Der Hausarztmangel wird in den nächsten Jahren ein großes Thema werden und das Gesundheitssystem stark fordern. Vor allem in den ländlichen Regionen könnte dies schnell zu einem großen Problem werden. Doch eigentlich spricht für die interdisziplinäre Fachdisziplin sehr viel Positives – auch auf dem Land. Dr. med. Moritz Götzelmann verrät, was den Beruf des Allgemeinmediziners ausmacht, wieso das Arbeiten im ländlichen Raum viel spannender als in der Stadt sein kann und an welchen Stellschrauben noch gedreht werden muss, damit der angekündigte Mangel an Hausarztsitzen noch eingedämmt werden kann.
Herr Götzelmann, stellen Sie sich vielleicht zu Anfang kurz vor. Wie sind Sie zur Medizin gekommen?Mein Name ist Moritz Götzelmann, ich bin 34 Jahre alt und seit Mai 2021 Facharzt für Allgemeinmedizin. Nach meinem Abitur habe ich ein Jahr als Zivildienstleister beim Rettungsdienst gearbeitet und bin so zur Medizin gekommen. Schon während des Studiums war für mich klar, dass ich im Fach Allgemeinmedizin praktizieren möchte. Ausschlaggebend war, dass die Allgemeinmedizin den Fokus darauf legt, den Menschen als Ganzes zu sehen.
Wie kam es dann dazu, dass Sie sich für eine Karriere auf dem Land entschieden haben?
Auf dem Land hat man, meiner Meinung nach, als Allgemeinmediziner noch einmal ein breiteres Behandlungsspektrum als in der Stadt. So behandeln wir in unserer Landarztpraxis vom Säugling bis hin zum Hochbetagten. Der Kinderarzt oder auch andere Spezialisten sind Kilometer weit entfernt. Wir übernehmen beispielsweise auch die Wundversorgung von akuten Wunden, die genäht werden müssen, bei denen Patientinnen und Patienten aus der Stadt tendenziell eher in die Notaufnahme anstatt zum Hausarzt gehen würden. Somit haben wir Ärzte auf dem Land vermutlich ein breiteres Spektrum an Behandlungsfällen. Das macht den Reiz vom Praktizieren auf dem Land aus.
Können Sie unserer Leserschaft den aktuellen Status Quo, der in der Medizin im ländlichen Raum vorherrscht, kurz beschreiben?
Wir haben wirklich ein riesiges Problem, das in den nächsten Jahren noch auf uns zukommt. In Bayern sind aktuell hunderte Allgemeinarztsitze derzeit nicht besetzt. Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte sind über 60 Jahre und gehen nun nach und nach in den Ruhestand. Da rollt ein Mangel auf uns zu, den wir nicht absehen können. Ein Beispiel aus meinem persönlichen Umfeld: In unseren Nachbardörfern haben Ärzt:innen aufgehört, die keinen Nachfolger finden konnten. Viele Hausarztpraxen haben einen Aufnahmestopp und nehmen keine neuen Patientinnen und Patienten mehr auf. Entsprechend gibt es nun Menschen, die keinen Hausarzt/keine Hausärztin mehr finden können. Sie müssen nun wegen allen Beschwerden in die Bereitschaftspraxis, die Notaufnahme oder den Notdienst anrufen. Hier entsteht leider eine Art Zweiklassen-Medizin – nämlich von Menschen welche noch einen Hausärzt:in haben und Menschen, welche gesundheitlich alleine gelassen werden. Gleichzeitig drängen große Finanzinvestoren auf den Markt, die offene Hausarztsitze aufkaufen und die Versorgungslandschaft vermutlich sehr verändern werden. Es bleibt somit ein spannendes Thema, inwiefern sich die (Allgemein) Medizin verändern wird.
Sie sind in einer Landarztpraxis angestellt, bei der gegenüber der Stadt die PKV-Dichte der Patienten geringer ist. Gibt es dennoch Vorteile zu den Ballungsgebieten?
Finanziell kann es ein Standpunkt sein, dass sich eine Stadtpraxis mit einem höheren Privatanteil und einem häufig jüngeren Patientenklientel mehr lohnt. Ich selber fahre auch von der Stadt aufs Land, da ich das Stadtleben und die kulturellen Angebote schätze, dennoch ist die Breite des Spektrums, die mir eine Landarztpraxis bietet, größer. Da man oft der einzige Ansprechpartner für seine Patient:innen ist, ist man, meines Erachtens, oftmals näher am Menschen dran.
Gibt es auch Nachteile?
Ich hab keinen direkten Einblick in die Verdienstmöglichkeiten meiner Kolleg:innen in einer Stadtpraxis, aber möglicherweise ist die finanzielle Komponente ein Nachteil. Zudem hat man viel Verantwortung und lange Wege zu den nächsten Spezialisten. Auch der Lifestyle unterscheidet sich – man hat wesentlich weniger kulturelle Angebote. Das ist der Grund, weshalb ich mich für das Leben in der Stadt aber das Arbeiten auf dem Land entschlossen habe.
Wie schon angesprochen herrscht auf dem Land ein hoher Ärztemangel – nicht nur von Allgemeinmediziner:innen, sondern auch von Fachärzt:innen. Woran könnte es liegen, dass sich viel weniger junge Ärzt:innen auf dem Land niederlassen wollen?
Das hat viele Gründe. Jahrelang hat man den Ärztemangel politisch nicht gesehen – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Die Förderprojekte, die es gibt (beispielsweise die Weiterbildungsförderung der Kassenärztlichen Vereinigung) greifen meines Erachtens in der Stadt auch schneller, da man dort an den Universitäten ausgebildet wurde. In den Städten haben die jungen Ärztinnen und Ärzte ihr soziales Netz gewebt. Zudem hat die Stadt, wie schon erwähnt, auch ein größeres kulturelleres Angebot. Oftmals ist der Partner oder die Partnerin an einen Beruf in der Stadt gebunden. So bleiben häufig die Ärztinnen und Ärzte auch nach ihrem Studium und der Weiterbildung lieber in der Stadt. Explizite Anreize für einen Umzug auf das Land gibt es nur wenige. Wenn ein Arzt oder eine Ärztin nicht auf dem Land aufgewachsen ist oder der Partner/die Partnerin, zieht es ihn/sie auch nicht in den ländlichen Raum. Hier müsste es in meinen Augen spezielle Anreize geben, um das Praktizieren auf dem Land attraktiver zu gestalten. Es gibt zwar schon kleine Projekte, wie beispielsweise dem BeLa-Projekt (Beste Landpartie) in Bayern, doch der Aspekt existiert noch zu wenig, um eine Umverteilung von Stadt und Land hervorzurufen.
Ich denke, dass sich über den finanziellen Anreiz vieles realisieren lässt. Projekte wie die Beste Landpartie, die schon während des Studiums Studierende dazu bewegt, dass sie auf dem Land mitarbeiten und dort in einer Praxis praktizieren, sind ein guter Ansatz, um frühzeitig eine Tätigkeit in einer Praxis für sich als Berufsbild zu entdecken.
Was müsste von Seiten der Politik anders gemacht werden, damit das Praktizieren auf dem Land attraktiver wird?
Positiv hervorzuheben ist, dass das Problem insgesamt schon erkannt wurde und nun gegengesteuert wird. Zum einen könnte man die Anzahl der Medizinstudiumsplätze erhöhen, da in Zukunft durch den häufigen Wunsch nach Teilzeittätigkeit und der immer komplexer werdenden Medizin vermutlich mehr Ärzt:innen für eine gute Versorgung benötigt werden. Zum anderen müssen noch bessere und fairere Weiterbildungsbedingungen geschaffen werden. Es muss klar sein, dass, wenn die Ärztinnen und Ärzte von Morgen nicht gut ausgebildet werden, wir im Umkehrschluss auch keine guten Ärztinnen und Ärzte in Zukunft haben. Über-, Unter- und Fehlversorgung sind die Folge.
Es gibt viel Förderung in Bezug auf medizinisches Wissen, aber leider nicht in Bezug auf die Niederlassung selber. Da wäre eine Koordinierungsstelle, die einem seitens der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Niederlassung hilft, sehr wertvoll. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass es auch schon Fördergelder für die Niederlassung in ländlichen Regionen gibt – und das ist ein wirklich guter Schritt. Aber man könnte versuchen die Niederlassungsbedingungen etwas zu vereinfachen. Im Sinne davon, dass beispielsweise Bürokratie abgebaut und die Abrechnungsmodalitäten vereinfacht werden. Derzeit ist es für uns Humanmediziner noch sehr schwierig durchzusteigen. Schließlich haben wir keine betriebswirtschaftliche Ausbildung, sondern haben Medizin studiert. Wichtig ist auch zu schauen, ob vielleicht viele junge Mediziner:innen keine eigene Selbstständigkeit in Betracht ziehen, sondern lieber wie ich in einer ländlichen Praxis angestellt sein wollen. An dieser Stelle müssen in Zukunft andere Modalitäten geschaffen werden, um Ärztinnen und Ärzte zu fairen Bedingungen anstellen zu können. Dabei sollte so eine Anstellung nicht nur für große investorengertriebene Praxen mit eigenem Management, sondern auch für kleinere Praxen einfach und unbürokratisch möglich sein, Ärzt:innen in Teilzeit oder Vollzeit anzustellen.
Sollte dann im Studium dann mehr betriebswirtschaftliches Wissen mitgegeben werden?
Ich denke, dass es im Studium zu früh ist, dieses Wissen zu vermitteln. Im Studium geht es darum, medizinisches Wissen zu bekommen – und auch in der Weiterbildung ist man so beschäftigt, sich eine gute breite Medizin (in der Allgemeinmedizin) anzueignen. Priorität Nummer eins sollte die gute fachliche Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte sein. Dennoch würde ich mir gegen Ende der fachärztlichen Weiterbildung wünschen, dass es mehr Angebote gibt, sich auch betriebswirtschaftliches Wissen anzueignen. Oder auch die Möglichkeit, dass man nach der Facharztprüfung an die Hand genommen und bei der Niederlassung unterstützt wird. Wie schon angesprochen fehlt eine Koordinierungsstelle Niederlassung. In Bayern und zahlreichen weiteren Bundesländern gibt es zwar eine Koordinierungsstelle für Allgemeinmedizin, doch die kümmert sich eher um das medizinische Wissen im Rahmen der Weiterbildung. Wünschenswert wäre eine Koordinierungsstelle für die Niederlassung die beides umfasst, die medizinische und die betriebswirtschaftliche Komponente.
Es gibt das Gerücht, dass die Fachdisziplin Allgemeinmedizin am wenigsten am Zahn der Zeit ist. Wollen sie damit ein für alle Mal aufräumen?
Ich persönlich bin der Meinung, dass die Allgemeinmedizin die Königsdisziplin der Medizin ist. Wir haben schließlich den Menschen als Ganzes im Blick. Ich habe schon öfter erlebt, dass Gebietsspezialisten Patient:innen an uns Allgemeinmediziner:innen mit der Aussage zurückschicken: „Da kümmert sich dann ihr Hausarzt:in drum“ Das ist sicherlich häufig auch vollkommen richtig, kann manchmal aber auch zum einen der Bequemlichkeit geschuldet sein, zum anderen auch daran liegen, dass die Gebietsspezialisten es einfach nicht können. Natürlich ist es eine große Herausforderung in allen Bereichen immer am Puls der Zeit zu bleiben. Aber oftmals ist die Neuerung, die ein Fachgebiet bietet, unter Umständen eine Kontraindikation in einem anderen Gebiet. Und dabei den ganzen Menschen zu sehen sowie gleichzeitig das familiäre und soziale Umfeld im Blick zu haben, ist in meinen Augen eine große Kunst. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und ein Bewusstsein dafür zu haben, wann es besser ist, einen Patienten/eine Patientin an einen Spezialisten zu übergeben.
Zu guter Letzt. Was lieben Sie an Ihrem Beruf am meisten?
Die Vielseitigkeit. Das ist aber Segen und Fluch zugleich: Einerseits eine große Freude immer überrascht zu werden und vielseitig dem Menschen zu helfen und andererseits die große Aufgabe des lebenslangen Lernens.