Ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zu gründen, ist für Krankenhäuser ein logischer Schritt, um ihr medizinisches Angebotsspektrum nachhaltig zu erweitern. Die Strategieberater und MVZ-Spezialisten Felix Klappauf und Anne Claßen sind der Überzeugung, dass Ärzte und Ärztinnen die bei der Arbeitgeberwahl oft noch unterschätzten MVZ besonders ins Kalkül ziehen sollten.
Wie viele Krankenhäuser braucht Deutschland für eine bedarfsgerechte Versorgung wirklich? Kann ein Großteil der medizinischen Leistungen nicht auch ambulant erbracht werden? Nicht nur die Gesundheitspolitik und die Kostenträger, sondern auch eine neue Generation von Mediziner und Medizinerinnen stellen die historischen Strukturen des Gesundheitssystems auf die Probe: Warum sollte ich als Arzt das Risiko der Selbständigkeit auf mich nehmen oder mich den Hierarchien im Krankenhaus unterordnen, wenn mir ein MVZ ein attraktives Anstellungsangebot bietet? Berechtige Fragen, die mehr und mehr dazu führen, dass Krankenhäuser und klassische (Einzel-)Praxen ihr Fundament verlieren. Ein neuer Sektor, geprägt durch große ambulante Versorgungsstrukturen, bildet sich – das Krankenhaus-MVZ als Ventil im Druck des Marktwandels? Ja, es kann eine attraktive Lösung darstellen – wenn es richtig ausgestaltet wird. Dazu gilt es, folgende Handlungsempfehlungen zu beachten.
In Zeiten rückgängiger stationärer Fallzahlen und damit einhergehender Erlöseinbußen suchen Krankenhäuser nach Möglichkeiten, um ihr Kerngeschäft abzusichern. Das eigene MVZ verspricht einen einträglichen Strom an Patienten, der direkt in die „eigene Haustür“ weitergeleitet werden kann. Doch bei der Auswahl der ambulanten Angebote ist Vorsicht geboten: Wer unbedacht kassenärztliche Sitze in der Region aufkauft, läuft Gefahr, bestehende Zuweiser aus Angst vor Konkurrenz abzuschrecken. Es ist daher dringend erforderlich, ein Bewusstsein für die eigenen Zuweiserstrukturen zu schaffen. Ziel ist es, zu identifizieren, welche Praxen einen besonderen Einfluss auf den Patientenstrom haben, welche Sitze gegebenenfalls vor einem Inhaberwechsel stehen und wo die Gefahr besteht, Zuweiser an die Konkurrenz zu verlieren. Ein Monats- oder Quartalsreporting über die Top-Zuweiser sowie der persönliche Kontakt der Chefärztinnen zu ihren niedergelassenen Kollegen sind hierfür Pflicht.
Neben dem Befüllen der eigenen Betten sollte auch das Auffangen des ambulanten Potenzials Teil eines jeden MVZ-Businessplans sein. Der Gesetzgeber macht Druck, um das Credo „Ambulant vor Stationär“ mit Inhalt zu füllen: Die Novellierung des Katalogs für ambulante Operationen wurde auf den Weg gebracht. Der Aufbau eines AOPZ innerhalb des MVZ stellt einen sinnvollen Anknüpfungspunkt dar, um die gesetzgeberischen Bestrebungen in der eigenen Strategie zu berücksichtigen. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Vorhabens ist von vielerlei Faktoren abhängig: Damit das AOPZ voll ausgelastet wird und rentabel agiert, ist ein gesunder Fachabteilungsmix und eine schlanke Gestaltung der Prozesse unabdinglich. Beispiel: Ein Anästhesist aus dem Krankenhaus ist eine andere Arbeitsweise gewohnt als eine Anästhesistin, die viel Erfahrung im Bereich ambulanter Operationen hat. Die Besetzung von Schlüsselpositionen mit ambulant erfahrenen Mitarbeitern ist daher essenziell.
Auch mit Blick auf die Rentabilität des Krankenhaus-MVZ ist die „ambulante“ Ausrichtung von Prozessen und Mitarbeiterstrukturen ein Muss. Ein Ziel, das durch die Etablierung eines MVZ erreicht werden soll, ist die Stützung der sinkenden Ertragskraft der Krankenhäuser. Aktuell werden viele Krankenhaus-MVZ jedoch defizitär betrieben. In der Anlaufphase müssen Personal und Infrastruktur aus den teils knappen finanziellen Mitteln des Krankenhauses refinanziert werden. Umso wichtiger ist es, die Wirtschaftlichkeit von Beginn an zu planen und zu controllen. Im Bereich Infrastruktur können Krankenhaus und MVZ Synergieeffekte erzielen: Über die gemeinsame Nutzung von Großgeräten oder den Einkauf von Verbrauchsmaterialien profitiert die Kostenseite. Auf der Erlösseite bietet das MVZ Zugriff auf zusätzliche Budgettöpfe, die optimal ausgeschöpft werden müssen: RLV, QZV, extrabudgetäre Leistungen, IGeL und die Privatabrechnung über die GOÄ. Einzelleistungsvergütung statt Fallpauschalen – ein Fall für spezielles Abrechnungs-Know-How, welches aufgebaut werden muss, um die ambulanten Erlöse zu sichern und zu optimieren.
Ein kritischer Faktor für die Betriebsfähigkeit eines Krankenhauses – aber in Folge eben auch für das entstehende Gesamtkonstrukt – ist der allgegenwärtige Fachkräftemangel in den Gesundheitsberufen. An dieser Stelle rückt die Arbeitgeberattraktivität in den Mittelpunkt. Ein modern geführtes Krankenhaus-MVZ kann dazu beitragen, das Gesamtkonstrukt für junges medizinisches Fachpersonal attraktiver werden zu lassen. Flachere Hierarchien gegenüber dem stationären Bereich, der Wegfall von Nachtschichten und Bereitschaftsdiensten und ein anderes Indikationsspektrum als im Krankenhaus könnte dazu bewegen, sich für die (Teil-)Anstellung im MVZ zu begeistern. Damit aus den Buzzwords auch echte Vorteile werden, darf das Personalmanagement des MVZ im Gesamtkonstrukt nicht untergehen: Klassische Krankenhaus-Dienstpläne lassen sich oft nicht auf das MVZ übertragen. Daher müssen gemeinsam mit dem Personal vor Ort Arbeitszeitmodelle entwickelt werden, die den unterschiedlichen Arbeitsbelastungen gerecht werden.
Die letzte und vielleicht wichtigste Zutat für ein fruchtbares Krankenhaus-MVZ liegt in der Integration der ambulanten und stationären Leistungserbringung. Da die Hoheit über beide Leistungsbereiche nun in einer Hand liegt, können Probleme in der Kommunikation mit externen niedergelassenen Ärztinnen vermieden werden. Das MVZ übernimmt eine Lotsenfunktion im Versorgungsprozess und leitet Informationen, Daten und Befunde reibungslos an das Krankenhaus weiter. Ein beliebter Fehler: Der hartnäckige Versuch, das Krankenhaus-Informationssystem (KIS) auf das MVZ „umzumünzen“. Dies ist i. d. R. zu spezifisch und historisch gewachsen, als dass es sich unkompliziert auf ein ambulantes Konstrukt übertragen ließe. Der Einsatz eines modernen Praxisverwaltungssystems, welches über eine Schnittstelle mit dem KIS kommuniziert, ist hier deutlich effektiver.
Erst über die tiefgehende, sektorenübergreifende Vernetzung gewinnt das Gesamtkonstrukt ein echtes, neues Versorgungsangebot für sein Leistungsportfolio. Aus dem Krankenhaus wird ein Gesundheitskonzern. Dies darf und sollte auch nach außen hin kommuniziert werden. Viele Krankenhaus-MVZ werden eher untergeordnet im Gesamtbild des Krankenhauses, im schlimmsten Fall wie ein „Anhängsel“, präsentiert. Dabei stellt ein Krankenhaus-MVZ gleich gegenüber zwei Parteien ein Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb dar: Im Vergleich zu solitären Krankenhäusern wird der ambulante Sektor spezifisch mitgedacht, im Vergleich zur klassischen Arztpraxis entsteht ein direkter Anschluss an eine stationäre Infrastruktur. Dieser Unterschied muss für den Patienten im Alltag erkennbar werden. Denn was zählt, ist der Eindruck, den er von der Professionalität und von der Steuerung seiner Behandlung erhält. An dieser Stelle muss das MVZ ausnutzen, dass hinter seinem Rücken ein Krankenhaus steht. Das Corporate Design, die (technische) Ausstattung, die Terminvergabesysteme und das Case Management müssen klar machen: Mit der gleichen Ambition, mit der medizinisch komplexe Fälle im Krankenhaus versorgt werden, wird auch hier gehandelt. Und, wenn es nötig ist, besteht hier auf unkomplizierte und schnelle Art und Weise die eigene Behandlung im angeschlossenen Krankenhaus fortzusetzen – vielleicht sogar unter Einbezug des gleichen medizinischen Teams.
Denkt man das Konzept Krankenhaus-MVZ und seine potenzielle Lotsenfunktion im Gesundheitssystem konsequent weiter, gelangt man zu der Erkenntnis, dass der Weg zum vollintegrierten Gesundheitsanbieter vor allem dadurch geprägt ist, wie der Patient die eigene Reise durch das System erfährt. Im Idealbild wird der gesamte Versorgungsprozess aus einer Hand organisiert und durchgeführt, sodass der Patient einen abgestimmten Pfad durchläuft und die Übergänge zwischen den Sektoren nicht mehr wahrnimmt. Hier kann ein Gesundheitskonzern innovative Angebote schaffen: Zum Beispiel über die Entwicklung initialer Assessments, mit denen Patienten bereits bei seinem Eintritt in den Konzern anhand klar definierter Kriterien auf hausinterne Behandlungspfade verteilt werden. Pfade, bei denen ein Rädchen ins andere greift und dem Patienten ein transparenter und vollumfänglicher Behandlungsplan kommuniziert wird. Ganz egal, in welchem Teil des SGB V er sich rein rechtlich gerade befindet. Erst dann entsteht ein patientenzentriertes Versorgungszentrum.
Die Autoren Felix Klappauf und Anne Claßen sind Berater bei der aktiva Beratung für das Gesundheitswesen GmbH aus Köln und Experten für die wachsende Ambulantisierung und den Schnittstellenbereich ambulant – stationär.
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