Wichtiger Praxisbezug: Handlungskompetenzen und Soft Skills im Medizinstudium fördern
Mit einem besonderen Ansatz prägt Prof. Dr. Krempien als Dekan der Medical School Berlin nicht nur die Ausbildung der nächsten Generation von Ärzt:innen, sondern bringt auch aktuelle Entwicklungen in Technik, Ausbildung und Versorgung in ein größeres Ganzes. Im Interview spricht er über Herausforderungen der Lehre, technologische Innovationen in der Strahlentherapie sowie über die Frage, was gute medizinische Weiterbildung heute wirklich ausmacht.

Sie sind Dekan an der Medical School Berlin und damit maßgeblich verantwortlich für die Ausbildung der Medizinstudierenden an Ihrem Standort. Was für Fragestellungen und Herausforderungen beschäftigen Sie als Dekan?
Als Dekan der Medical School Berlin bin ich für viele zentrale Bereiche verantwortlich, die weit über die reine Lehre hinausgehen. Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit besteht in der strategischen Weiterentwicklung unserer Studiengänge, um eine zeitgemäße und hochwertige medizinische Ausbildung sicherzustellen. Dabei spielt die Qualitätssicherung der Lehre eine ebenso wichtige Rolle wie die individuelle Betreuung unserer Studierenden, etwa durch Mentoringprogramme oder persönliche Beratung.
Eine weitere zentrale Aufgabe ist die Koordination zwischen den verschiedenen Bereichen der Hochschule – insbesondere der Lehre, der klinischen Ausbildung und der Forschung. Hier fungiere ich als Schnittstelle, um eine enge Verzahnung und ein gemeinsames Verständnis über Bereichsgrenzen hinweg zu fördern. Auch das Ressourcenmanagement gehört zu meinem Verantwortungsbereich, sei es in Bezug auf Personal, Finanzen oder die infrastrukturelle Ausstattung der Fakultät.
Ein besonderes Anliegen ist mir die kontinuierliche Integration innovativer Ansätze in die medizinische Ausbildung – von digitalen Lehrformaten bis hin zur Förderung interdisziplinärer Zusammenarbeit. Gerade in einem sich schnell wandelnden Gesundheitswesen ist es entscheidend, unsere Studierenden nicht nur fachlich exzellent, sondern auch zukunftsorientiert auszubilden.
„Simulationen und praxisnahe Übungen helfen dabei, Sicherheit zu gewinnen und Handlungskompetenzen zu entwickeln“
Der Übergang von der Universität in die klinische Praxis ist für viele junge Medizinerinnen eine Herausforderung. Welche Schwierigkeiten fallen Ihnen dabei besonders auf – und wie können Sie dabei unterstützen?
Oft zeigt sich eine Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen und den praktischen Anforderungen im klinischen Alltag. Genau hier setzen wir an, um diesen Übergang möglichst gut zu begleiten und zu erleichtern.
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die frühzeitige Einbindung der Studierenden in klinische Abläufe – nicht erst am Ende des Studiums, sondern kontinuierlich über alle Ausbildungsphasen hinweg. Simulationen und praxisnahe Übungen helfen dabei, Sicherheit zu gewinnen und Handlungskompetenzen zu entwickeln. Ebenso wichtig ist die Förderung von sogenannten Soft Skills, wie Kommunikation und Teamarbeit, die im klinischen Kontext entscheidend sind.
Darüber hinaus bieten wir strukturierte Mentoring-Programme an, die den Studierenden individuelle Orientierung und Unterstützung geben. Auch die Förderung von Selbstständigkeit, eine gelebte Feedback-Kultur und Räume zur Reflexion spielen eine zentrale Rolle. Unser Ziel ist es, unsere Studierenden nicht nur fachlich, sondern auch persönlich bestmöglich auf ihren Berufseintritt vorzubereiten.
Helios ermöglicht es Studierenden, verschiedene Krankenhäuser und Fachrichtungen kennenzulernen. Warum ist diese Vielfalt an Erfahrungen so wichtig?
Die Möglichkeit, während des Studiums verschiedene Krankenhäuser und Fachrichtungen kennenzulernen, ist für die medizinische Ausbildung von unschätzbarem Wert. Gerade durch das Helios Netzwerk eröffnen sich unseren Studierenden zahlreiche Rotationsmöglichkeiten, die in kleineren Strukturen oft nicht realisierbar wären.
Diese Vielfalt erlaubt es, ein breites fachliches Spektrum zu erleben und dadurch fundiertes Wissen in unterschiedlichen medizinischen Disziplinen aufzubauen. Gleichzeitig unterstützt sie die individuelle Orientierung bei der späteren Facharztwahl – viele Studierende entdecken in der Praxis erst, welche Fachrichtung wirklich zu ihnen passt.
Auch auf persönlicher Ebene ist die Rotation eine große Chance: Sie fördert Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und die Fähigkeit, sich schnell in neue Teams und Abläufe einzufinden. Darüber hinaus entstehen wertvolle Netzwerke, die über das Studium hinaus wirken können. Die interdisziplinären Erfahrungen, die durch die Vielfalt der Einsätze ermöglicht werden, stärken nicht zuletzt auch die Qualität der Ausbildung – denn sie zeigen den Studierenden, wie moderne, vernetzte Medizin im Alltag funktioniert.
„Gerade in den letzten Jahren haben neue Entwicklungen unsere Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie grundlegend erweitert“
Neue Technologien finden rasanten Zugang in die Medizin. Wo ist dies für Sie in der Strahlentherapie und Radioonkologie gerade besonders spürbar?
Der technologische Fortschritt ist in kaum einem medizinischen Fachgebiet so unmittelbar spürbar wie in der Strahlentherapie und Radioonkologie. Gerade in den letzten Jahren haben neue Entwicklungen unsere Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie grundlegend erweitert. Besonders deutlich zeigt sich das bei der Bildgebung: Hochauflösende Verfahren wie PET und MRT ermöglichen eine noch präzisere Lokalisierung und Charakterisierung von Tumoren – die Grundlage für eine gezielte und schonende Behandlung.
Auch die Therapieverfahren selbst entwickeln sich rasant weiter. Die Protonen- und Schwerionentherapie eröffnen neue Optionen für Patientinnen und Patienten, bei denen herkömmliche Strahlentechniken an ihre Grenzen stoßen. Gleichzeitig hält künstliche Intelligenz zunehmend Einzug in die klinische Praxis – etwa in der automatisierten Planung von Bestrahlungen oder in der Entscheidungsunterstützung für personalisierte Therapieansätze.
Ein weiteres spannendes Feld ist der Einsatz virtueller Realität in der medizinischen Ausbildung, etwa zur Visualisierung komplexer anatomischer Strukturen oder zur Simulation therapeutischer Abläufe. Und mit adaptiven Therapiekonzepten können wir Behandlungen noch flexibler und dynamischer gestalten – ein großer Schritt hin zu einer wirklich individualisierten Onkologie.

Um die Auswirkungen von Digitalisierung, OP-Robotern und personalisierter Medizin zu erleben, bedarf es auch der Chance, sehr nah an diesen Entwicklungen dran zu sein. Muss ich dies als angehender Assistenzarzt oder Assistenzärztin bei der Wahl des passenden Krankenhauses für meine fachärztliche Weiterbildung stärker als noch vor 10 oder 20 Jahren berücksichtigen?
Absolut – wer heute in die fachärztliche Weiterbildung startet, sollte die technologische Ausstattung und Innovationsfähigkeit eines Krankenhauses deutlich stärker in seine Entscheidung einbeziehen als noch vor zehn oder 20 Jahren. Die Entwicklungen in Bereichen wie Digitalisierung, OP-Robotik und personalisierter Medizin schreiten rasant voran, und nur Einrichtungen mit entsprechender Infrastruktur und Expertise können jungen Ärztinnen und Ärzten die nötigen Einblicke und Erfahrungen bieten, um auf dem neuesten Stand der Medizin zu arbeiten.
Der Zugang zu moderner Technologie ist heute nicht mehr nur ein „Nice-to-have“, sondern ein entscheidender Faktor für eine qualitativ hochwertige Weiterbildung. Ebenso wichtig sind begleitende Angebote in Forschung, Fortbildung und strukturierter Wissensvermittlung. Häuser, die klinische Exzellenz mit Innovationsgeist verbinden und eine klare Strategie für Zukunftsthemen wie KI-gestützte Diagnostik oder personalisierte Therapien verfolgen, bieten jungen Medizinerinnen und Medizinern deutlich bessere Entwicklungsperspektiven.
Das bedeutet nicht, dass kleinere Krankenhäuser keine gute Ausbildung bieten können – aber es verstärkt sich ein Gap zwischen Einrichtungen, die technologisch führend sind, und jenen, denen die Ressourcen fehlen, um mit dieser Dynamik Schritt zu halten. Wer sich zukunftssicher aufstellen will, sollte daher genau hinschauen, welche Schwerpunkte ein Haus setzt und wie offen es für neue Entwicklungen ist.
Wie finde ich als junge Mediziner:in heraus, welche Häuser mir eine Weiterbildung auf hohem Niveau garantieren?
Wer schon während des Studiums einen Blick auf die spätere fachärztliche Weiterbildung wirft, ist klar im Vorteil. Denn je früher man sich informiert, desto gezielter lassen sich wichtige Weichen stellen. Um herauszufinden, welche Kliniken eine hochwertige Weiterbildung bieten, lohnt es sich, auf mehrere Faktoren zu achten.
Ein erster Hinweis sind offizielle Akkreditierungen und Zertifizierungen – etwa durch die Deutsche Krebsgesellschaft oder medizinische Fachgesellschaften. Diese bescheinigen, dass ein Haus bestimmte Qualitätsstandards erfüllt, etwa in der onkologischen Versorgung oder in der strukturierten Weiterbildung. Ebenso aufschlussreich sind Erfahrungsberichte von Kolleginnen und Kollegen, die sich bereits in der Weiterbildung befinden – der direkte Austausch liefert oft wertvolle, realitätsnahe Einblicke.
Auch ein Blick auf die Forschungs- und Innovationsaktivitäten einer Klinik kann helfen: Ist das Haus in wissenschaftliche Projekte eingebunden? Gibt es Fortbildungsangebote oder eigene Akademien? Zudem lohnt es sich, Netzwerke wie Kongresse, Fachgesellschaften oder Alumni-Treffen zu nutzen, um Kontakte zu knüpfen und Empfehlungen einzuholen. Wer frühzeitig solche Möglichkeiten ergreift, kann besser einschätzen, wo die eigenen Interessen und die Qualität der Weiterbildung zusammenpassen.
„Mediziner zu sein, ist für mich deshalb weit mehr als ein Beruf – es ist eine Berufung“
Wie wird sich der Arztberuf Ihrer Einschätzung nach im kommenden Jahrzehnt verändern?
Der Arztberuf wird sich im kommenden Jahrzehnt zweifellos stark verändern – und das auf mehreren Ebenen. Künstliche Intelligenz wird dabei eine zentrale Rolle spielen, vor allem in der Diagnostik und Therapie. Bereits heute sehen wir, wie KI etwa in der Bildanalyse oder bei der Entscheidungsunterstützung diagnostische Prozesse schneller und präziser macht. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen und erweitern, wobei der Mensch als Arzt oder Ärztin weiterhin eine unverzichtbare Rolle behalten wird – insbesondere bei der Bewertung, Einordnung und Kommunikation medizinischer Entscheidungen.
Gleichzeitig erleben wir einen Paradigmenwechsel in der Medizin: weg vom reinen „Reparieren“ von Krankheiten, hin zu einer aktiven Rolle in Prävention und Gesundheitsförderung. Dank neuer Technologien und besserer Datenlage können Risiken frühzeitig erkannt und individuelle Präventionsstrategien entwickelt werden. Das verändert nicht nur das ärztliche Selbstverständnis, sondern auch die Versorgungsstrukturen insgesamt.
Ein großes Potenzial der Digitalisierung liegt außerdem in der Automatisierung routinemäßiger, administrativer Aufgaben. Wenn wir hier gezielt entlasten, entsteht Raum für das, was in der Medizin zentral bleibt: das persönliche Gespräch, die individuelle Betreuung und das ärztliche Vertrauensverhältnis. Der Arztberuf wird interdisziplinärer, datengetriebener und technologisch anspruchsvoller – aber genau darin liegt auch eine große Chance für eine menschlichere, effektivere Medizin.
Wie bereite ich mich als Nachwuchsmediziner am Anfang meines Berufslebens am klügsten auf eine solche Zeit vor, von der wir noch gar nicht wissen, welche exakten Kompetenzen am stärksten gefordert sein werden?
Gerade weil wir heute noch nicht genau wissen, welche Kompetenzen in zehn oder fünfzehn Jahren im Arztberuf im Zentrum stehen werden, ist es umso wichtiger, sich auf Wandel gut vorzubereiten. Für junge Medizinerinnen und Mediziner bedeutet das vor allem: flexibel bleiben, offen für Neues sein und die Bereitschaft mitbringen, ein Leben lang zu lernen. Die Fähigkeit, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, wird zur Schlüsselkompetenz in einer sich rasant verändernden medizinischen Welt.
Deshalb integrieren wir zusammen mit der Medical School Berlin digitale und technologische Kompetenzen systematisch in die Ausbildung – sei es der Umgang mit KI, Big Data oder die Grundlagen personalisierter Medizin. Ziel ist es, nicht nur technisches Wissen zu vermitteln, sondern auch ein kritisches Verständnis für Chancen und Grenzen neuer Technologien zu entwickeln.
Ein besonderer Fokus liegt zudem auf interdisziplinärem Arbeiten: Die Medizin von morgen ist keine Einzeldisziplin mehr, sondern bewegt sich im Spannungsfeld von Informatik, Biotechnologie, Ethik und Ökonomie. Wer heute in der Ausbildung mit diesen Schnittstellen in Kontakt kommt, ist morgen besser gerüstet, Innovationen nicht nur zu verstehen, sondern aktiv mitzugestalten.
Was treibt Sie in Ihrem Beruf jeden Tag an?
Was mich jeden Tag aufs Neue antreibt, ist die Zusammenarbeit mit Menschen, die sich mit ganzem Herzen der Medizin widmen – ob in der Forschung, in der Lehre oder direkt in der Patientenversorgung. Besonders inspirierend finde ich die Teamarbeit über Fachgrenzen hinweg: Wenn Medizinerinnen und Mediziner mit Fachleuten aus der Informatik, der Biotechnologie oder den Sozialwissenschaften zusammenkommen, entsteht ein unglaublich dynamisches Umfeld, in dem echte Innovation möglich wird. Diese interdisziplinäre Perspektive bereichert nicht nur den wissenschaftlichen Diskurs, sondern führt ganz konkret zu einer besseren, individuelleren Patientenversorgung.
Mediziner zu sein, ist für mich deshalb weit mehr als ein Beruf – es ist eine Berufung. Gerade in schwierigen Phasen hilft mir dieses Bewusstsein, den Sinn meiner Arbeit nicht aus dem Blick zu verlieren. Zu wissen, dass man durch Forschung, Lehre oder klinisches Engagement einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Medizin leistet, gibt Kraft und Motivation. Die Vielfalt der Aufgaben, die intensive Kommunikation und die Koordination im Team fordern zwar, aber sie geben auch sehr viel zurück. Am Ende steht immer das gemeinsame Ziel: Menschen bestmöglich zu helfen – mit Wissen, Empathie und Verantwortung.


