Dr. med Julian Zeiler ist Weiterbildungsassistent in der Allgemeinärztlichen Praxis seines Vaters. Für ihn ist Hausarzt sein nicht nur ein Beruf, sondern auch eine Herzensangelegenheit, welche in seinen Augen durch Vorurteile und eine komplexe Weiterbildung seinen guten Ruf verloren hat. Im Interview mit Lisa Albrecht erzählt er, wieso der Ärztemangel auf dem Land seiner Meinung nach so gravierend ist und gibt Einblicke in seine Weiterbildung zum Allgemeinmediziner.
Würde Sie sagen, dass Ihnen der Beruf „Arzt“ schon in die Wiege gelegt wurde. Schließlich ist Ihr Vater selbst Allgemeinmediziner. War es somit schon immer der Plan, in die Fußstapfen Ihres Vaters zu treten, oder hatten Sie in Ihrer Kindheit und Jugend auch ganz andere Berufswünsche?
(lacht) Das stimmt: Ich bin ziemlich familiär vorbelastet, denn meine Mutter ist auch noch Apothekerin. Aus diesem Grund hatte ich immer Kontakt zu der Medizin, was mein Interesse schon in meiner Jugendzeit geweckt hat. Dennoch war Arzt nicht mein erster Gedanke in der Schulzeit. Damals dachte ich immer, dass ich mich in einem technischen Beruf sehe. Erst zum Ende der Oberstufe hin ist die Medizin immer stärker in meinen Fokus gerückt.
Tatsächlich habe ich auch die Allgemeinmedizin erst sehr spät im Studium für mich entdeckt. Für mich kamen in meiner Studienzeit viele Fachdisziplinen in Frage: Beispielsweise waren die Herzchirurgie, die Kardiologie und die Anästhesie sehr weit oben in meinem Entscheidungsranking. Mein PJ-Wahltertial habe ich beispielsweise in der Anästhesie abgelegt. Dabei habe ich über den Lauf meines Studiums hinweg festgestellt, dass mich nicht nur ein Bereich alleine fasziniert, sondern die fachliche Breite. Aus diesem und vielen anderen Gründen war die Allgemeinmedizin für mich die ideale Lösung.
Zwischen den vielen Fachdisziplinen haben Sie sich für die Allgemeinmedizin entschieden. Was finden Sie an diesem Fachbereich so interessant?
Mich reizt das große Spektrum der medizinischen Thematiken, welche hinter der Allgemeinmedizin stecken. Zudem kann man – in meinen Augen – die Allgemeinmedizin als Kerndisziplin sehen, da man als Allgemeinarzt für die Patienten oftmals als eine Art Gesundheitsmanager:in fungiert. Das heißt, wir sind die erste Anlaufstelle für alle Beschwerden, die wir in vielen Fällen selbst lösen können oder wir binden die jeweiligen Spezialisten mit ein. So können wir als Allgemeinmediziner:innen unter Einbeziehung aller Faktoren ein sinnvolles und ganzheitliches Konzept ausarbeiten, welches genau auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt sind. Und schlussendlich kann man sagen, dass man als Allgemeinmediziner:in die Person ist, die in letzter Instanz die Verantwortung trägt. Denn wenn der Spezialist in seinem Bereich keine Ursache der jeweiligen Beschwerden findet, kommen die Patienten oftmals wieder zurück zum Hausarzt. Das macht den Job sehr anspruchsvoll und es wird nie langweilig!
Welche Persönlichkeiten fühlen sich in der Allgemeinmedizin denn wohl?
Meiner Meinung nach würden sich viel mehr Kolleg:innen in der Allgemeinmedizin wohlfühlen, als sie denken. Ich weiß tatsächlich auch nicht, ob ich in dieser Fachdisziplin gelandet wäre, wenn ich nicht diesen Bezug durch meinen Vater gehabt hätte. Insgesamt braucht man sicherlich ein gewisses Interesse für die fachliche Breite. Mediziner:innen, welche sich lieber nur auf ein bestimmtes Organ spezialisieren oder in der Forschung arbeiten wollen, werden in dieser Fachdisziplin nicht glücklich. Man muss einfach Lust haben, an und mit den Patienten zu arbeiten. Im Gegensatz zum Klinikalltag hat man in einer Stadt- oder Landpraxis viel mehr direkten Patientenkontakt.
Als Allgemeinmediziner sind Sie nach Ihrer fachärztlichen Weiterbildung in der Stadt wieder zurück aufs Land gegangen. Warum reizt Sie das Praktizieren im ländlichen Raum mehr als in der Stadt, wo die Dichte der PKV-Versicherten in der Regel höher ist?
Zum einen bin ich mit der Region einfach verwurzelt. Hier lebt meine Familie und ein Teil meines Bekanntenkreises. Zum anderen reizt mich die Allgemeinmedizin auf dem Land fachlich deutlich stärker. In der Stadt „leidet“ man als Hausarzt etwas an der hohen Spezialistendichte. In Deutschland haben wir keine Verpflichtung – im Gegensatz zu beispielsweise Großbritannien – zuerst zum Hausarzt zu gehen, denn jeder kann direkt zum Spezialisten. Aus diesem Grund hat ein Hausarzt in der Stadt oftmals weniger Arbeit in der fachlichen Tiefe als ein Allgemeinmediziner auf dem Land. Zusätzlich kann man sagen, dass der Landarzt im Gegensatz zum Stadtarzt oftmals etwas mehr verdient. Das kann natürlich auch dem geschuldet sein, dass man etwas mehr zu arbeiten hat. Zudem ist das Patientenklientel anders – oftmals sogar dankbarer und im positiven Sinne einfacher in der Kommunikation.
Gibt es auch Nachteile gegenüber dem Praktizieren in der Stadt?
Nachteile gibt es immer! Sicherlich kann man hier als großen Nachteil den Fachkräftemangel anführen. Auf dem Land ist es einfach schwieriger Weiterbildungsassistent:innen, Fachärzt:innen oder auch medizinische Fachangestellte zu finden. Da tut man sich in der Stadt sicherlich einfacher. Zusätzlich ist die geringere Dichte an Spezialisten gleichzeitig ein gewisser Nachteil, denn es stellt in manchen Situationen eine Herausforderung dar. Das liegt daran, dass ein Mediziner auf dem Land ein breites Spektrum an Wissen benötigt, um die Patienten versorgen zu können. Aus diesem Grund liegen die Erwartungen an eine Landärztin immer höher insofern, als dass man den Patienten fachlich mehr bedient. Das ist Fluch und Segen zugleich.
Wie führt man als Landarzt seine Praxis wirtschaftlich erfolgreich?
Ich glaube, wenn man mit Herzblut und Motivation dabei ist, ist es tatsächlich relativ einfach, erfolgreich zu sein. Die Nachfrage ist von der Seite der Patienten sehr hoch und ländliche Hausarztpraxen werden immer weniger. Das heißt, dass einem die Arbeit nicht ausgehen wird. (lacht). Dennoch ist es wichtig, dass man sich modern aufstellt, effizient ist und ein straffes Praxismanagement hat. Des Weiteren ist es wichtig, mit bürokratischen Aufgaben umgehen zu können. Das ist gerade als Einzelpraxis bisweilen eine große Herausforderung. Es würde mich daher nicht wundern, wenn zukünftig Geschäftsmodelle wie Praxisnetzwerke, Gemeinschaftspraxen oder Medizinische Versorgungszentren breiter Anwendung finden. Hier können gewisse Aufgaben und Anforderungen geteilt werden, was die Effizienz wieder steigen lässt. Man kann sich mehr auf den Patienten fokussieren oder sogar im Durchschnitt mehr Patientinnen behandeln. Das macht eine Praxis wirtschaftlicher.
Nehmen Sie Vorurteile unter Medizinern gegenüber Landarztpraxen wahr, die geradegerückt werden sollten?
Oftmals hört man, dass der Allgemeinmediziner derjenige ist, der am wenigsten am Zahn der Zeit ist. Was ich tatsächlich oft sehr anders erlebe. Hausärzte sind die, bei denen alle Fäden, alle Spezialisten, alle Befunde und neue Therapiekonzepte zusammenlaufen. Das heißt, dass man aus allen Fachrichtungen immer das Neueste mitbekommt. Von daher ist eine Allgemeinmedizinerin von fachlichem Wissen immer ganz vorne mit dabei.
Womit wir Hausärzte generell zu kämpfen haben, ist, dass Mediziner:innen an der Universität meist von Spezialisten ausgebildet werden. In meiner Erinnerung gab es immer wieder Fallbeispiele, dass eine Patientin mit irgendwelchen Beschwerden zum Hausarzt geht, der die Symptomatik nicht versteht und ein Antibiotikum verschreibt, welches nicht hilft. Der Patientin geht es daraufhin immer schlechter und sie geht in ihrer Not zur Uniklinik, in der ihr endlich geholfen wird. An dieser Stelle muss man aufpassen, dass das Fachgebiet nicht in Verruf kommt. Wenn man die Allgemeinmedizin stärken will, muss schon in der Ausbildung und im Studium das Image verbessert werden.
Der Ärztemangel in ländlichen Regionen ist bekanntermaßen besonders hoch. Woran liegt das?
Ganz konkret kann man eines festhalten: Universitäten gibt es nur in großen Städten und das Medizinstudium dauert lange. Der Lebensmittelpunkt verschiebt sich in die Stadt. Man baut sich sein soziales Umfeld auf und verwurzelt sich dort. Die wenigsten möchten nach dem Studium raus aus der Stadt und eine Stunde weit weg – egal in welche Himmelsrichtung – aufs Land hinaus. Zusätzlich hat eine Stadt viele Vorzüge für junge Menschen. In vielen Angeboten ist das Land einfach weniger attraktiv. Die Stadt hat da mehr Anziehungskraft und die wenigen Allgemeinmediziner:innen siedeln sich deshalb in der Stadt an. Dadurch ist das Land im Umkehrschluss weniger gut versorgt.
Was dazu kommt, ist, dass die Allgemeinmedizin ein großes Problem mit der Weiterbildung hat. Es ist wahnsinnig schwierig, eine strukturierte Weiterbildung zu finden. Beispielsweise gibt es in der Stadt München nur eine Klinik, welche an einem Weiterbildungsverbund teilnimmt. Und leider ist das angebotene Weiterbildungskonzept oft nicht ideal für die werdenden Allgemeinmediziner, sondern mehr auf die Bedürfnisse der Klinik ausgerichtet. Beispielsweise halte ich Rotationskonzepte ohne Notaufnahme und Funktionsdiagnostik für einen Allgemeinmediziner für unzureichend. Stationsarbeit kennenzulernen ist sicherlich wichtig, jedoch nicht nahe genug am späteren Betätigungsfeld des Hausarztes. Wenn man wirklich die qualitativ beste Weiterbildung sucht, muss man sich seine benötigten Bausteine oft einzeln zusammensuchen, ständig rotieren und sich neu bewerben. Internist:innen oder Anästhesist:innen beispielsweise können sich an einer Klinik bewerben und dort – wenn sie wollen – ihre gesamte Facharztausbildung ablegen. Für angehende Hausärzt:innen ist das nicht so einfach. Da hat die Allgemeinmedizin einfach ein Problem. Man muss wirklich viel Motivation mitbringen, um diese Hürden in der Weiterbildung auf sich zu nehmen.
Mittlerweile haben sich viele Initiativen gegründet, welche die Medizinstudierenden und jungen Ärzt:innen im Studium oder bei der Niederlassung unterstützen, um den Ärztemangel etwas zu kompensieren. Wie sehen Sie diese Maßnahmen und gibt es dabei noch Verbesserungsbedarf?
Per se finde ich diese Form der Unterstützung sehr gut. Vor allem im ambulanten Bereich der allgemeinmedizinischen Weiterbildung wird gut gefördert. Das ist ein super Pluspunkt. Dennoch haben viele Förderungen auch ihre Schwachpunkte. Beispielsweise ist bei der Weiterbildung zum Allgemeinmediziner das „Nadelöhr“ der verpflichtende stationäre Aufenthalt von zwölf Monaten in der Inneren Medizin. Dabei liegt die Förderung bei etwas mehr als 1.400 € monatlich. Ehrlich gesagt ist das oftmals etwas zu wenig, was die Weiterbildung zum Stadt- und Landarzt gegenüber anderen Fachbereichen nicht besonders lukrativ macht. Dennoch ist es ein guter Ansatz!
Auch die Förderung im Studium – das „Landarzt-Stipendium“ – hat seine Tücken. Selbst wenn man sich verpflichten würde, als Landärztin/Landarzt tätig zu sein, muss auch die komplette Weiterbildung auf dem Land absolviert werden. Das heißt, dass man in der Stadt studiert hat und sofort danach aufs Land muss, um dort seine komplette fachärztliche Weiterbildung zu absolvieren. Dieser Punkt war beispielsweise für mich eine große Hürde, obwohl ich schon im Vorhinein gewusst habe, dass ich auf dem Land praktizieren werde, denn ich wollte einen Teil meiner Weiterbildung in der Stadt machen. Aus diesem Grund konnte ich die Förderung nicht annehmen. Ein einfacher Lösungsvorschlag wäre hier, während der Weiterbildung mehr Spielraum zu lassen und die verpflichtende Zeit auf dem Land dann als Facharzt hinten dran zu hängen.
Wenn Sie an Ihr Studium und vor allem an Ihre fachärztliche Weiterbildung denken, was ist Ihnen da besonders im Gedächtnis geblieben?
Das Schöne an der Allgemeinmedizin ist, dass es keinen Tag gibt, an dem man nicht dazu lernt. Aber natürlich gibt es auch Momente, die mich geprägt haben. Dazu zählt meine Zeit in der Pädiatrie in Starnberg und in der Notaufnahme in Bogenhausen. Persönlich finde ich das Zusammenarbeiten mit Kindern sehr schön und kann auch wahnsinnig Spaß machen – wobei in der Pädiatrie immer Licht und Schatten herrschen. Ein Kind, das wieder gesund wird, ist eine große Freude, ein Kind, das nicht mehr gesund wird, ist ein großes Leid. Das prägt einen. Auch meine Zeit in der Notaufnahme ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Die Arbeit dort hat mich notfallmedizinisch sehr geprägt und hat mich in einigen Hinsichten abgehärtet.
Vor allem in der Allgemeinmedizin bekommt man aber auch viel positives Feedback und Dankbarkeit durch die Patienten wieder zurück. Hier in der Praxis habe ich oftmals das Gefühl für die Patienten einen wichtigeren Job zu machen, als damals in der Notaufnahme. Unbestritten macht man dort auch einen sehr wichtigen Job, leider jedoch manchmal mit relativ kurzfristigem Erfolg.
In der Allgemeinmedizin begleitet man die Patienten und Patientinnen langfristig bei ihrer Genesung und in ihrem Leben und hat so oft die Chance einen wirklich relevanten Einfluss auf Gesundheit und Lebensqualität der Patienten zu nehmen.
Und als Fazit: Was lieben Sie an Ihrem Beruf am meisten?
Da gibt es tatsächlich sehr viele Aspekte! An der Allgemeinmedizin liebe ich die fachliche Breite. Dieses Gefühl, jeden Tag etwas Neues zu lernen – da dieser Fachbereich ein so weites medizinisches Spektrum umfasst – reizt mich immer wieder aufs Neue. Auch der sehr hohe Patientenkontakt ist etwas, das ich an meinem Job liebe und mir trotz der damit verbundenen Herausforderungen Spaß macht. Zusätzlich kann man die gute Work-Life-Balance anführen. Arbeiten von Montag bis Freitag und das Wochenende immer frei. Das hat man im Krankenhaus nicht (lacht).