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    „Die Corona Pandemie bietet Chancen und Risiken für das Gesundheitswesen“

    0
    By Caspar on 3. Dezember 2020 Erfahrungen & Essays, Ratgeber für Ärzte

    Medizinethikerin Corona Claudia Bozzaro

    Die Corona-Krise wirkt für alle Branchen wie ein Brennglas, unter dem teilweise schon lange schwelende Probleme noch sichtbarer werden. Der Veränderungsdruck auf das Gesundheitswesen nimmt ebenfalls zu. Die Medizinethikerin Prof. Dr. phil. Claudia Bozzaro vermittelt uns ihre Sicht auf ökonomische Restriktionen, die Digitalisierung der Medizin und auf die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Corona-Pandemie.

    Die Ökonomisierung der Medizin schreitet immer weiter voran. Viele Ärzt:innen beklagen, das sie sich unter Druck gesetzt fühlen und der/die Patient:in als Teil einer Wertschöpfungskette angesehen wird. In welcher Situation befinden wir uns gerade?
    Ich nehme wahr, dass die Thematik viele Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen beschäftigt. Grundsätzlich ist in meinen Augen die Ökonomie ein selbstverständlicher Teil der Gesundheitsversorgung. Ein effektiver und gerechter Umgang mit begrenzten Ressourcen ist durchaus auch in ethischer Perspektive geboten. Mo­mentan erleben wir eine starke Zunahme der Gesundheitskosten und es bedarf, meiner Ansicht nach, einer breiteren und vor allem transparenteren gesellschaftlichen Diskussion darüber, wie begrenzte Ressourcen im Gesundheitswesen fair verteilt werden sollen. Was natürlich problematisch wäre, ist, wenn unter Ökonomie nur noch Gewinnmaximierung verstanden würde, die auf Kosten einer guten Be­handlung von Patient:innen erzielt werden soll. Das würde die intrinsische Motivation vieler Mitarbeiter:innen eliminieren, was sicherlich schlimme Folgen mit sich zieht.

    Medizinökonom:innen argumentieren, dass eine Erhöhung der Effizienz den Patienten zu Gute kommt. Werden Pa­tient:innen von Ärzt:innen auch als Schutzschild für ein tradiertes Gesundheitswesen genutzt, um den für den einzelnen manchmal vorteilhaften Status Quo zu bewahren?
    Ich kann dazu keine allgemeine Antwort geben. Die Bildung von Schwerpunktzentren kann durchaus die Effektivität steigern, auch zu Gunsten einer besseren Behandlung für die Patient:innen. Das darf aber natürlich nicht dazu führen, dass einige Regionen dadurch von einer guten Gesundheitsversorgung abgeschnitten werden.

    Welchen Einfluss auf die Medizin wird die Digitalisierung haben und wie sollten sich junge Ärzt:innen darauf vorbereiten?
    Ich glaube, dass die Digitalisierung große Potenziale und zugleich auch einige Ge­fahren mit sich bringt. Es kann sehr hilfreich und in einigen Bereichen sehr sinnvoll sein, zum Beispiel zunächst eine telematische Sprechstunde in Anspruch nehmen zu können. Als Mutter von zwei klei­nen Kindern empfinde ich es beispielsweise als eine enorme Entlastung, wenn man nicht mit einem fiebernden Kind in die Kinderarztpraxis laufen müsste, um ein entsprechendes Attest zu be­kommen. Aber es muss sehr genau hingeschaut werden, wo Telematik den direkten zwischenmenschlichen Kontakt ergänzen kann und wo nicht. Zudem muss auch darauf achtgegeben werden, dass wir durch die Digitalisierung nicht neue Formen von „digitaler Vulnerabilität“ – dieser Begriff stammt von Prof. Dr. Stefan Selke – schaffen, zum Beispiel dadurch, dass Menschen ohne Zugang zu digitalen Me­dien gesundheitliche Nachteile haben.

    Junge Mediziner:innen berichten uns, dass die Führungskultur in Krankenhäusern noch sehr klassisch ist. Warum ist das so?
    Das ist tatsächlich so und das sollte sich schleunigst ändern, denn sonst verlieren wir in den kommenden Jahren immer mehr gut ausgebildete Ärzt:innen. Das hat vermutlich noch mit der paternalistischen Ausrichtung der Medizin zu tun und mit gewachsenen Machtstrukturen.

    Glauben Sie, dass sich durch Corona die Wahrnehmung und Wertschätzung ge­genüber dem Gesundheitswesen deutlich verändern wird?
    Wenn ich ehrlich bin: nein. Schon jetzt, in der zweiten Welle, in der sich der erste Schock gelegt hat und viele Menschen die Restriktionen satt sind, zeigt sich, dass der Applaus für die „systemrelevanten“ Berufe deutlich leiser geworden ist. Vor allem in Bezug auf die Pflegekräfte finde ich es höchst problematisch, wie wenig wir gesellschaftlich bereit sind, der harten Arbeit, die diese Menschen tagtäglich erbringen, angemessene Wertschätzung entgegen zu bringen. Es bedarf hier einer ganz grundlegenden Umgestaltung, an­gefangen bei der Pflegeausbildung.

    Welche Folgen wird die Corona-Erfahrung generell für die Gesellschaft haben?
    Corona wird auf vielen Ebenen Folgen haben. Zunächst werden wir mit gravierenden wirtschaftlichen Einbußen zu kämpfen haben, die bestehende soziale Probleme verschärfen werden. Ob wir diese Krise nutzen werden, um auf diese negativen Folgen konstruktiv zu antworten und somit, auf längere Sicht gedacht, vielleicht dann auch positive Entwicklungen zu befördern, muss man abwarten. Ich denke bezüglich der Fragen nach einem bewussteren Umgang mit der Natur, hinsichtlich der Klimakrise und auch bezüglich einer Neuausrichtung der Ar­beitswelt (Stichwort Flexibilisierung und Work-Life-Balance) könnten aus der Krise sicherlich auch Chancen erwachsen.

    Viele unserer Leser:innen stehen noch relativ am Anfang ihrer Medizinerkarriere und haben etwa die Entscheidung über die für sie passende Weiterbildung zu treffen. Müssten die Ethiker nicht raten, die Weiterbildung zu wählen, in der der Bedarf am größten ist?
    Ich würde immer noch dazu raten, das zu machen, was einem am meisten interessiert, wofür man wirklich brennt. Dann finden sich oft auch Lösungen für Schwierigkeiten, die in der Regel dazugehören. Aber aus Kalkül ein Fach zu wählen, was einen nicht wirklich interessiert, finde ich nicht sinnvoll.

    Welche der medizinethischen Fragen wird uns in den kommenden Jahren Ihrer Meinung nach besonders beschäftigen?
    Es werden voraussichtlich sehr viele Themen sein: von den klassischen medizinethischen Fragen rund um das Thema Sterbebegleitung über die aktuell im Fokus stehenden Fragen rund um die Public Health-Ethik wie beispielsweise die Frage nach der Priorisierung knapper Güter bis hin zu grundlegenden Fragen der Ausrichtung der Medizin in einem digitalen Zeitalter.


    Medizinethikerin Corona Claudia Bozzaro
    © Christian Hannes

    Prof. Dr. phil. Claudia Bozzaro ist Medizinethikerin und Philosophin. Sie hat Philosophie und Kunstgeschichte in Freiburg und Paris studiert. Nach der Promotion im Fachbereich Philosophie war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik und Geschichte der an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg tätig. Nach der Habilitation an der medizinischen Fakultät in Freiburg hat sie im Oktober 2020 die Professur für Medizinethik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel übernommen.


    Weitere Erfahrungsberichte finden Sie unter: arztundkarriere.com/erfahrungen-und-essays

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    Dr. med. Alice Martin

    "Wenn ich das gewusst hätte..."
    Die Rubrik in der erfahrende Ärzt:innen aus dem Nähkästchen plaudern.


    „Je detaillierter die Beschreibung, umso besser die Diagnose!“

    „Als junge Medizinstudentin habe ich sehr häufig Hautausschläge gesehen und auch schon einmal selbst einen Ausschlag gehabt.

    Sehr erstaunlich ist, wie viele verschiedene Fotos von Hautproblemen existieren und daraus resultierend die Feststellung, wie unterschiedlich die Hautausschläge aussehen können. Durch eine sehr gute Beschreibung lässt sich das Hautproblem jedoch meistens diagnostizieren. Viele Konsile zwischen Ärztinnen und Ärzten laufen manchmal allerdings nur rein deskriptiv, beispielsweise durch Fachbegriffe, ab. Und bei einer sehr guten Beschreibung und einer kurzen Anamnese bedarf es gelegentlich sogar gar keinem Foto.

    Ich hätte mir gewünscht, im Medizinstudium einen noch stärkeren Fokus auf diese Deskription zu erhalten. Denn ich merke nun selbst, dass die Dermatologie, genau wie die Augenheilkunde, einer der Fachbereiche ist, in dem man als andere Fachdisziplin Schwierigkeiten hat und meistens nur – salopp formuliert – Kortison verwendet und erst bei ausbleibender Verbesserung einen Arzt einschaltet.“


    Dr. med. Alice Martin ist Hautärztin in Weiterbildung und Mitgründerin der Online-Hautarztpraxis dermanostic, sowie dem Online-Portal zur medizinischen Weiterbildung medi-login. Sie tritt als Speakerin im Bereich „Digital Health“ auf und ist seit 2021 als Dozentin an der FOM Hochschule tätig.

    Dr. med. Ole Martin

    "Wenn ich das gewusst hätte..."
    Die Rubrik in der erfahrende Ärzt:innen aus dem Nähkästchen plaudern.


    „Nehmt euch die Zeit und schnuppert auch in medizinische Berufe fernab des OP-Saales“

    „Ärzte dürfen keine Fehler machen!“ Wer mit Menschenleben arbeitet, kann es sich nicht erlauben, unkonzentriert zu sein, zu zögern oder gar an sich selbst zu zweifeln.
    Das ist ein Mantra, nach dem junge Mediziner:innen in der Regel leben, ja sogar leben müssen. Tagtäglich mit Krankheit, Gesundheit, Leben und Tod konfrontiert zu werden, macht eine solche Einstellung erforderlich.

    Als Arzt in einem Unternehmen zu arbeiten, bedeutet hingegen eine ganz andere Fehlerkultur: Während Fehler während einer medizinischen Behandlung auf keinen Fall passieren dürfen, gehört das „Fehler-Machen“ in der freien Wirtschaft mit dazu – und wird sogar eingefordert. Wie im alltäglichen Leben sind Fehler häufig die Grundvoraussetzung dafür, dass man lernt und über sich hinauswächst. Im Vergleich zu einer Arbeit am OP-Tisch oder im Behandlungszimmer muss im Unternehmens-Kontext viel ausprobiert und gewagt werden – seien es neue Geschäftsmodelle, verrückte Werbekampagnen oder innovative Vertriebsstrategien.

    Die beiden Fehlerkulturen könnten gegensätzlicher nicht sein. Das ist aber auch nicht schlimm! Unterschiedliche Umstände verlangen unterschiedliche Normen. Wichtig ist aber, dass man sich dieser verschiedenen Welten bewusst wird. Tut man dies nicht, läuft man Gefahr, die ärztliche Fehlerkultur auch auf andere Lebensbereiche zu übertragen.

    Was kann man also tun? Ich kann euch nur empfehlen, neben eurer ärztlichen Ausbildung auch mal ein Praktikum im nicht-ärztlichen Bereich, wie zum Beispiel in einem Unternehmen, zu machen. Dadurch habt ihr die Chance, beide Welten kennenzulernen und könnt dann eine Entscheidung treffen, für welchen Weg ihr euch entscheidet.


    Dr. med. Ole Martin hat an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Medizin studiert und anschließend an der Düsseldorfer Universitätsklinik seine Facharztausbildung für Radiologie begonnen. Schon früh wollte er sich für bessere Lösungen in der medizinischen Versorgung einsetzen. Daher baute er seit 2018 als CTO die medizinischen Online-Lernplattform medi-login auf. 2019 gründete er dann zusammen mit seiner Frau Dr. Alice Martin und dem Ärzte-Ehepaar Dr. Estefanía und Patrick Lang die Online-Hautarztpraxis dermanostic, bei der er als Geschäftsführer tätig ist.

    Uwe Michael Glatz

    "Wenn ich das gewusst hätte..."
    Die Rubrik in der erfahrende Ärzt:innen aus dem Nähkästchen plaudern.


    „Kümmert euch frühzeitig um eure Altersvorsorge und finanzielle Absicherung!“

    „Lange Zeit hatte ich selbst die Themen Absicherung, Vorsorge und Vermögensaufbau vernachlässigt. Im Berufsalltag stand die medizinische Versorgung der Patienten und die eigene Facharzt-Weiterbildung im Mittelpunkt. Ich habe mir wenig Gedanken darum gemacht, wie ich mit dem Geld, das ich tagtäglich verdiene, sinnvoll umgehe. Dass die Rente der ärztlichen Versorgungswerke im Ruhestand nicht ausreichen wird, um meinen Lebensstandard zu halten, wusste ich ebenfalls nicht.

    Vor einigen Jahren habe ich nach einer persönlichen Krise begonnen, mich in diesen Bereichen zunächst privat weiterzubilden. Diese Entwicklung habe ich dann mit einer IHK-Prüfung abgeschlossen. Heute berate und begleite ich Ärzt:innen und Angehörige anderer medizinischer Berufsgruppen in allen Finanz- und Absicherungsfragen. Mit dem Wissen von heute hätte ich bereits im Studium begonnen, eine zusätzliche private Rente aufzubauen und mich um die Absicherung meiner Arbeitskraft gekümmert. Das geht schon mit relativ kleinen Monatsbeiträgen, die je nach Karrierefortschritt weiter gesteigert werden können. Positiver Nebeneffekt: Man gewöhnt sich an die regelmäßigen Investments und passt seinen Lebensstandard mit der Zeit entsprechend an.“


    Uwe M. Glatz war jahrelang leitender Oberarzt in der Viszeralchirurgie und arbeitet jetzt als Finanzexperte für Ärzt:innen. Ihnen fehlt oftmals die Zeit, sich neben ihrer anspruchsvollen und zeitintensiven Tätigkeit noch mit Fragen der Vorsorge und Absicherung zu beschäftigen.

    Univ.-Prof. Dr. Ines Gockel

    "Wenn ich das gewusst hätte..."
    Die Rubrik in der erfahrende Ärzt:innen aus dem Nähkästchen plaudern.


    „Eignet euch Kompetenzen in Sachen Management und Führung an."

    „Meinen MBA für International Healthcare Management an der Frankfurt School of Finance and Management habe ich erst relativ spät in meinem beruflichen Werdegang absolviert, also kurz vor meinem Ruf auf die W3-Professur für Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig. Das MBA-Programm war beruflich und auch persönlich die wichtigste und lehrreichste Zeit in meinem Leben nach meinem Medizinstudium.

    Die erworbenen Skills und Kompetenzen wären mir sicherlich bereits viel früher zu Gute gekommen, hätte ich mich zuvor intensiver mit dieser Möglichkeit beschäftigt, die prinzipiell bereits nach zwei Jahren Berufserfahrung möglich gewesen wäre. Ich kann nur dazu raten, diese Zusatzausbildung so früh wie möglich in Betracht zu ziehen, denn Management-, Business- und Führungsthemen werden im Medizinstudium nur marginal adressiert. Diese, wie auch werteorientiertes ärztliches Handeln und wirtschaftliche Grundprinzipien, welche eng miteinander verknüpft sind, sollten aus meiner Sicht fest in das Medizinstudium implementiert werden.“


    Univ.-Prof. Dr. Ines Gockel leitet die Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig, AöR. Sie ist Fachärztin für Chirurgie, Viszeralchirurgie und Spezielle Viszeralchirurgie. Sie absolvierte einen MBA für International Healthcare Management an der Frankfurt School of Finance and Management.

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