Abläufe zu digitalisieren ist in allen Branchen inzwischen normal. Dabei sollen neue Geräte und Software-Lösungen die Mitarbeiter unterstützen. So zum Beispiel auch Service-Oriented Device Connectivity, welche dabei helfen soll, Therapieentscheidungen besser und schneller informiert treffen zu können. Welche Vorteile das mit sich bringt und wie es um das Thema Cybersicherheit steht, verrät uns Jens Altmann im Interview.
Gleich zu Beginn: Was ist Service-oriented Device Connectivity überhaupt?
Service-Oriented Device Connectivity, kurz SDC, ist ein Datenprotokoll für den ungehinderten Austausch von Informationen zwischen miteinander verbundenen Medizingeräten sowie zwischen Medizingeräten und dem krankenhauseigenen Informationssystem (KIS). Die komplexe IT-Landschaft in der Medizintechnik kann zukünftig vereinheitlicht werden.
Wie und an welchen Stellen wird SDC konkret in der Medizin verwendet? Gibt es noch andere Branchen, die sie verwenden (könnte)?
Wir stellen Medizingeräte her, die in der Intensivmedizin und dem OP eingesetzt werden. Mit Hilfe von SDC wird es möglich sein, Dräger-Beatmungs- und Anästhesiegeräte sowie Patientenmonitore mit anderen Systemen und patientennahen Geräten in diesen Bereichen kommunizieren zu lassen. So können Therapieentscheidungen noch effizienter unterstützt und Arbeitsabläufe und die Behandlung der Patienten deutlich optimiert werden. Erste auf SDC basierende Lösungen, beispielsweise in der Anästhesie, hat Dräger bereits auf den Markt gebracht.
Welche Vorteile bringt SDC mit sich?
Die Vorteile liegen in erster Linie in der Interoperabilität und der damit verbundenen Optimierung der Patientenversorgung. Bisher fehlte diese Basis zwischen Geräten unterschiedlicher Hersteller. Um Daten wie Analyse-Ergebnisse oder Befunde herstellerunabhängig austauschen zu können, mussten erst aufwändig Schnittstellen programmiert werden. Mit SDC können künftig zum Beispiel mehrere Medizingeräte während einer Operation zentral bedient werden. Darüber hinaus können Funktionen realisiert werden, die vorher so nicht möglich waren, wie das Fernsteuern eines Beatmungsgeräts. SDC schafft zusätzlich neue Cybersicherheits-Standards durch einen verschlüsselten Datentransport.
Was bieten Sie für Produkte und Services bezüglich SDC an?
Unter anderem bietet Dräger seit 2019 mit dem Clinical Assistance Package (CAP) eine auf SDC-basierende Lösung an, mit der unter anderem demographische Daten aus der Patientenakte direkt am Bildschirm des Anästhesiegeräts aufgerufen werden können. ADT (Admission-Discharge-Transfer)-Daten können zeitsparend aus dem KIS übernommen werden, ohne sie händisch neu eingeben zu müssen. Wichtige Informationen für klinische Entscheidungen stehen so unmittelbar zur Verfügung.
Darüber hinaus können die Dräger-Anästhesiegeräte mit Hilfe des CAP, Daten direkt in die elektronische Patientenakte exportieren und so selbst Daten im KIS speichern. Zudem ermöglicht CAP zeitsynchronisiertes Arbeiten im OP: Eingriffe können so präziser dokumentiert und Einträge in die Patientenakte auf Basis der Systemzeit erfolgen. Das funktioniert, da die Uhrzeit auf den Patientenmonitoren und dem Anästhesiegerät mit dem vom zentralen NTP (Network Time Protocol)-Server der Klinik gesendeten Zeitsignal stets übereinstimmt.
Oft ist das Vorurteil vieler, dass im Zuge der Digitalisierung die Menschen von Maschinen ersetzt werden. Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen, dem medizinischen Personal und SDC aus?
SDC ist ein Protokoll, das den Austausch von klinischen Informationen optimiert und dadurch therapeutischen Entscheidungen vereinfachen kann. Die Kommunikation im ärztlichen Team wird effizienter. SDC stellt also in erster Linie eine deutliche Arbeitserleichterung dar und kann das das Pflegepersonal unterstützen, wie Assistenzsysteme im Auto den Fahrer. Der Anwender kann sich mehr auf die Kernaufgabe, die Versorgung des Patienten, konzentrieren. Sein Arbeitsablauf wird nicht durch Informationssuche oder den Wechsel an ein anderes Gerät, um beispielsweise Werte abzulesen, unterbrochen.
Müssen Krankenhäuser für die Nutzung von SDC stark verändert oder umgebaut werden?
Ein Vorteil von SDC ist es, dass sich die Technologie in bestehende Infrastrukturen integrieren lässt. Mit SDC als offener Standard wird beispielsweise darauf abgezielt, eine Vielzahl proprietärer Netzwerke durch ein harmonisiertes Netzwerk zu ersetzen. SDC kann in HL7 oder FHIR konvertiert werden und damit direkt an die klinikweiten Informationssysteme andocken. Natürlich müssen die Medizingeräte SDC-fähig sein, aber dafür entwickeln wir unsere Systeme ständig weiter.
Neue Methoden bedeuten meist auch eine neue Aus- oder Weiterbildung. Auf wie viel Schulung müssen sich Ärzt:innen und das Personal bei der Implementierung von SDC einstellen?
SDC ist eine Netzwerktechnologie, die im Hintergrund arbeitet, basierend auf dem Prinzip der Service-Oriented Medical Device Architecture (SOMDA). Darin werden IT-Systeme so organisiert, dass Geräte-Applikationen wie Diensteanbieter funktionieren und untereinander kommunizieren können. SDC verändert also nicht bestehende Applikationen, sondern integriert sie. Der Aufwand ein SDC-fähiges Medizingerät zu bedienen, sollte sich also nicht von bisherigen Geräten unterscheiden.
Durch mehr Digitalisierung steigt auch immer die Gefahr von Cyber-Angriffen. Wie wird im Zusammenhang mit SDC damit umgegangen?
Im SDC-Netzwerk können nur zugelassene Geräte und Systeme Informationen untereinander austauschen, die sich gegenseitig authentifizieren und zudem eine Autorisierung erfordern. Über diese Zugangskontrolle hinaus erfolgt der Datenaustausch durch eine Ende-zu-Ende Verschlüsselung. Die Kommunikation zwischen SDC-Geräten verläuft also auf einem Sicherheitsniveau wie es auch beim Online-Banking üblich ist.
Dräger ist ja bei der Entwicklung von SDC beteiligt, wie hat das ganze begonnen und was waren die großen Hürden dabei?
Die IEEE 11073 SDC Standardfamilie wurde insbesondere durch öffentlich geförderte Forschungsprojekte realisiert. Diese Maßnahmen waren im OR.NET-Projekt gebündelt. OR.NET entstand wiederum aus einem Zusammenschluss aus Industrie, Wissenschaft, Kliniken und Standardisierungs- und Regulierungsorganisationen. Auch Dräger ist seit langem Mitglied im OR.NET e.V. und hat an der Entwicklung des SDC-Standards mitgearbeitet. Ein Ziel des Vereins ist, unter anderem weitere Hersteller und Anwender von dem enormen Potenzial dieser Netzwerktechnologie zu überzeugen und den Weg zu einem sicheren, herstellerneutralen Datenaustausch in der Klinik weiter zu ebnen.
Was sehen Sie in der Zukunft von SDC und der Digitalisierung generell in der Medizin?
Die Non-Profit-Organisation West Health Institute schätzt, dass über 30 Milliarden Dollar pro Jahr durch funktionell interoperable Medizingeräte allein im U.S.-Gesundheitssystem eingespart werden können. Vernetzte Medizintechnik ermöglicht das Zusammenarbeiten multidisziplinärer Teams und macht die Behandlung effizienter. Vor diesem Hintergrund ist das Verlassen proprietärer Insellösungen in der Medizintechnik wohl nur noch eine Frage der Zeit. Dies bietet die Möglichkeit, völlig neue klinische Anwendungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Akutversorgung in Krankenhäusern zu schaffen. Entscheidungsunterstützende Systeme, die Fernsteuerung von Medizingeräten und klinische Assistenzsysteme sind Beispiele für zukünftige Applikationen mit hohem Mehrwert.
Jens Altmann ist President der Business Unit IT & Systems, Medical Division bei der Dräger Gruppe. Der Fokus der Arbeit liegt in der Gestaltung von vernetzten Systemen innerhalb der akutmedizinischen Bereiche des Gesundheitswesens. Vorher war Jens Altmann verantwortlich für das globale Segment- und Produktmanagement des Bereichs Krankenhaus der Dräger Gruppe. In den Jahren davor lag der Schwerpunkt der Tätigkeiten in der Entwicklung und Implementierung von neuen Strategien sowie Marketing Ansätzen für das globale Krankenhausgeschäft Drägers. Jens Altmann war in operativen als auch strategischen Marketing Rollen sowohl im Headquarter als auch in Vertriebsregionen tätig, nachdem er das Direct Export Geschäft der Medizintechnik in Asien verantwortete und verschiedene Geschäftsführungsrollen von Vertriebsgesellschaften in unterschiedlichen Ländern innehatte.
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