In der Regel ist die klassische Medizinerkarriere vorgezeichnet und Ärzt:innen finden ihre Erfüllung in der Arbeit im Krankenhaus oder in der Niederlassung. Relativ selten sind diejenigen Ärzt:innen, die sich als Unternehmer:innen verwirklichen und dabei oft angetrieben werden von der Vision, über ihr Produkt einen besonders großen Impact auf die Gesundheit der Patient:innen zu haben. Was treibt diese Gründer:innen und worauf kommt es spezifisch für Ärzt:innen an, die erfolgreiche Unternehmen aufbauen wollen? Wir haben mit erfolgreichen Gründer:innen gesprochen und uns wichtige Tipps geben lassen: Dr. Philipp Schöllauf von nyra health.
Dr. Philipp Schöllauf, Sie sind Arzt, Co-Gründer und CSO von nyra health. Was macht Ihr Unternehmen genau?
Das Unternehmen ist spezialisiert auf KI-gestützte Therapielösungen für Patient:innen mit neurologischen Erkrankungen.
Mit myReha haben wir eine intelligente Therapiesoftware zur Versorgung von Patient:innen mit neurologischen Sprach- und Kognitionsstörungen entwickelt. Unsere als Medizinprodukt zertifizierte Tablet-App wurde von einem interdisziplinären Team aus klinisch erfahrenen Neurolog:innen, Logopäd:innen, Neuropsycholog:innen und Expert:innen im Bereich der Künstlichen Intelligenz entwickelt. myReha bietet personalisierte Therapiepläne, die sich automatisch an den individuellen Fortschritt der Patient:innen und ihre Defizite anpassen, unterstützt durch intelligente Algorithmen, die spezifische Biomarker und kognitive Parameter auswerten.
Die Software wird in Kliniken sowohl für Einzel- als auch Gruppentherapiestunden genutzt und bietet zusätzlich die Möglichkeit zum Selbsttraining, um die effektive Therapiezeit ressourcenschonend zu maximieren. Die Tablet-App kann auch zusammen mit nyra insights, unserer Web-Plattform zur Fortschrittsanalyse, genutzt werden. Mit ihr können Therapieteams ihre Patient:innen einfach und individuell betreuen – sowohl während des Klinikaufenthalts als auch darüber hinaus mittels Tele-Reha.
Unsere eigens für die Neurologie entwickelte Sprachanalyse ermöglicht es, den Therapieplan auf das individuelle Störungsmuster der Patient:innen abzustimmen. Die Fähigkeit, eine breite Palette von Biomarkern und kognitiven Parametern zu erfassen, erlaubt es uns auch, Erkrankungen wie Aphasie, Parkinson und Demenz anhand der Sprachmuster präzise zu klassifizieren.
Wir streben danach, klinische Expertise mit modernster Technologie zu verbinden, um die neurologische Rehabilitation und die klinische Patient:innenversorgung signifikant zu verbessern.
Wie sind Sie auf die zündende Idee gekommen?
Die Idee ist mir während meiner Tätigkeit als Arzt in einer großen neurologischen Rehaklinik in Wien gekommen.
In der Neuro-Reha ist eine Therapie dann effektiv, wenn eine hohe Intensität von mehreren Stunden pro Woche mit einem hohen Grad an individuellen Therapieinhalten gewährleistet ist. Beides zusammen schaffte man bisher nur in einer Rehaklinik, wo ein interdisziplinäres Therapieteam zur Verfügung steht, das im Idealfall täglich mit Patient:innen arbeiten kann und die Therapieinhalte individuell abstimmt.
Gerade am Nachmittag oder am Wochenende, wenn das Therapieteam nicht in der Klinik ist, haben Patient:innen viel freie Zeit, die bisher aber nicht für die Therapie genutzt werden konnte. Vielmehr noch können Intensität und Individualität überhaupt nicht mehr aufrechterhalten werden, wenn wir Patient:innen nach Hause entlassen, was zu einem großen Therapieloch führt und zum Fakt, dass das Rehapotenzial bei vielen niemals ausgeschöpft wird.
Nachdem ich diese Herausforderungen in meiner Klinikanstellung erkannt habe, gründete ich mit einem Team aus Expert:innen das Unternehmen nyra health und entwickelte die myReha-Therapiesoftware. Die Software wird heute bereits in über 45 Kliniken im DACH-Raum in der Neuro-Reha eingesetzt. Seit Neuestem ist sie beispielsweise auch Teil der Neuro-Reha in VAMED Kliniken.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die 5 wichtigsten Dinge, an die man denken muss, wenn man als Arzt oder Ärztin ein Unternehmen gründet?
Als Arzt oder Ärztin sollte man natürlich sowieso in vielerlei Hinsicht unternehmerisch denken können, beispielsweise beim Führen einer Praxis. Und es hilft sicher, dass man als Mediziner:in einen wissenschaftlichen Ansatz in der Herangehensweise gelernt hat. Gerade bei der Gründung eines Unternehmens im Health-Tech-Bereich gibt es tatsächlich einige Aspekte, die man hier hervorheben kann:
Regulatorik:
Das Gesundheitswesen ist einer der am stärksten regulierten Sektoren. Daher ist es entscheidend, ein tiefes Verständnis für die geltenden Gesetze, Vorschriften und Normen zu haben. Dies beinhaltet Zulassungsverfahren für Medizinprodukte, Datenschutzbestimmungen für Patien-t:innendaten und Compliance in Bezug auf klinische Studien.
Patientenzentrierung:
Das Wohl der Patient:innen steht immer im Vordergrund. Das gilt auch für Health-Tech-Unternehmen. Es ist wichtig, dass unsere Produkte und Dienstleistungen eine direkte Antwort auf die Bedürfnisse der Patient:innen sind und deren Lebensqualität verbessern. Dieser Fokus hilft nicht nur dabei, die Akzeptanz im Markt zu erhöhen, sondern stellt auch sicher, dass wir uns auf die Schaffung von echtem Mehrwert konzentrieren.
Wissenschaft:
In der Medizin ist unser Handeln stets durch wissenschaftliche Erkenntnisse geleitet. Als Gründer:in eines Health-Tech-Unternehmens sollte man diese wissenschaftliche Rigorosität beibehalten. Das bedeutet, dass wir unsere Produkte und Services auf soliden wissenschaftlichen Studien und Daten aufbauen müssen, um Wirksamkeit und Sicherheit zu gewährleisten.
Interdisziplinäres Team:
Die Komplexität des Gesundheitsmarktes erfordert Expertise aus verschiedenen Bereichen. Ärztliches Fachwissen allein reicht dabei natürlich nicht aus, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Wir brauchen ein starkes Team, das Technologie, Wirtschaftlichkeit, rechtliche Aspekte und natürlich medizinisch-therapeutische Inhalte zusammenbringt. Jede:r bringt eine eigene Perspektive ein, was zur Innovation beiträgt und die Grundlage für ein erfolgreiches Unternehmen legt.
Skalierbarkeit und Innovation:
Unser Ziel muss es sein, Lösungen zu entwickeln, die nicht nur heute relevant sind, sondern auch in der Zukunft Bestand haben. Das erfordert ein Geschäftsmodell, das sowohl skalierbar als auch flexibel ist, um sich an den schnellen Wandel in der Medizintechnologie anzupassen. Innovation sollte in der DNA des Unternehmens verankert sein, sodass kontinuierliche Verbesserungen und Anpassungen Teil der Unternehmenskultur sind.
Was sind die Vor- und Nachteile als Unternehmer gegenüber einer vielleicht sichereren Anstellung in einer Klinik?
Als Unternehmer genieße ich ein hohes Maß an Autonomie, die es mir ermöglicht, meine eigenen Vorstellungen und Visionen in die Tat umzusetzen. Dieser Freiraum für Innovation ist enorm motivierend und kann, wenn alles gut läuft, einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheitsversorgung haben.
Darüber hinaus ist die Vielfalt der Aufgaben und Herausforderungen, die das Unternehmertum mit sich bringt, außerordentlich bereichernd. Man entwickelt Fähigkeiten, die weit über die klinische Praxis hinausgehen, lernt jeden Tag Neues und wächst persönlich sowie beruflich. Dieser Prozess bringt eine persönliche Erfüllung mit sich, die man in einer Klinikposition so nicht unbedingt findet, besonders wenn man sieht, dass das eigene Unternehmen einen positiven Einfluss hat.
Aber dieser Weg ist keineswegs leicht und mit dem sicheren Umfeld der Klinikanstellung nicht zu vergleichen. Die Risiken sind deutlich größer, da das regelmäßige Einkommen und die Sicherheit einer festen Anstellung fehlen. Die Verantwortung kann enorm sein und die Arbeitsbelastung, insbesondere in den frühen Phasen eines Start-ups, ist oft intensiv und fordert einen persönlichen Einsatz, der weit über das hinausgeht, was in einer klinischen Position gefordert wird. Ein weiterer spürbarer Unterschied zur klinischen Tätigkeit ist zudem, dass natürlich der direkte, tägliche Patient:innenkontakt fehlt, der eine wichtige Inspirations- und Kraftquelle darstellt und im unternehmerischen Arbeiten zu weiten Teilen leider fehlt.
Wie prüft man sich selbst, ob man das Zeug zum Unternehmer hat?
Als Ärzte oder Ärztinnen sind wir es gewohnt, nach evidenzbasierten Kriterien zu handeln und Entscheidungen zu treffen. Diese methodische Herangehensweise ist auch bei der Prüfung der eigenen unternehmerischen Neigung sehr wertvoll. Man muss sich selbst fragen: Habe ich die Fähigkeit, nicht nur medizinische, sondern auch wirtschaftliche, rechtliche und organisatorische Herausforderungen zu meistern? Besitze ich die Ausdauer und die Leidenschaft, ein Projekt auch durch schwierige Zeiten zu führen? Ein:e Unternehmer:in zu sein, bedeutet mehr als nur fachlich gut zu sein – es erfordert ein hohes Maß an Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, kontinuierlich zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Speziell für uns Ärzte oder Ärztinnen ist auch zu prüfen, ob wir bereit sind, zeitweise auf den direkten Patient:innenkontakt zu verzichten, der vielen von uns am Herzen liegt. Das Unternehmertum im Gesundheitswesen erfordert oft, dass man sich strategischen und organisatorischen Aufgaben widmet, die uns vom unmittelbaren klinischen Umfeld entfernen.
Ebenso entscheidend ist es, die Geschäftsidee kritisch zu prüfen. Man muss sich fragen: Löst meine Idee ein echtes Problem? Gibt es einen Markt dafür? Und vor allem, verbessert sie das Patient:innenwohl oder den klinischen Alltag auf eine bedeutende und messbare Weise? Der Erfolg einer Idee im Health-Tech-Bereich ist eng damit verknüpft, wie gut sie die Qualität, Effizienz oder Zugänglichkeit der Patientenversorgung verbessern kann. Letztlich kann man nie mit absoluter Sicherheit wissen, ob eine Geschäftsidee erfolgreich sein wird.
Und schließlich: Eine erfolgreiche Idee allein reicht nicht – man muss auch die Fähigkeit haben, diese Idee in ein tragfähiges Geschäftsmodell zu übersetzen und sie mit einem soliden Plan zum Leben zu erwecken. Das erfordert betriebswirtschaftliches Verständnis und die Fähigkeit, ein kompetentes Team zusammenzustellen, das die Vision mitträgt und vorantreibt.
Hier gehts es zu einem weiteren Beitrag über Ärztinnen und Ärzte als Unternehmer:innen.