„Höher, schneller, weiter”, war Luca Bischonis Motto, bis er im Studium depressiv wurde. Der 23-Jährige hat seine Erfahrungen in einem Buch verarbeitet: „Als man mir den Stecker zog”. Wie Luca gelernt hat, mit seiner Depression umzugehen und den Weg aus dem Tief gefunden hat, schildert er uns in einem Interview, in dem er auch vor dem Streben nach dem „perfekten Lebenslauf” warnt.
Skizziere für unsere Leser:innen doch kurz deine Geschichte.
Vor meinem „Zusammenbruch” war ich ein leistungsorientierter Mensch, der immer „höher, schneller, weiter” wollte. Im Sommer 2020 trennte sich dann meine damalige Freundin von mir und von heute auf morgen wurde es ganz schön düster. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren und war förmlich verloren; jeder wird wohl an Liebeskummer denken, das tat ich auch, aber auch viele Monate nach der Trennung fühlte ich mich wahnsinnig antriebslos. Ich konnte nichts mehr leisten und so war die Katastrophe „perfekt“. Mein Selbstwert hing massiv von dieser Leistungsfähigkeit ab und es ging nichts mehr. Dort wo einst die guten Noten und der Fleiß waren, lag ich nun im Bett und die einzige Frage, die mir durch den Kopf ging, war: „Warum zum Henker sollte ich bitte aufstehen? Was soll der ganze Scheiß überhaupt?“
Danach folgte der Absturz – die dunkelste Zeit, die man sich vorstellen kann und die Depression begann mich einzuengen. Inmitten von Lockdown, sozialer Isolation und Pandemie konnte ich nicht einmal mehr aufstehen und wartete quasi „auf mein Ende”. Im Sommer 2021 folgte ein stationärer Klinikaufenthalt und der Leidensdruck blieb fast unverändert groß und immer mehr Ängste krochen aus allen Ecken und Kanten. Erst Ende 2021 fand ich langsam einen Weg zurück ins Leben. Dieser bestand darin, dass ich zu schreiben begann und das Resultat dessen ist das Buch „Als man mir den Stecker zog“.
Was waren die ersten Anzeichen deiner Depression und wie bist du anfänglich damit umgegangen?
Es fühlte sich an wie eine dunkle Wolke, die sich über mein Leben legte. Schlafprobleme und steigender Alkoholkonsum waren Warnsignale. Selbst einfache Aufgaben wie Zähneputzen wurden unüberwindbare Herausforderungen. Für mich fühlte es sich so an, als würde ich die gesamte „Kontrolle“ über mein Leben verlieren und es wurde immer dunkler um mich herum – egal was ich tat. Ich wollte mir die Probleme zunächst nicht eingestehen und hatte eine stigmatisierte Sichtweise auf psychische Erkrankungen. Erst nach einigen Monaten entschied ich mich aus absoluter Verzweiflung heraus für eine Therapie und wollte lernen, mich zu verstehen.
Wie hast du es geschafft deine Depression in den Griff zu bekommen und was hast du daraus gelernt?
Es war ein langer, steiniger Weg. Therapie war „Hilfe zur Selbsthilfe“, aber ich musste lernen, selbst mit mir und meinem Umfeld klarzukommen. Musiktherapie, Natur und Sport halfen mir, Abstand zur Depression zu gewinnen. Die Krankheit ist belastend, aber sie ermöglichte mir, mich selbst richtig kennenzulernen und zu „leben“ statt nur zu „funktionieren”. Insgesamt hat die Depression mir viele Lehren beschert – jedoch würde ich diese schwere Erkrankung niemals glorifizieren – sie ist Scheiße, dreht das ganze Leben auf den Kopf und kann tödlich enden.
Weißt du jetzt, wie man wirklich glücklich wird?
Jein. Ich weiß, dass die Erfüllung der psychischen Bedürfnisse – nach Bindung, Selbstbestimmung, Selbstwert und Lust – dazugehört, aber was genau diese erfüllt, ist hochgradig individuell. Eine Grundvoraussetzung ist die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber.
Wenn ich mich selbst nicht ernst nehme und nicht auf meine innere Stimme höre, dann habe ich keine Chance diese Bedürfnisse zu erfüllen und zu entdecken, wie ich diese befriedigen kann. Also sollte man um ein hohes Maß an Authentizität bemüht sein, um langfristig gesund und glücklich durch das Leben zu gehen – natürlich ist niemand immer gut gelaunt oder glücklich – gewisse „Ups and Downs“ gehören schlichtweg dazu.
Welche Selbstkontrollmechanismen hast du auf deiner eigenen Reise entdeckt und wann sollte man aktiv nach Hilfe von außen suchen?
Es ist unheimlich stark, sich Hilfe zu suchen und sich einzugestehen „So kann es nicht weitergehen”. Deswegen finde ich es gut, wenn man die Fähigkeit der Selbstreflexion besitzt und auf den eigenen Körper, die eigenen Bedürfnisse achtet. Aus dem Kontext der Beratungsstellen der Uni wird mir auch häufig gespiegelt, dass sich viele Menschen erst dann Hilfe suchen, wenn es vermeintlich schon zu spät ist, deswegen finde ich es gut, wenn man bei Zweifeln und/ oder psychosomatischen Problemen frühzeitig eine Aufklärung anvisiert, da ein Krankheitsverlauf natürlich maßgeblich beeinflusst werden kann. Ich selbst habe beispielsweise meine Frühwarnzeichen wie Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen kennengelernt und darüber hinaus ein gewisses „Selbstmanagement“ erlernt, welches beispielsweise Routinen wie Meditationen und tägliches Tagebuch-Schreiben beinhaltet. Natürlich gelingt mir das nicht immer, aber diese Struktur und auf mich aufzupassen, helfen mir, meinen Alltag und mein Leben zu gestalten
Was würdest du als ersten Schritt aus der Depression empfehlen?
Jeder Mensch ist sehr individuell in seiner Persönlichkeit und seinen Bedürfnissen. Dies gilt auch für eine Depression. Ein Patentrezept gibt es also nicht. Was mir hilft, kann dir schaden und diese Erkenntnis ist wichtig. Trotzdem gibt es ein paar allgemeine Handlungsmethoden, die helfen können: Es ist wichtig, dass man gut mit sich selbst umgeht und den inneren Kritiker nicht zu groß werden lässt, denn sonst rutscht man sehr schnell in einen Vergleich mit den Mitmenschen, denen es ja „scheinbar so viel besser geht“
Darüber hinaus sollte man meiner Meinung nach darauf achten, dass man physiologische Grundbedürfnisse weiterhin erfüllt und beispielsweise drei Mahlzeiten am Tag zu sich nimmt, da die körperliche Gesundheit auch ein wichtiger Bestandteil der mentalen ist.
Es ist okay und notwendig, sich Hilfe zu holen und zu öffnen. Dabei ist es in zunächst egal, wer der Gesprächspartner ist – im ersten Schritt kann dies auch ein guter Freund sein.
Hattest du Unterstützung aus deinem sozialen Umfeld?
Mein Umfeld war zum Glück sehr unterstützend. Familie und Freunde waren aufgeschlossen und stigmatisierten mich nicht. Dafür bin ich sehr dankbar. Ohne diese Unterstützung hätte ich sehr häufig nicht mehr weitergewusst. Das soziale Umfeld hat meiner Meinung nach einen immensen Einfluss auf Krankheitsverlauf, -dauer und -intensität. Trotzdem gab es auch Menschen, die sich von mir abgewendet haben oder von denen ich mich abgewendet habe und das ist okay. Nicht jeder kann damit umgehen und man sollte das akzeptieren.
Was hat dich dazu motiviert, anderen Menschen zu helfen und mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken?
Auf der einen Seite ist meine Motivation egoistisch geprägt, denn durch meine Arbeit bekomme ich Bestätigung und die ist für mich sehr sinnstiftend, da ich das Gefühl habe, etwas bewegen und verbessern zu können. Deswegen finde ein gesundes Maß an Egoismus auch überhaupt nicht schlimm. Darüber hinaus bin ich ein kleiner Rebell (lacht) – ich konnte den Satz „das war schon immer so!“ noch nie leiden. Ich verändere gerne Dinge, um damit Mitmenschen zu helfen. So kam ich dazu, mich für Entstigmatisierung und andere Studierende sowie Betroffene zu engagieren.
Wo besteht in der Gesellschaft ein besonderes Maß an Aufklärungsbedarf, was psychische Krankheiten angeht?
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft – das ist ein Fakt. Bei uns sind Prävention, Aufklärung und Entstigmatisierung dringend nötig – nicht nur für jeden Einzelnen, sondern auch für das Kollektiv. Denn unser System ist ohnehin überlastet – die größte Anzahl der Frühverrentung geht beispielsweise auf psychische Erkrankungen zurück. Bezogen auf die Leistungsgesellschaft ist vor allem die Schnelllebigkeit ein großer Risikofaktor, denn „der perfekte Lebenslauf“ mit zehn Jahren Berufserfahrung, obwohl man erst Ende 20 ist, wird scheinbar teilweise vorausgesetzt – das ist natürlich völlig utopisch! Daher sollte schon im Studium auf Frühwarnzeichen und eben auch die Wichtigkeit der Persönlichkeitsentwicklung geachtet werden.
Gibt es noch etwas, was du unserer Leserschaft gerne mitgeben möchtest?
„Der Weg ist das Ziel!“ Manchmal muss man Umwege gehen, um den eigenen Weg klarer zu erkennen als zuvor. Das Leben ist ein Marathon und kein Sprintrennen. Das musste ich auf eine sehr schmerzhafte Art und Weise lernen und möchte dich dazu motivieren, mutig zu sein, auch mal anzuecken und dafür einzustehen, wie du nun einmal bist. Dies ist natürlich nicht leicht, aber wenn es leicht wäre, dann wäre es ja auch unheimlich langweilig und zuletzt: „Glaub an dich!!!“
Du hast auch mit Depressionen zu kämpfen? Wende dich an die Deutsche Depressionshilfe. Diese ist 24 Stunden erreichbar: 0800 1110111
Einen weiteren Beitrag zum Thema mentale Gesundheit findest du hier.
Luca Bischoni ist 23 Jahre alt und studiert Psychologie. Darüber hinaus hat er im September 2022 das Buch „Als man mir den Stecker zog“ im Gallip-Verlag veröffentlicht und bloggt seitdem rund um das Thema „mentale Gesundheit“ und „Depressionen“.