Stechen, Juckreiz gefolgt von progredienten Schmerzen; zudem das erdrückende Gefühl permanenten Harndrangs. Das sind die typischen Symptome einer Harnwegsinfektion (kurz: HWI), die weltweit jährlich 152 Millionen Patient:innen betrifft und damit eine der häufigsten Infektionsarten darstellt. BugSense möchte dagegen helfen. Ihr Ziel ist es Aufwände wie Testzeit, Probenlogistik und Personaleinsatz zu reduzieren, Heilungsverläufe zu verbessern sowie die überflüssige und falsche Verschreibung von Antibiotika zu minimieren, um Resistenzen vorzubeugen. Dafür erarbeitet das Gründerteam eine patientennahe Lösung zur Infektions- und Resistenztestung auf Papierbasis, die unabhängig von Region und Infrastruktur eingesetzt werden kann. Eine AI-basierte Smartphone-Applikation unterstützt die Anwendenden bei der Auswertung des Testes. Co-Gründerin Sarah Wali erzählt uns im Interview mehr über das Start-up.
Was war die Initialzündung hinter eurem Start-up?
Unser ehemaliger Kollege Sebas (Elektro- und Informationstechniker) hat die Missstände in seiner Heimat Bolivien in der Gesundheitsversorgung erlebt. Patient:innen müssen dort tagelange Wege auf sich nehmen, um medizinisch versorgt zu werden und können sich dann oftmals eine ideale Behandlung nicht leisten. Seine Mutter ist aufgrund eines Blasenkarzinoms verstorben. Durch dieses persönliche Schicksal und die oben genannten Probleme der Gesundheitsversorgung in seiner Heimat kam ihm die Idee, ein nachhaltiges, dezentral anwendbares Produkt zu bauen, um Krebs zu diagnostizieren.
Nach dem Zusammenschluss mit dem Heinz-Nixdorf-Lehrstuhl für Biomedizinische Elektronik (Prof. Hayden) und im Anschluss mit mir (Molekulare Biotechnologin) wurde die Produktidee zum Konzept der Infektionsdetektion mit zeitgleicher Antibiogrammbestimmung auf Papierbasis. Unser Team stellte fest, dass eine unzureichende Infektionsdiagnostik nicht nur in Drittstaaten vorliegt, sondern auch in Flächenstaaten.
Wir verbinden die Einfachheit der Selbsttests mit der Informationstiefe einer mikrobiologischen Diagnostik. Unser Produkt besteht aus einem disposablen Papierstreifen, beschichtet mit Chemikalien für die Auswertung des Urins und einer AI-basierten Cloud-Software, welche genaue Aussagen treffen kann darüber, ob eine Infektion vorliegt, welches Bakterium die Infektion verursacht, wie hoch die Keimlast ist und welche potentiellen Antibiotikaresistenzen vorhanden sind. Die Software gibt eine Bewertungsgrundlage für den Arzt sowie für eine individualisierte Therapiewahl innerhalb nur eines Werktages.
Wie weit seid Ihr mit der Entwicklung und was waren die großen Herausforderungen seit eurer Gründung?
Vor kurzem haben wir unsere ersten klinische Tests beendet, dabei sind noch einige technische Probleme aufgetaucht, an denen wir gerade arbeiten. Danach sind weitere klinischen Tests im größeren Maßstab durchzuführen. Im Anschluss soll eine skalierbare Produktionsstrategie in Zusammenarbeit mit einem Industriepartner für eine erste Kleinserie etabliert werden.
Einer unserer Herausforderungen ist es, BugSense in ein richtiges Unternehmen umzuwandeln, denn unser Start-up ist zuerst im Rahmen eines universitären Studentenprojektes entstanden. Daher lag anfänglich der Fokus auf den forschungslastigen Themen, bevor unternehmertechnische Aspekte langsam hinzukamen. Im Team entwickelten sich dadurch unterschiedliche Ausprägungen – manche wollten im Forschungstrack verbleiben, während andere an einer Ausgründung interessiert sind. Unser jetziges Ziel liegt auf dem Etablieren eines Unternehmens, weshalb wir gerade an Teambuilding, Marktrecherchen und regulatorischen Hürden arbeiten.
Wie hilft Ihre Innovation den einzelnen Individuen im Gesundheitssystem?
Für die in-vitro Diagnostik einer HWI braucht es eine zeitlich aufwendige Probenlogistik sowie mikrobiologische Untersuchungen durch Fachpersonal in Laboratorien. Eine kosteneffiziente Methode, die mit einer hohen Aussagekraft einen Infekt und Resistenzen bestätigt, fehlt bisher. Die Laborergebnisse werden, je nach Region und Infrastruktur, erst nach 2-5 Tagen dem behandelnden medizinischen Fachpersonal berichtet. Unsere Idee entlastet auf mehreren Ebenen das Gesundheitssystem, je nachdem, welche Fokusgruppe/Business Case man näher betrachtet.
Um trotz der langen Wartezeit auf die Laborergebnisse schwere Komplikationen zu verhindern, bekommen Patient:innen mit der empirischen Erstbehandlung ein Breitbandantibiotikum, bis eine genaue mikrobiologische Befundung vorliegt. Diese begünstigt Resistenzbildung und Nebenwirkungen.
Durch das Selbsttesten mit BugSense erhalten Patient:innen einen schnelleren Aufschluss über ihren Gesundheitsstatus, können sich besser mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen und ersparen sich den Gang zur Praxis. Indirekt leisten sie hierbei einen positiven Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems.
Wie sieht eure Finanzierung bisher aus und mit welchem Geschäftsmodell möchtet Ihr später Geld verdienen?
Bisher haben wir für die zeit- und kostenaufwändige Entwicklung staatliche Fördermittel bezogen von beispielsweise Go Bio intinal oder FLÜGGE. Nach Ablauf der Förderung, planen wir unsere erste Investmentrunde. Zukünftig planen wir BugSense durch B2B an Krankenhäuser, Praxen und Altersheime und im B2C an den Einzelhandel zu vertreiben.
Kann Ihr Innovation Patienten, die oft unter Harnwegsinfektionen leiden, auch dauerhaft helfen?
Wir werden leider nicht Harnwegsinfektionen durch unsere Testung vermeiden können. Aber mit unserem Produkt möchten wir das Leid der Patient:innen durch eine schnellere Diagnostik vermindern, den Medikamenteneinsatz reduzieren und personalisierte Antibiotikaempfehlungen abgeben. Dass das wichtig ist, sehen wir an den Medikamentenengpässen die derzeit vorherrschen.
Zum Schluss ein kleiner Ausblick: Wie soll es mit Ihrem Produkt in den nächsten Jahren weitergehen?
Unser Testprinzip kann auch auf weitere Infektionserkrankungen angewendet werden und wir möchten es weiterentwickeln mit dem Ziel, auch andere Körperflüssigkeiten testen zu können. Im Moment wollen wir uns mehr auf Infektionen rund um die Frauengesundheit fokussieren, da wir hier noch viel Spielraum und Diagnostikbedarf sehen. Abgesehen davon, ist auch die Anwendung unseres Produkts auch in anderen Sektoren außerhalb des Gesundheitswesens interessant.
Weitere Digitale Pioniere finden Sie hier.