Internationale Vergleiche zeigen, dass der Krankenhaussektor in Deutschland geringer digitalisiert ist als der anderer europäischer Länder. Zurückhaltung bei der digitalen Transformation bedeutet dabei gleichzeitig, den Mitarbeiter:innen kein optimales Arbeitsumfeld bieten zu können. Die Berater:innen Stephanie Widmaier und Professor Dr. Volker Nürnberg von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO zeigen, welchen Mehrwert die Digitalisierung im Krankenhaus unter anderem auch für das Recruiting und die Mitarbeiterbindung bedeuten kann.
Krankenhäuser stehen unter einem enorm hohen Digitalisierungsdruck. Treiber wie die Corona-Krise und das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) haben zwar wieder einige Kliniken mehr zum Umdenken motiviert, ihren digitalen Reifegrad zu optimieren. Trotzdem haben noch immer viele Häuser mit Umsetzungsschwierigkeiten zu kämpfen. Dabei spielt der Grad der Digitalisierung nicht nur im Hinblick auf die IT-Strategie und die Verbesserung der Versorgungsqualität eine entscheidende Rolle, sondern kann auch als Indikator für das Employer Branding gesehen werden. Die Arbeitgeberattraktivität hängt eng mit der Mitarbeiterzufriedenheit zusammen, und die wiederum ist maßgeblich im War for Talents. Denn: digitalisierte Krankenhäuser sind innovativer, moderner und somit attraktiver für bestehende und potenzielle Mitarbeiter.
Mitarbeiter:innen von zeitintensiven Routineaufgaben entlasten
Routineaufgaben im Krankenhaus sind wahre Zeitfresser. Einer Studie zufolge verbringen Mitarbeiter im Gesundheitswesen etwa 56 Prozent ihrer Arbeitszeit damit, administrative Aufgaben zu erledigen (SOTI 2020). Dabei ist die Zeit von medizinischem Personal ein besonders wertvolles Gut, welches in Zeiten des Fachkräftemangels und der aktuellen Covid-19-Pandemie effizient und bewusst eingesetzt werden sollte. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden in deutschen Kliniken bei Weitem nicht ausgeschöpft. Mit der Hilfe von IT-Lösungen können viele Aufgaben automatisiert werden, um ärztliches und pflegerisches Personal zu entlasten, sodass sie mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe haben: die Versorgung und Behandlung von Patienten. Immer mehr Krankenhaus-Beschäftigte sehen mittlerweile die Vorteile digitaler Technik. Dies bestätigt auch eine Studie der Hans Böckler Stiftung (2017), wonach 61 Prozent der befragten Beschäftigten im Krankenhaus der Meinung sind, dass digitale Technik ihre Arbeit erleichtern könne und auch im Hinblick auf die Effektivität, Versorgungsqualität und Zeitersparnis sind die Beschäftigten positiv gegenüber digitalen Lösungen gestimmt. Die Zukunft der Medizin wird durch die kooperative Zusammenarbeit und Interaktion zwischen Mensch und Maschine geprägt sein, wobei sich auch die Arzt-Patienten-Beziehung weiter verändern wird.
Warum die Ärzteschaft zukünftig rein analoge Häuser eher meiden wird
Die Digitalisierung bietet vor allem im Hinblick auf die Organisation im Krankenhaus enorme Chancen- von der Patientenaufnahme, über die Behandlung bis hin zum Entlassmanagement. Sind sämtliche Patientendaten (z.B. über eine ePA) zentral und strukturiert dokumentiert, können diese bei Bedarf auch von verschiedenen Fachabteilungen in Echtzeit abgerufen und bearbeitet werden, ganz ohne Verzögerungen, Medienbrüche oder Informationsverluste. KI-basierte Lösungen können Ärzte bei der Erfassung und Auswertung von Daten (z.B. Laborergebnisse), der Diagnostik oder der Leistungsabrechnung unterstützen. Auch die sektorenübergreifende Vernetzung sowie der Informationsaustausch mit vor- oder nachgelagerten Leistungserbringern wird erleichtert und ermöglicht deutliche Zeitersparnisse. Liegen sämtliche relevante Patientendaten vor, können Komplikationen und Fehlerquellen ebenso wie unnötige Doppeluntersuchungen reduziert werden, was nicht nur die Behandlungsqualität, sondern vor allem die Patientensicherheit erhöht und gleichzeitig Kosten einspart. Die Digitalisierung wird das Gesundheitswesen im Allgemeinen aber vor allem auch das Berufsbild der Mediziner im Speziellen deutlich verändern, aber nicht ersetzen.
Ein Arzt, der sich einmal an die Vorzüge und Entlastungen eines digitalisierten, „smarten“ Krankenhauses gewöhnt hat, wird bei der Wahl künftiger Arbeitgeber darauf achten, dass dieser nicht gänzlich analog arbeitet.
Digitalisierte Organisationen bieten den einzelnen Beschäftigten zudem mehr Autonomie, z.B. über Employee-Self-Service-Portale, wobei Arbeitnehmer ermächtigt werden, ihre Personalangelegenheiten ganz unkompliziert und eigenständig zu erledigen. Dies ermöglicht eine nachhaltige Entlastung der HR-Abteilung, sodass sich die Mitarbeiter auf strategische Aufgaben fokussieren können. Da digital agierende Krankenhäuser ressourcenschonend arbeiten und ihre Prozesse digitalisiert haben, ist auch das Recruiting zügiger darin, vakante Stellen nachzubesetzen. So können sie z.B. über ein Job-Matching oder Social-Media-Recruiting schneller geeignete Fachkräfte identifizieren.
Vor dem Hintergrund, dass medizinisches Personal immer häufiger auf dem internationalen Arbeitsmarkt gesucht wird, müssen Arbeitgeber digitalen Bewerbungsverfahren gegenüber offen sein, um dem Fachkräftemangel aktiv zu begegnen. Insgesamt können digitale Lösungen den gesamten Bewerbungsprozess vereinfachen, wodurch Nachbesetzungen schneller abgewickelt werden können. Kliniken, die weniger Probleme bei der Nachbesetzung offener Stellen haben, sind besonders attraktiv für bestehendes und potenzielles Personal. Bestehende Mitarbeiter werden entlastet, da sie nicht ständig aufgrund von Personalmangel einspringen und Doppelschichten arbeiten müssen, wodurch wiederum ihre Zufriedenheit steigt. Kommunizieren Ärzte diese positiven Erfahrungen in ihrem Bekanntenkreis, so wirkt sich dies positiv auf die Reputation des Arbeitgebers aus. Sind Ärzte hingegen unzufrieden, spricht sich das ebenfalls schnell rum. Erfahrungen von Freunden und Bekannten spielen bei der Wahl des Arbeitgebers eine wesentliche Rolle. Daher ist es besonders wichtig, die Mitarbeiterzufriedenheit im Blick zu halten.
Digitalisierung für Weiterbildung und Wissenskultur nutzen
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müssen sich Kliniken vor allem auf die Wünsche und Anforderungen der Nachwuchsärzte konzentrieren. Neben einem attraktiven Gehalt und einem freundlichen Arbeitsklima legen Studierende vor allem Wert auf berufliche Fort- und Weiterentwicklung sowie Innovationen(Universum 2021). Digitale Technologien können dabei unterstützen, eine (digitale) Wissenskultur in den Krankenhäusern zu etablieren und somit ein aktives Wissensmanagement zu fördern. Gerade in Zeiten der Pandemie haben einige Arbeitgeber ihren Mitarbeitern digitale Lehr- und Bildungsangebote zur Verfügung gestellt, um die Fachkräfte von morgen trotz der besonderen Herausforderungen von Covid-19 bestmöglich aus- und fortzubilden. Wird das Wissensmanagement erfolgreich umgesetzt, kann dies für potenzielles Nachwuchspersonal zu einem relevanten Entscheidungskriterium bei der Wahl des Arbeitgebers werden. Neben dem Digitalisierungsgrad legen Nachfolgegenerationen großen Wert auf Nachhaltigkeit und ressourcenschonendes Verhalten, weshalb Arbeitgeber ebenfalls in ihre Corporate Social Responsibilty investieren sollten. Positioniert sich ein Krankenhaus als sogenanntes „Green Hospital“, welches zudem digitalisiert und papierlos arbeitet, kann dies einen deutlichen Wettbewerbsvorteil mit sich bringen.
Deutsche Häuser im europäischen Vergeich unterdurchschnittlich digital
Bei all den Vorteilen und Chancen, die die Digitalisierung verspricht, stellt sich die Frage: wie weit ist die Digitalisierung in deutschen Krankenhäusern vorangeschritten? Häufig wird das EMRAM-Modell (Electronic Medical Record Adoption Model) verwendet, um den Digitalisierungsgrad in Krankenhäusern zu messen. Dabei arbeiten Krankenhäuser der Stufe 0 (niedrigste Stufe) noch weitestgehend analog, während Häuser der Stufe 7 (höchste Stufe) einem papierlosen Krankenhaus gleichkommen.
Dem Krankenhausreport 2019 zufolge, liegt Deutschland durchschnittlich bei einem EMRAM-Score von 2,3 (zum Vergleich: der europäische Mittelwert liegt bei 3,6). Dies verdeutlicht: Deutsche Kliniken haben noch einiges in Sachen Digitalisierung aufzuholen. Ein flächendeckender Überblick über den Einsatz von Informationstechnologien in deutschen Krankenhäusern wird derzeit jedoch vermisst. Daher soll im Rahmen der Umsetzung des KHZG im Zeitraum von Juni 2021 bis Juni 2023 der digitale Reifegrad deutscher Krankenhäuser über den sogenannten „DigitalRadar“ ermittelt werden. Auch wenn die IT-Durchdringung der Kliniken noch nicht sehr fortgeschritten ist, kann davon ausgegangen werden, dass innovative und digitalisierte Krankenhäuser als Arbeitgeber attraktiver sind und somit einen Wettbewerbsvorteil im War for Talents haben.
Bei all den Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringt, darf jedoch eins nicht vergessen werden. Jeder Transformationsprozess geht auch immer mit Veränderungen der Arbeitsabläufe und der Abweichung vom Gewohnten einher, was wiederum zusätzlichen Stress bei den Beteiligten auslösen kann. Gute Arbeitgeber nehmen sämtliche Arbeitnehmer bei der Implementierung der Digitalisierungsstrategie mit und tragen Sorge, dass die digitale Kompetenz der Beschäftigten kontinuierlich verbessert wird. Denn nur, wenn eine Digitalisierungsstrategie nachhaltig implementiert und Informationstechnologien korrekt angewendet werden, bieten diese auch eine Entlastung im Alltag.
„Smart“ und „Green“ unterstützen die Employer Brand
Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen ist längst überfällig und hat bei nachhaltiger Implementierung das Potenzial, einen wertvollen Nutzen hinsichtlich Entbürokratisierung, Transparenz, Wissensgenerierung, Datenanalytik und Vernetzung zu entfalten. Ärzte werden somit in ihrem Arbeitsalltag entlastet und haben mehr Zeit und Raum für die Patientenversorgung, wodurch die Behandlungsqualität sowie die Patientensicherheit optimiert werden. Darüber hinaus kann auch das Thema Nachhaltigkeit einen wertvollen Beitrag im Sinne des Employer Branding leisten. Positionieren sich Krankenhäuser nicht nur als „Smart“, sondern zudem als „Green Hospital“ und kommunizieren dies aktiv, werden diese Kliniken als attraktiver gegenüber analog arbeitenden Häusern wahrgenommen, was in Zeiten des umkämpften Arbeitgebermarktes einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil bietet.
Die Autoren Stephanie Widmaier und Professor Dr. Volker Nürnberg verantworten bei der internationalen Wirtschaftsprüfungsgsellschaft BDO AG den Servicebereich „Fachbereich Gesundheitswirtschaft“; Prof. Dr. Nürnberg als Partner im Advisory, Stephanie Widmaier als Senior Consultant.