Bereits vor der Corona-Pandemie wurde die Digitalisierung sowie die Nutzung digitaler Anwendungen in der Medizin heiß diskutiert. Denken wir nur zurück an die Diskussionen auf dem Ärztetag 2018 zur Aufhebung des Fernbehandlungsverbots. Pandemiebedingt ergab sich nun ein wahrer Digitalisierungsschub: In kürzester Zeit wurde das gesellschaftliche wie berufliche Leben derart aus der Angel gehoben, so dass Telemedizin, digitaler Unterricht und Home-Office während des Lockdowns zum Standard wurden, um #socialdistancing zu betreiben. Ein Essay von Max Tischler.
Es ist bemerkenswert zu sehen, wie Ärztinnen und Ärzte in Deutschland individuelle und digitale Lösungen geschaffen haben, um die Patientenversorgung auch ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aufrecht zu erhalten. Es waren dieselben Ärztinnen und Ärzte, die sonst in der medialen Wahrnehmung häufig als Digitalisierungsverweigerer:innen oder Hemmschuh der Digitalisierung dargestellt werden. Gerade wir jungen Ärzte und Ärztinnen haben unsere älteren Kolleg:innen unterstützt. Als Bündnis Junge Ärzte sind wir offen für die Weiterentwicklung und digitalen Transformation des Gesundheitswesens und wünschen uns eine sinnvolle Digitalisierung. Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht weiter bei der digitalen Transformation des Gesundheitswesens am Spielfeldrand stehen, sondern müssen zentral in die Entwicklung digitaler Lösungen als therapieverantwortlicher Digitalpartner einbezogen werden. Als Bündnis Junge Ärzte fordern wir vor allem Lösungen für die Prozess- und Strukturprobleme des deutschen Gesundheitswesens. Hier sehen wir vorrangig den Ausbau der sektorenübergreifenden Versorgung zwischen Praxen und Kliniken. Zusätzlich muss die Kommunikation zwischen verschiedenen Arztgruppen und die interprofessionelle Kommunikation zwischen den verschiedenen Gesundheitsfachberufen verbessert und teils neu gedacht werden. Digitale Lösungen müssen zur Verbesserung der Patientenversorgung unter ärztlicher Therapiekontrolle und gleichzeitig zur Entlastung der Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen eingesetzt werden.
Für die Lösung dieser Probleme ist es unverzichtbar gerade junge Ärztinnen und Ärzte in die Problemlösung einzubinden, da diese als digital natives in digitalen Anwendungen geübt sind. In den (politischen) Entscheidungsgremien sind aktuell noch viel zu wenig junge Ärztinnen und Ärzte präsent. Hier braucht es Lösungen abseits von 5-jährigen Wahlzyklen, die sich an die junge Generation anpassen. Keineswegs wird heutzutage angestrebt, die Facharztweiterbildung allein an einer Weiterbildungsstätte oder einem Bundesland zu absolvieren. Diese Flexibilität braucht es auch in den Gremien.
Die digitale Transformation schreitet voran: Im Herbst 2020 wurden die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) als #AppAufRezept zugelassen, mittlerweile sind im DiGA-Portal des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) fünf DiGA gelistet. Fortbildung von Ärzten und Ärztinnen, so sollte man meinen, müsse längst erfolgt sein. Leider ein Trugschluss – einzig die Fortbildungsreihe von Hartmannbund, Bündnis Junge Ärzte und Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) haben sich bisher dem Thema angenommen. Ärztekammern oder Kassenärztliche Vereinigungen bieten hierzu durchweg keine Veranstaltungen an.
Für die Zukunft müssen digitale Kompetenzen bereits in Studium und anschließend in der Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten vermittelt werden, auch wenn diese erst in 10 Jahren in die Versorgung voll einsteigen. Gleiches gilt unweigerlich auch für die Ausbildung medizinischer Fachberufe.
Für die Übergangszeit hat das Bündnis Junge Ärzte den „Arzt für digitale Medizin“ ausgerufen. Dabei ist der Name austauschbar – am Ende zählt die Qualifikation und Qualität von Ärzten und Ärztinnen in der digitalisierten Medizin. Hierfür sind fundierte Kenntnisse über digitale Tools, ein IT-Grundwissen und Anwendungskenntnis unverzichtbar, vergleichbar mit einem Stethoskop. Patient:innen müssen bei Problemen – egal ob medizinisch oder digital – kompetent beraten werden können, da Ärzte und Ärztinnen weiterhin erster Ansprechpartner sein werden.
Ärzte und Ärztinnen werden auch in der digitalisierten Medizin ihren Platz haben und in der Zukunft die Rolle des zentralen Koordinators. Dafür braucht es Offenheit gegenüber Veränderung, Mitarbeit an der digitalen Transformation und konstruktive Kritik zur Verbesserung des Gesundheitssystems und der Versorgung der Patient:innen. Die Grundlage hierfür wird die Kompetenzvermittlung in Studium und Weiterbildung darstellen. Gleichzeitig dürfen die Prozess- und Strukturprobleme im deutschen Gesundheitswesen nicht außer Acht gelassen werden.
Für die zukunftssichere Transformation des deutschen Gesundheitswesens steht die zukünftige Ärztegeneration bereit: Junge Ärztinnen und Ärzte, wie im Bündnis Junge Ärzte, wollen sich engagieren.
Autor Max Tischler, 32 Jahre, Dermatologe im 5. Weiterbildungsjahr in einer Gemeinschaftspraxis in Dortmund und seit 2019 Sprecher des Bündnis Junge Ärzte, studierte an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seit 2016 engagiert er sich im Hartmannbund und bei den Jungen Dermatologen. Zwei Jahre später wurde er stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreis Junger Ärzte der Ärztekammer Westfalen-Lippe.
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