Unser Immunsystem kommt täglich mit Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten in Berührung. Damit wir gegen diese Erreger geschützt sind und eine gute medizinische Versorgung bei schwerwiegenden Krankheiten gewährleistet werden kann, ist die Arbeit und insbesondere die Forschung der Mikrobiolog:innen von großer Bedeutung. Frau Chris Sommer, vom Berufsverband der Ärzte für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie (BÄMI e.V.) erzählt uns wie innovativ und vielseitig eine fachärztliche Weiterbildung in diesem Fachgebiet sein kann und welche persönlichen Kompetenzen angehende Mediziner:innen für dieses Gebiet mitbringen sollte.
Welches sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten Argumente Facharzt/-ärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie zu werden?
Es ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, welches eine Brücke zwischen Praxis/Klinik und Labor bildet. Infektionen gibt es in jedem Fachbereich der Medizin und in jedem Alter. Weltweit steigt die Anzahl der Infektionen stetig.
Bei der Vielfalt der Erreger (Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten) gibt es immer etwas Neues und Unerwartetes: lokale Ausbrüche bis hin zu Pandemien, Erregerausbreitung durch den Klimawandel oder auch die Resistenzsituationen.
Das Aufgabenfeld in der Mikrobiologie ist vielfältig und beinhaltet neben der Arbeit im Labor auch die Beratung der Kolleg:innen (teilweise auch vor Ort bei Visiten), Antibiotic Stewardship (ABS) und den Bereich der Krankenhaushygiene. Es gibt stetig Innovationen und eine wachsende Methodenvielfalt hinsichtlich des Nachweises auch „neuer“ Erreger. Das Teilgebiet der Infektionsepidemiologie hat einen engen Bezug zu Public Health.
Welche persönlichen Kompetenzen sind in Ihrem Fachgebiet besonders wichtig? Ganz allgemein sollte Interesse an Infektionen aller Art bestehen und für die interdisziplinäre Kommunikation ist ein breites medizinisches Grundwissen auf diesem Gebiet unabdingbar. Da sich unser Fachbereich stetig weiterentwickelt, ist die Offenheit für Innovationen von Vorteil.
Wie stark ist der Bedarf an Nachwuchs speziell in Ihrem Bereich? Wie ist die momentane Altersstruktur der Ärzt:innen Ihrer Disziplin und welche Prognose gibt es über den Bedarf der kommenden Jahre?
Es gibt einen großen und steigenden Bedarf an Nachwuchs bei dem derzeit vorhandenen Mangel. Deutschlandweit gibt es lediglich 811 berufstätige Ärzt:innen für Mikrobiologie (Stand 31.12.2019). Knapp zwei Drittel der Kolleg:innen sind älter als 50 Jahre. Während es 2017 noch 42 neue Fachärzt:innen im Bereich der Mikrobiologie gab, waren es 2019 nur noch 18 Anerkennungen von Facharztbezeichnungen in ganz Deutschland (zum Vergleich: im Fachbereich Innere Medizin waren es im vergangenen Jahr 2100 Anerkennungen). Angesichts der derzeitigen Pandemie wird der Bedarf an Nachwuchs zusätzlich weiter steigen.
Wie können junge Mediziner:innen (vor der fachärztlichen Weiterbildung) erkennen, ob die Weiterbildungsbefugten ihm/ihr eine gute Weiterbildung angedeihen lassen? Nach welchen Kriterien würden Sie in Frage kommende Arbeitgeber selektieren? Welche Fragen würden Sie stellen?
Eine gute Orientierung gibt hier sicherlich die neue Weiterbildungsordnung (WBO) vom 01. Juli 2020, in der die einzelnen Kompetenzen der Weiterbildungsbefugten angegeben sind. Zusätzlich lassen sich über den BÄMI e.V. und das Netzwerk der jungen Mikrobiologen weitere Informationen erfragen.
Die Selektion des künftigen Arbeitgebers sollte nach dem eigenen Interessengebiet erfolgen. An einer Universität wird die Diagnostik mit Forschung und Lehre verknüpft. In einem großen Labor gibt es eine beträchtliche Anzahl und Variabilität von Proben und Testverfahren mit einem breiten Spektrum an Einsendern. Bei einem mittleren oder kleinen Labor ist die Basisdiagnostik solide und der Draht zu den Einsendern meist enger. Letzteres eignet sich gut für die ersten Schritte als Facharzt/-ärztin.
Grundsätzlich sollte man sich beim potenziellen Arbeitgeber vorab informieren, ob es ein strukturiertes Weiterbildungscurriculum, regelmäßige Weiterbildungen sowie bezahlte Dienstreisen zu Kongressen gibt.
Was sind aktuelle medizinische Fortschritte in diesem Gebiet? Wozu trägt der Fachbereich heute und in Zukunft bei?
Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde in Deutschland schnell eine qualitativ sehr gute und flächendeckende Testung aufgebaut. Dies kann und wird auch zukünftig bei neuartigen Erregern der Fall sein. Der Fachbereich muss weiterhin innovativ bleiben und eine ständige Entwicklung und Anpassung der Nachweis- und Testverfahren für Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten voranbringen. Des Weiteren leisten Mikrobiolog:innen durch interdisziplinäre Zusammenarbeit einen erheblichen Beitrag bei der Diagnose und Therapie komplexer infektiologischer Krankheitsbilder.
Für den Medizinernachwuchs spielt auch Work-Life-Balance eine Rolle. Wie sehen Sie diese in Ihrem Bereich im Vergleich zu anderen Fachgebieten?
Im Bereich der Mikrobiologie gibt es zumeist eine geringe Dienstbelastung. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dank flexibler Arbeitszeitmodelle häufig problemlos möglich.
Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, sich selbstständig zu machen? Was sind gegebenenfalls die größten Hürden dabei?
Die Möglichkeiten sind eingeschränkt, da der Aufbau eines Einsenderstammes, Fahrdienstes, EDV- Strukturen usw. neben massiven Investitionen in Geräte und Personal große Hürden darstellen. Als „Einzelkämpfer:in“ ist dies heute kaum möglich. Ein Einstieg in ein bestehendes Labor über eine Partnerschaft oder als Mitglied ist eher umsetzbar.
Welche verschiedenen Spezialisierungen innerhalb Ihres Fachgebietes halten Sie für besonders interessant?
Alle Bereiche können vertieft werden und bieten Herausforderungen: Bakteriologie, Mykobakteriologie, Virologie, Mykologie, Parasitologie. Aber auch der Bereich der Krankenhaushygiene oder die Tätigkeit als ABS-Expert:in sind vielfältige und abwechslungsreiche Schwerpunkte.
Was sind momentan viel diskutierte medizinische Themen in Ihrem Fachgebiet?
In der aktuellen Zeit der Corona-Pandemie gilt es, eine Vielzahl von Testen bei gleichbleibender Qualität und massiven Mangel an Personal und Material durchzuführen. Zudem muss der „normale Betrieb“ mit Diagnostik und Beratung zum gesamten Spektrum der übrigen übertragbaren Krankheiten reibungslos weiterlaufen.
Fernab der Pandemie wird über den Stellenwert syndromischer Testungen (Multiplex-PCR) im Vergleich zu etablierten Verfahren oder den Einsatz patientennaher Labordiagnostik (Point-of-Care-Testung /POCT) diskutiert. Weiterhin sind die Zunahme von Antibiotikaresistenzen, Möglichkeiten antiviraler Therapie oder die Entwicklung neuer Impfstoffe (zum Beispiel gegen HIV, Hepatitis C oder Malaria) ständig Themen in Bereich der Mikrobiologie.
Was sind gängige Vorurteile gegenüber Ihrem Fachgebiet, die Sie gern einmal korrigieren würden?
Oft wird gesagt, dass Mikrobiolog:innen nur im Labor sitzen und den ganzen Tag Bakterien zählen, weil sie Angst vor Patient:innen haben. Dies stimmt natürlich nicht!
Fachärzt:innen für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie leisten einen großen und teilweise entscheidenden Beitrag zur Diagnostik von Infektionen und geben eine fundierte Beratung zu Therapieoptionen. Da in den letzten Jahren die Bedeutung der Krankenhaushygiene und des Antibiotic Stewardship zugenommen hat, sind wir auch zunehmend in Kliniken und Praxen anzutreffen, wo es unter anderem im Rahmen von Visiten auch regelmäßigen Patientenkontakt gibt.
Welche Nachwuchsförderung bieten Sie und Ihre Gesellschaft an? Gibt es Mentoring-Programme, die den Nachwuchs gezielt unterstützen?
Seit kurzem etabliert sich innerhalb des Berufsverbandes das Netzwerk der jungen Mikrobiologen. Darüber können Hospitation in verschiedenen Laboren sowie Stellenangebote vermittelt werden. Des Weiteren beraten wir ausführlich über den Inhalt der Ausbildung und teilen Erfahrungen. Ein Mentoring-Programm ist in Planung.
Chris Sommer, Jahrgang 1983, hat in Leipzig Humanmedizin studiert und danach ihre Facharztausbildung im Fachbereich Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie begonnen. Anfang 2017 absolvierte sie ihre Facharztprüfung in Thüringen.
Seit 2018 engagiert sich Frau Sommer im Berufsverband der Ärzte für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie (BÄMI e.V.) und ist die Sprecherin der jungen Mikrobiologen.
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