Auf Kliniken, Arztpraxen und Kostenträgern lastet ein großer Druck, um dortige Abläufe effizienter zu gestalten. Nicht erst seit der Corona-Pandemie schaut alle Welt auf das Gesundheitswesen und kritisiert, wenn etwas nicht reibungslos funktioniert. Das Gute: Durch die vielen IT-Systeme lassen sich Ineffizienzen wie OP-Leerstände oder Verzögerungen bei der Patientenaufnahme viel einfacher finden und visualisieren. Expertinnen und Experten für Process Mining kommen ihnen auf die Spur.
Typische Herausforderungen sorgen für Druck im Klinikalltag: Dazu zählen der ökonomische Zwang zu wirtschaftlichem Handeln, Fachkräftemangel und die dadurch ausgelöste Überlastung der Mitarbeitenden. Sich ändernde Strukturen, umfangreiche Bürokratie und Dokumentationsaufwand sowie steigende Erwartungen von Patient:innen und Angehörigen an reibungslose Prozesse sind alte Bekannte im Gesundheitssektor. Durch die aktuelle Krise machen sie sich noch viel stärker bemerkbar. Vieles würde besser funktionieren, wenn beispielsweise Anmeldeformulare flächendeckend digital ausgefüllt und Befunde oder Therapiepläne automatisiert von A nach B transportiert würden.
Ordnung zu bringen in das komplexe deutsche Gesundheitssystem mit vielen voneinander abhängigen Prozessen, ist keine leichte Aufgabe. Es existieren inzwischen allerdings methodische Ansätze und Tools, die den Verantwortlichen von Nutzen sein können. Process Mining etabliert sich hier mittlerweile als Ansatz in Unternehmen und öffentlicher Verwaltung, um den sprichwörtlichen Sand im Getriebe zunächst sichtbar zu machen und danach zu entfernen.
Das ist Process Mining
Im Grunde digitalisieren Kliniken mit Process Mining ihre Prozessanalyse. Dabei erfassen Krankenhaus-, Prozess-, Qualitäts- oder Unternehmensentwickler mit sehr effizienten Mitteln, wie ein bestimmter Behandlungsprozess über Abteilungsgrenzen hinweg abläuft oder ein Verfahren in der Buchhaltung in der Realität von den Kolleginnen und Kollegen ausgeführt wird.
Mithilfe der im Unternehmen vorhandenen IT-Systemdaten – beispielsweise Logfiles, Excelpläne, Dokumentationen oder anderen Datenspuren – sowie spezieller Software schaffen die Verantwortlichen Transparenz darüber, wie zum Beispiel die Patientenaufnahme genau abläuft oder wie in der Personalabteilung ein Einstellungsprozess eines neuen Arztes oder einer neuen Ärztin von der Ausschreibung bis zum ersten Gehaltslauf tatsächlich vonstattengeht. Ziel ist, für Behandlungsabläufe und Unternehmensprozesse ideale Schrittabfolgen, sogenannte Sollprozesse, zu finden, diese im Klinikalltag zu verankern und immer wieder zu überprüfen und zu verbessern. Einsatzszenarien in Krankenhäusern und Einrichtungen zur stationären und teilstationären Patientenversorgung sind in allen Bereichen denkbar. Dazu zählen beispielsweise Stationen, Ambulanzen, Finanzbuchhaltung, Materialwirtschaft, diagnostische Abteilungen, OP-Abteilungen und das Qualitäts- und Risikomanagement. In diesen Abteilungen gibt es jede Menge Prozesse, die sich analysieren und verbessern lassen – unter anderem die Aufnahme und Verlegung von Patient:innen, Diagnostik, DRG-Dokumentation und Freigabe, OP-Management, stationäre oder teilstationäre Behandlungsprozesse, ambulante Leistungserbringungsprozesse oder auch Prozesse zur Rechnungsverarbeitung.
So arbeiten Process Miner und ihre Tools
Bei ihrer Arbeit gehen Expert:innen für digitales Prozessmanagement ungefähr so vor: Ihr Arbeitsmaterial sind im Klinikunternehmen auf verschiedenen IT-Systemen sowie in Ordnern und Tabellen verteilte Daten. Es gibt beispielsweise IDs zu den Patient:innen, also Fallnummern sowie Zeitstempel, unter anderem wann welche Diagnostik durchgeführt wurde. Zudem gibt es Aktivitäten, zum Beispiel die bei Patienten durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen und die beteiligten Stationen. Diese drei Kerndaten – ID, Zeitstempel und Aktivität – können mit weiteren Fachdaten verknüpft werden, beispielsweise Diagnosegruppen (MDCs) und Abteilungsschlüssel.
Die Daten werden manuell oder automatisiert über eine Schnittstelle in ein Process Mining Tool eingelesen. Die Software ermittelt aus den Daten, wie ein Prozess abläuft, und stellt das Ergebnis grafisch dar. Aus undurchsichtigen Zahlenkolonnen entstehen in kurzer Zeit Workflow-Diagramme, Prozesslandkarten und Dashboards. Sie veranschaulichen das Reale hinter den Daten.
Mögliche Rückschlüsse auf konkrete Personen und damit Verstöße gegen Datenschutzregeln können Kliniken beim Einsatz von Process Mining vermeiden. Kleine Abteilungen und Teams lassen sich beispielsweise zu einer Einheit zusammenfassen. Durch Schlüssel lassen sich zudem Klardaten in kryptische Pseudonyme verwandeln oder ohne Verwendung von Schlüsseln komplett anonymisieren. Zudem ist es möglich, Nutzerdaten außen vor zu lassen und beispielsweise nur einen manuellen Prozess mit einem maschinellen Verfahren zu vergleichen.
Aus Daten entsteht valides Wissen
Die Prozessmanager:innen können daraus jede Menge Erkenntnisse ableiten. Sie finden heraus, welche Stationen zu Flaschenhälsen im System werden, und ergründen, warum OPs später als geplant beginnen oder wodurch das Auslastungspotenzial nicht ausgeschöpft wird. Sie bekommen zudem ein Bild davon, in welcher Form Mitarbeitende vom eigentlich gewünschten Vorgehen abweichen oder warum bestimmte Formulare nicht parallel zu einem Arbeitsschritt weitergereicht werden.
Transparenz und das Aufdecken von Ineffizienzen sind zwei Effekte, die sich mit Process Mining erreichen lassen. Darüber hinaus können Kliniken die Qualität der Abläufe verbessern und die verschiedenen Prozesse aufeinander abstimmen. Sie können die Analyse als Grundlage nehmen und Sollprozesse definieren, diese, inklusive möglicher Varianten, im Tool hinterlegen und laufend abgleichen.
Wenn Mitarbeitende vom Sollprozess abweichen, hat das immer einen Grund und meist einen triftigen. Häufig ist der aktuelle Ablauf zu umständlich oder nicht eingespielt. Es kann auch vorkommen, dass andere Prozesse die „korrekte“ Ausführung verhindern. Sind die Ursachen mithilfe von Process-Mining-Analysen erkannt, können Klinikmanager:innen zusammen mit den Mitarbeitenden gegensteuern und die Prozesse anpassen. Derart faktenbasierte Analysen mit einer Fülle historischer und Echtzeit-Daten wären ohne IT-Unterstützung und intelligente Systeme zu zeitraubend. Sie würden sich nicht rechnen.
Mehrwerte für das Krankenhaus und dessen „Kund:innen“
Je nach Anwendungsgebiet lassen sich so betriebswirtschaftliche, medizinische und regulatorische Mehrwerte erzielen. Wenn zum Beispiel Fehler bei Schichtwechseln ausbleiben und Wartezeiten in der Notaufnahme sinken, steigt die Versorgungsqualität. Wenn OPs ausgelastet sind und Überbestellungen von Ausrüstung und Medikamenten vermieden werden, reduzieren sich patientenspezifische Kosten. Wenn kritische Abläufe reibungslos funktionieren und optimal dokumentiert sind, reduziert das den Aufwand für das Erlangen und die Erneuerung von Zertifizierungen. Es gibt somit einige Argumente, Process Mining im Geschäftsprozessmanagement von Krankenhäusern einzusetzen. Und messbare Fakten sind immer eine gute Grundlage, um Abläufe im Tagesgeschehen kontinuierlich zu verbessern.
Autorin Christina Kümpers ist Beraterin und Expertin für medizinisches Geschäftsprozessmanagement im Bereich Public Sector von Sopra Steria. Sie ist spezialisiert auf das Prozess- und Anforderungsmanagement in Digitalisierungsprojekten im Gesundheitswesen.
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