Vor einem Jahrzehnt war es noch sehr schwierig, eine gastroenterologische Praxis zu übernehmen. Aufgrund der demografischen Entwicklung hat sich diese Situation deutlich verbessert. Grund genug, beim Berufsverband der Niedergelassenen Gastroenterologen Deutschland (bng) nachzufragen, warum man bei der Wahl der fachärztlichen Weiterbildung ihre Disziplin besonders in den Fokus nehmen sollte.
Wir richten uns an den Medizinernachwuchs, der vor der Frage steht, welche fachärztliche Weiterbildung für ihn die geeignetste ist. Welches sind die aus Ihrer Sicht wichtigsten Argumente dafür, Gastroenterolog:in zu werden?
Die Gastroenterologie ist ein sehr vielseitiges Fach mit einem großen Spektrum an Krankheiten, möglichen Therapien und diagnostischen Verfahren. Als größtes internistisches Teilgebiet ist es auch intellektuell und handwerklich – etwa bei den endoskopischen Eingriffe – herausfordernd und befriedigend. Zudem ist die Tätigkeit nicht nur in der Uniklinik, sondern auch in der Praxis abwechslungsreich und absolut niemals langweilig. Neben der Behandlung von Patienten mit Erkrankungen gibt es durch die Darmspieglung eine wertvolle Möglichkeit der Vorsorge, durch die Erkrankungen verhindert oder geheilt werden können. Insbesondere in der Niederlassung halte ich die Work-Life-Balance durch geregelte Arbeitszeiten und Option der Teilzeitarbeit für sehr gut.
Wie attraktiv ist Ihre Fachdisziplin in wirtschaftlicher Hinsicht?
Sehr attraktiv. Dazu trägt neben dem guten Einkommen auch die geringe Konkurrenzsituation untereinander und zu den Kliniken bei sowie der große Gestaltungsspielraum durch Vernetzung und Kooperation, etwa Tätigkeiten sowohl in der Klinik als auch in der Praxis. Da Praxisnachfolger in ganz Deutschland gesucht werden, ist man in der Ortswahl sehr frei und kann dabei auch die familiären Belange berücksichtigen.
Nachwuchs und Kompetenzen bei niedergelassenen Gastroenterologen
Was an persönlichen Kompetenzen sind in Ihrem Fachgebiet besonders wichtig, um ein guter Arzt zu werden?
Für die Endoskopie ist ein gewisses handwerkliches Geschick von Vorteil, außerdem für die Endoskopie und die Sonographie räumliches Vorstellungsvermögen. Einfühlungsvermögen, aber auch Durchsetzungsfähigkeit, da die Lebensführung bei vielen Erkrankungen des Fachgebietes eine Rolle spielt, sind ebenfalls wichtig. Und natürlich Teamfähigkeit, Organisationstalent und Führungsqualitäten, da man meist zu mehreren im Team arbeitet.
Wie stark ist denn der Bedarf an Nachwuchs speziell in Ihrem Bereich?
Der Bedarf ist bereits jetzt da und wird in den nächsten Jahren steigen. Aktuell sind circa 75 Prozent der Niedergelassenen Gastroenterolog:innen 50 Jahre und älter, 52 Prozent über 55 Jahre. Eine sehr interessante Option ist übrigens, die Nachfolge mit zwei oder mehreren Ärzt:innen anzutreten.
Wie kann ein junger Mediziner erkennen, ob das Krankenhaus ihm eine gute Weiterbildung angedeihen lässt?
Man muss Untersuchungen „üben“. Wenn nur wenige Untersuchungen durchgeführt werden, oder zu viele Auszubildende die Untersuchungen unter sich aufteilen müssen, lernt man die Verfahren nicht oder nicht gut. Eine internistische Grundausbildung mit Rotation in andere Abteilungen ist immer gut, wird aber nicht überall gewährleistet.
Technischer Fortschritt in der Gastroenterologie
Was sind aktuelle medizinische Fortschritte in diesem Gebiet?
Durch die Vielseitigkeit des Fachgebietes mit infektiösen, autoimmunen, stoffwechselbedingten und onkologischen Krankheitsbildern ergibt sich ständig neues und zum Teil Bahnbrechendes. So können wir heute die Hepatitis C heilen, bei der wir noch vor 10 Jahren nur eine fünfzigprozentige Chance hatten. Das Mikrobiom ist in aller Munde. Es wird vor allem von Gastroenterolog:innen beforscht, da es nicht nur bei Darm-, sondern auch bei Lebererkrankungen eine maßgebliche Rolle spielt. Die Künstliche Intelligenz ist ein Kernthema in der Endoskopie: Bereits jetzt sind Systeme im Einsatz, die beispielsweise Veränderungen an der Darmschleimhaut selbständig erkennen und dem Untersucher anzeigen. Durch Deep Learning verbessern sich diese Verfahren weiter.
Endoskopische Techniken mit entsprechenden Instrumenten durchgeführt ersetzen schon heute Operationen. Auch die onkologische Therapie im Fachgebiet macht rasante Fortschritte. Als individualisierte Therapie auf Basis neuester Erkenntnisse der molekularen Tumortherapie ist sie auch in der Praxis gut und sicher durchführbar. Was die technischen Möglichkeiten angeht, ist ein Ende wirklich nicht absehbar.
Für den Medizinernachwuchs spielt die bereits erwähnte Work-Life-Balance eine Rolle. Wie sehen Sie diese aber im Vergleich zu anderen Fachgebieten?
Gerade in der Niederlassung sind Teilzeitmodelle eine sehr gute Option. Die Arbeitszeiten kann man selbst bestimmen. Durch das gute Einkommen ist eine Aufteilung der Arbeit unter mehreren Umständen hervorragend möglich. In der Niederlassung sind Dienste in der Nacht, am Wochenende oder an Feiertagen sehr selten. Teilzeitmodelle – gegebenenfalls auch mit anderen Kolleg:innen – sind zudem geeignet, die Übernahme einer frei gewählten Praxis zu vollziehen, sich einzuarbeiten und Spaß an der selbständigen Arbeit zu entwickeln.
Praxisniederlassung? Kein Problem!
Wie schätzen Sie denn die Möglichkeiten ein, sich selbstständig zu machen und eine Praxis zu übernehmen?
Die Möglichkeiten eine Praxis zu übernehmen sind sehr gut. Noch vor zehn Jahren war es ausgesprochen schwierig, eine Niederlassungsmöglichkeit zu finden. Aufgrund der Alterstruktur wird sich dies aber kurz- bis mittelfristig ändern. Es gibt Angebote in ganz Deutschland. Der bng (Berufsverband der Niedergelassenen Gastroenterologen Deutschlands) vermittelt Praxis- und Stellengesuche sowie -angebote.
Wie ist die Situation in Krankenhäusern für Ihren Fachbereich zurzeit?
Dies ist sicher sehr unterschiedlich. Grundsätzlich ist die Belastung im Krankenhaus natürlich schon alleine durch die Dienste – Nacht, Wochenende, Feiertage – wesentlich höher als in der eigenen Praxis.
Welche verschiedenen Spezialisierungen innerhalb Ihres Fachgebietes halten Sie für besonders interessant?
Da würde ich die Endoskopie, Sonographie, Hepatologie, Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) und gastroenterologische Onkologie nennen. Lassen Sie mich an der Stelle noch etwas zum Unterschied zwischen Krankenhaus und Praxis erwähnen. In einer großen Klinik muss man sich in der Regel entscheiden, womit man sich vorherrschend beschäftigt. Im kleineren Krankenhaus wird es meist keine Spezialambulanz für Hepatologie oder CED geben. In der Praxis dagegen, kann man alle Themen auf einem sehr hohem Niveau bearbeiten oder sich auf Teile beschränken beziehungsweise eigene Schwerpunkte wählen.
Geben Sie uns doch bitte ein paar Stichworte, welche die momentan viel diskutierten medizinischen Themen in Ihrem Fachgebiet sind?
Endoskopische Technik inklusive Künstlicher Intelligenz, Mikrobiom, neue Therapien für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Therapie der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung, Heilung der viralen Hepatitis, Darmkrebsvorsorge, neue zielgerichtete Therapien in der gastroenterologischen Onkologie und vieles mehr – die Liste lässt sich endlos fortsetzen.
Schmutzige Arbeit? Nicht bei den niedergelassenen Gastroenterologen!
Und welches sind die gängigen Vorurteile gegenüber Ihrem Fachgebiet, die Sie gerne einmal korrigieren würden?
Ach, das sind die Vorurteile vom „ekligen Rohrleger“, der Darmspiegelungen am Fließband erledigt. Laien stellen sich eine schmutzige Tätigkeit vor, was in der Praxis natürlich nicht stimmt. Denn für die Gastroskopie sind die Patient:innen nüchtern und für die Koloskopie mit einer Abführlösung vorbereitet. Es stinkt nichts, die Schleimhäute sind ästhetisch spiegelnd glatt wie eine Bindehaut am Auge. Ebenso falsch ist es, die Gastroenterologie auf Koloskopien und Gastroskopien zu reduzieren. Denn das Aufgabengebiet ist enorm vielfältig. Das Fachgebiet umfasst tatsächlich sehr viele verschiedene Beschwerden, die an einen herangetragen werden. In der Differentialdiagnostik sind umfassende Fachkenntnisse und ein wacher Geist gefragt, um die Probleme der Patient:nnen zu lösen, fast wie ein Detektiv (lacht)!
Welche Nachwuchsförderungen bieten Sie und Ihr Berufsverband an?
Wir vermitteln über unsere Geschäftsstelle Hospitationen und Famulaturen. Außerdem beteiligen wir uns an dem Projekt „Frauen in der Viszeralmedizin“ der DGVS. Wir sind in der Weiterbildungskommission engagiert, zudem bieten viele Niedergelassene auch eine Weiterbildungsmöglichkeit in der Praxis an.
Interviewpartnerin Dr. Dagmar Mainz führt eine gastroenterologische Schwerpunktpraxis in Saarlouis und war langjähriges Vorstandsmitglied und Sprecherin des bng. Sie hat ihr Studium in München und Berlin absolviert und war bis 2003 als gastroenterologische Oberärztin an der Uniklink Homburg/Saar tätig.
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