehr statt. Es gelingt oftmals durch einfache Einnahme von Tabletten, Krankheiten über sehr lange Zeit zu stabilisieren und auf diese Weise die Lebensqualität zu verbessern und zu erhalten. Auch der Teil von Krebserkrankungen, die wir zur Ausheilung bringen, nimmt stetig zu.
Welche Unterstützung kann Medizinernachwuchs, der sich für Hämatologie und Onkologie interessiert, bekommen?
In unserer Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO) hat eine eigene Arbeitsgruppe „Junge DGHO“ (www.dgho.de), die sich um die Vertretung der Interessen von hämatologisch-onkologisch tätigen Ärzt:innen in der Weiterbildung und auch danach kümmert. Zusätzlich hat die DGHO zur Förderung des ärztlichen und wissenschaftlichen Nachwuchses die DGHO Juniorakademie gegründet, im Rahmen derer jährlich im Winter eine dreitägige Veranstaltung für junge Ärzt:innen sowie interessierte Studierende stattfindet und in der man sich umfänglich über die Möglichkeiten der Nachwuchsförderung, aber auch der späteren ärztlichen Tätigkeit in sehr engem Kontakt mit den Referent:innen – manchmal auch am Lagerfeuer – informieren kann. Hier sind sowohl Vertreter:innen der Universitätskliniken, der nicht universitären Krankenhäuser und der onkologischen Schwerpunktpraxen dabei.
Dr. Erik Engel ist Facharzt für Hämatologie und internistische Onkologie mit der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin. Seit 2002 arbeitet er als niedergelassener Arzt in der Hämatologisch-Onkologischen Praxis Altona in Hamburg. Darüber hinaus ist er Vorstandsmitglied sowie Schatzmeister des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e.V. (BNHO) und Vorsitzender des BNHO-Regionalverbandes Hamburg e.V..
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