Neue Technologien eröffnet gänzlich neue Wege in der Medizintechnik
Ein Arzt, der sich von einem Computer beraten lässt, ein Defibrillator, der von einer Drohne geliefert wird, oder eine Sprechstunde über das Tablet – die Digitalisierung ist auch in der Medizintechnik das momentan alles beherrschende Thema. Sie verändert nicht nur Technologien und Anwendungen, sondern auch den Arbeitsalltag in Krankenhäusern und Kliniken.
Eine der Möglichkeiten, die das Digitalzeitalter der Medizintechnik heute bereits bietet, ist, mithilfe der Telemedizin Patienten über größere Distanz zu überwachen, zu beraten – und über Notfälle informiert zu werden. So kann innerhalb von Sekunden automatisch ein Notruf abgesetzt werden, um die schnelle Versorgung vor Ort zu sichern. Oder ganz pragmatisch betrachtet: Welcher Patient, der sich schon einmal die Stunden im überfüllten Wartezimmer um die Ohren geschlagen hat, sehnt sich nicht danach, eine Krankschreibung über eine Online-Sprechstunde zu erhalten?
Telemedizin, die zwischen Arzt und Patient, sowie zwischen dem medizinischem Personal untereinander eingesetzt werden kann, ermöglicht einen virtuellen Austausch von Daten. Ärzte können online Sprechstunden anbieten und sogar die Visite über das Internet erledigen. In Deutschland bieten derzeit zum Beispiel die Unternehmen TeleClinic, Patientus und DocSofort diese Dienste an.
Das Nordwestkrankenhaus in Frankfurt nutzt Telemedizin seit dem Jahr 2010, um Patienten im 12.000 Kilometer entfernten Brunei zu untersuchen. Denn dort gibt es keine qualifizierten Ärzte für neurologische Fälle. Mehr als 3.000 Patienten wurden so bereits erfolgreich behandelt. Trotzdem wird Telemedizin selbst in Deutschland noch nicht flächendeckend genutzt. Die Studie „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit“ (ÄiZG) der Stiftung Gesundheit aus dem Jahr 2015 zeigt, dass momentan nur 3,5 Prozent der Ärzte in Deutschland diese Innovation einsetzen, um Videokonferenzen mit Patienten durchzuführen. 61 Prozent lehnen diese Form der Kommunikation bisher vollkommen ab.
Telemedizin und Telemonitoring: Von der Online-Sprechstunde bis zur Blutzuckerspiegelüberwachung via Bluetooth
Patienten können durch Telemedizin nicht nur beraten, sondern auch überwacht werden – Stichwort Telemonitoring. Zum Beispiel können Herzkranke durch SHL Telemedizin ihre EKG-Daten an ein telemedizinsches Zentrum übertragen. Ein weiteres Exempel: Die Firma BodyTel hilft Zuckerkranken, ihren Blutzuckerspiegel über Bluetooth zu überwachen. Fachärzte werten die Daten anschließend aus und beraten über das Telefon, ob ein Arzt aufgesucht werden sollte oder nicht. Das ermöglicht dem Patienten mehr Freiheiten und Ärzte können, falls nötig, akut eingreifen (lassen).
Es steht außer Frage: Die Technologie der Telemedizin wird ein wichtiger Aspekt der Patientenversorgung werden, jedoch ist sie nur dann sinnvoll, wenn sie als Ergänzung der ärztlichen Behandlung gesehen wird, nicht als Ersatz. Wichtig dabei ist, dass Unternehmen keine Insellösungen für einzelne Bereiche anbieten, sondern ganzheitliche Ansätze, sprich ein Produkt, das Arzt und Patient direkt vernetzt und den gesamten Prozess der Überwachung und Behandung steuert. Nur dadurch kann medizinische Versorgung digitalisiert und ins 21. Jahrhundert gehoben werden.
Datenschutz ist beim Thema E-Health ein wichtiges Thema – laut Dr. Wimmer jedoch auch ein Luxus für Gesunde
Eine Herausforderung für die moderne Medizintechnik ist der Datenschutz. Laut E-Health-Gesetz sollen bis zum Jahr 2018 alle Arztpraxen, Kliniken und Apotheken in die Telematik-Infrastruktur integriert werden. Dabei sprechen wir übrigens von dem größten IT-Projekt weltweit – klar, dass das Thema Datenschutz hier bereits heute öffentliches Interesse weckt. Wer seinen Patienten zukünftig Auskunft über den Datenschutz im Health-Care-Netzwerk geben möchte, kann auf der Website des Bundesministeriums für Gesundheit nachlesen, wie Daten zukünftig mithilfe einer speziellen Verschlüsselungstechnik gesichert werden. Denn Patienten wollen wissen, was mit ihren Daten passiert und wie sicher diese sind.
Allerdings nimmt Dr. Johannes Wimmer, deutscher Arzt und Fernsehmoderator, auch wahr, wie das Thema Datenschutz für erkrankte Patienten eben nicht die höchste Priorität hat und verkündete jüngst in einer Diskussionsrunde von KPMG zum Thema E-Health und Datenschutz: „Im Krankenhaus muss man tausend Sachen unterschreiben und sichern […] und dann posten Patienten Fotos von ihren Arztbriefen auf die Facebook-Seite.“ Seiner Meinung nach ist Datenschutz zwar wichtig, jedoch steht er im Zeitalter der Digitalisierung auch grundlegenden Entwicklungen im Weg: „Das Problem ist, Datensicherheit ist ein Luxus für Gesunde. Wenn ich krank bin und ich habe eine seltene Erkrankung, dann gehe ich jeden Weg und greife mir jeden Strohhalm. Und der ist online. […] Der Datenschutz ist der Knüppel zwischen den Beinen, wobei man sagt, wenn man den einmal weg nimmt oder die Politik das Tor einmal zu weit aufmacht, dann kann auch ein großer Schaden passieren. Wir Ärzte […] wollen ja keinen Schaden anrichten in erster Linie, sondern wir wollen helfen.“ [1]
Herausforderung Datenauswertung: Das Computersystem IBM Watson wertet Daten bereits aus und erstellt Analysen
Die Massen der Patientendaten in der Medizin zu digitalisieren und zentralisieren, ist nur der erste Schritt in Richtung Zukunft. Wichtiger noch als das Sammeln von Daten ist es, Möglichkeiten zu finden, diese sinnvoll zu nutzen. Alle zwei Jahre verdoppelt sich das medizinische Wissen, das auf der Welt produziert wird. Doch können Ärzte nur einen Bruchteil der Veröffentlichungen lesen. Es wird die größte Herausforderung in Bezug auf Big Data werden, diese Mengen an Daten sinnvoll auszuwerten.
An diesem Punkt kommt IBM Watson ins Spiel. Es ist das erste kognitive Computer-System, das kommerziell einsetzbar ist. Watson kann große Mengen an Daten erkennen, auswerten, filtern und zueinander in Bezug setzen. Dem Benutzer werden im besten Fall sinnvolle Ergebnisse geliefert, die er für die Diagnose und die Behandlung nutzen kann. Das System erkennt Zusammenhänge und erstellt Analysen, die Menschen nicht erfassen. Dadurch können Krankheiten präventiv erkannt, therapiert und behandelt werden. Der deutsche Krankenhausbetreiber Rhön Klinikum AG (RKA) testet ab Ende 2016 am Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen (ZusE) des Universitätsklinikums Marburg ein auf der IBM-Watson-Technologie basierendes, kognitives Assistenzsystem. Das System soll die Ärzte und Spezialisten bei der Diagnosefindung seltener Krankheiten unterstützen und so die Behandlungszeit verkürzen.
Wird Watson dadurch eines Tages den Arzt ersetzen? Dr. John Kelly, Senior Vice President von IBM Watson, verneint. Auf der TechCrunch Disrupt 2015 in San Francisco betonte er, Watson sei ein kognitives Hilfstool, das dem Arzt helfen kann, Zusammenhänge zu erkennen, die er nicht sieht. Big-Data-Analysen können dazu führen, dass Mediziner sich auf scheinbar „objektive“ Daten verlassen, ohne deren Zustandekommen zu verstehen. Es braucht jedoch medizinische Erfahrung, um die von Watson zur Verfügung gestellten Daten einschätzen zu können und handzuhaben.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt Deutschland im Bereich der Digitalisierung zurück – auch im Bereich Medizintechnik
Je mehr Daten solch ein System hat, desto bessere Ergebnisse kann es liefern. Laut dem „European Hospital Survey“ (PWC, 2014), das im Auftrag der EU durchgeführt wurde, sind lediglich sechs Prozent der deutschen Kliniken so vernetzt, dass ein effizienter Datenaustausch gelingen kann. Deutschland hinkt im Europa-Vergleich bei der Digitalisierung hinterher. Um Big Data sinnvoll nutzen zu können, ist es erforderlich, cloud-basierte Systeme zum Austausch von Daten zwischen Krankenhäusern und anderen medizinischen Dienstleistern im großen Stil zu etablieren. Zudem muss natürlich das entsprechende Budget in die Infrastruktur investiert werden.
Die Universitätsklinik Rostock betreibt seit Februar ein Pilotprojekt zur digitalen Vernetzung von Leistungserbringern. Die Klinik bindet externe Partner in die Versorgung ihrer Patienten ein. Apotheken, Hausärzte, Sanitätshäuser, Pflegedienste und Reha-Einrichtungen werden digital mit der Klinik vernetzt und können Befunde und Rezepte elektronisch übermitteln. Externe Leistungsträger sollen zukünftig auf die elektronische Patientenakte zugreifen können, um ihre Leistungen gezielter anbieten zu können.
Eine weitere Möglichkeit, um die Arbeit im Krankenhaus zu erleichtern, sind RFID-Chips, die im Jahr 2014 auch von der zentralen Notaufnahme des Klinikums Fulda eingeführt wurden. RFID ist eine Chip-Technologie, die zur berührungslosen Identifizierung und Lokalisierung von Lebewesen verwendet wird. Vor allem ihre geringe Größe und der niedrige Preis ermöglichen eine breite Anwendung. Medizinische Geräte können mit Funkchips ausgestattet und damit schneller aufgefunden werden. RFID-Chips in Patienten-Armbändern werden in Krankenhäusern in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen. Die wichtigsten Daten jedes Patienten können darauf gespeichert und schnell abgerufen werden. Durch die speziellen Armbänder ist es möglich, Verwechslungen in Krankenhäusern zu reduzieren – dadurch kommt es langfristig zu einer Kostenersparnis. Dementen Patienten bietet diese Technologie die Chance, mehr Bewegungsfreiraum zu haben.
Moderne Medizintechnik: Drohnen erleichtern die Medikamenten-versorgung in schwer zugänglichen oder gefährlichen Gebieten
Auch Drohnen können in der Medizin von großem Nutzen sein. Sie garantieren ungeachtet des Straßenzustandes oder des Verkehrsaufkommens einen zuverlässigen, schnellen Transport von Medizin sowie ein zügiges Diagnoseverfahren. Schwer zugängliche Gebiete, wie etwa die Kriegsgebiete in Syrien, können so mit Medikamenten versorgt werden. In Malawi werden bereits erste Drohnen zum Transport von Blutproben ausprobiert. Damit könnten Ergebnisse von HIV-Erkrankungen innerhalb von nur fünf Tagen statt mehreren Wochen oder Monaten vorliegen. Die Technische Universität Delft in Holland arbeitet derzeit an einer Drohne, die mit bis zu 100 Stundenkilometern einen Defibrillator an den Ort bringen kann, an dem sie gebraucht wird. Auch in Deutschland werden Drohnen von medizinischen Einrichtungen bereits genutzt, um Blutkonserven in wenigen Minuten zwischen Blutbank und Kliniken zu transportieren – Die AGAPLESION FRANKFURTER DIAKONIE KLINIKEN führen derzeit Versuche durch.
Ein führender Anbieter von Drohnen ist übrigens Matternet: Das Unternehmen hat das Ziel, ein Netzwerk aus Solar-Ladestationen aufzubauen, zwischen denen die Drohnen selbständig den optimalen Weg finden. Da die Drohnen autonom fliegen, Hindernissen ausweichen und in Forma-tion fliegen, können vor Ort gesammelte medizinische Proben ohne Umwege direkt ins Labor gebracht werden.
Und wie sieht es mit Robotern im Klinikalltag aus? Die automatisierte Operationstechnik steckt erst in den Kinderschuhen. Aber Roboter werden unverzichtbare Assistenten im Klinikalltag werden, da sie sehr präzise arbeiten. Seit September 2016 verfügt das Klinikum Nürnberg über das Da Vinci Surgical System Xi – derzeit der modernste OP-Roboter Bayerns inklusive steuerbarem Operationstisch. Er wird beispielsweise bei Prostata- oder Nierenerkrankungen eingesetzt.
Darüber zu mutmaßen, welche Technologien noch kommen werden, gleicht einem Blick in die Glaskugel. Sicher ist jedoch, dass das gesamte Medizinpersonal in Zukunft mehr IT-Wissen benötigt, da die Systeme nicht nur verwendet, sondern in ihren komplexen Anwendungsmöglichkeiten auch verstanden werden müssen. Der Arzt der Zukunft wird digital versiert sein, um die Technologien der Zukunft einwandfrei nutzen zu können und mit vielen neuen Herausforderungen und Möglichkeiten konfrontiert werden.