Mit der Mission, die menschliche Gesundheit weltweit zu verbessern, ist Dr. Claire Novorol mit Ada Health angetreten. Weil Millionen von Menschen keinen Zugang zu den medizinischen Informationen und grundlegender Gesundheitsversorgung haben, ist eine KI-basierte App entstanden, die Menschen helfen soll, ihre Symptome besser einzuordnen.
Du bist Mitgründerin von Ada Health und Chief Medical Officer. Wodurch und wann wurde dir klar, dass du mit künstlicher Intelligenz einen größeren Impact auf die Gesundheit von Menschen leisten könntest, als Ärztin?
Nachdem ich mehrere Jahre im englischen NHS in der klinischen Praxis tätig war, begann ich 2009 meine Doktorandenstelle an der University of Cambridge. Während dieser Zeit engagierte ich mich bei vielen Aktivitäten an der Judge Business School und dem Centre for Entrepreneurial Learning der Universität Cambridge. Darunter auch Hackathons, bei denen ich Entwickler traf, die an unterschiedlichsten Health Tech-Ideen arbeiteten. Ich war fasziniert von Entrepreneuren, die aus Universitätsprojekten heraus neue Unternehmen gründeten und erfolgreich skalieren konnten. Dadurch realisierte ich, dass ich durch den Aufbau eines Unternehmens meine medizinische Ausbildung und Erfahrung am besten zur Geltung bringen konnte. Nur so kann man als einzelner Arzt Millionen von Menschen erreichen und weit mehr Wirkung entfalten.
Was sind die Ziele von Ada Health?
Ada ist ein Digital Health-Unternehmen, das von meinen Mitgründern und mir 2011 in Berlin mit dem Ziel gegründet wurde, Menschen zu besserer Gesundheit zu verhelfen. Durch die Kombination von medizinischem Expertenwissen und künstlicher Intelligenz hilft Ada Menschen dabei, die eigenen Symptome besser zu verstehen und nächste Schritte bei der Behandlung zu finden. Ada geht dabei wie ein Arzt vor und stellt personalisierte und adaptive Fragen, die sich ganz nach den präsentierten Beschwerden richten. Basierend auf den bereitgestellten Gesundheitsinformationen erstellt Ada am Ende einer Symptomanalyse einen Bericht mit den wahrscheinlichsten Ursachen für die Symptome.
Unsere Technologie wird von Gesundheitssystemen, Krankenversicherungen und NGOs weltweit verwendet, um die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung zu steigern. Unsere Ada-App ist weltweit kostenlos verfügbar und verzeichnet bisher über 12 Millionen Nutzer mit 27 Millionen abgeschlossenen Gesundheitschecks.
Wo steht ihr heute und was sind in den kommenden Jahren eure größten Herausforderungen?
In den ersten Jahren ging es uns darum, unser KI-System und die medizinische Wissensbasis zu entwickeln. Wichtig war uns, dass Ada möglichst viele Erkrankungen mit hoher Treffsicherheit erkennen kann. Deshalb arbeiten auch über 50 Ärztinnen und Ärzte bei Ada, die die medizinische Qualität unserer Lösungen sicher- stellen. In den letzten Jahren stand zusätzlich im Fokus, ein tragfähiges Geschäftsmodell aufzubauen. Dieses haben wir durch unser Partnerschaftsmodell gefunden. Im nächsten Schritt geht es uns nun darum, unser Partnerschaftsmodell weiter auszubauen – dabei blicken wir vor allem in die USA. Zudem wollen wir den Ada-Nutzern über die Gesundheitschecks hinaus weitere Optionen und Services anbieten. Über die Ada-Plattform sollen unsere Nutzer bequem die nächsten Stationen im Gesundheitssystem – wie zum Beispiel Videosprechstunden – finden und anlaufen können. Dadurch wollen wir die verschiedenen Stationen auf dem Patientenpfad besser verbinden und für die Menschen leichter zugänglich und navigierbar machen.
Ihr habt Tausende Erkrankungen und Symptomen modelliert. Darunter befinden sich auch seltene Erkrankungen, die für Ärzte besonders schwierig zu diagnostizieren sind. Welche Chance bietet KI gerade für Patienten mit seltenen Erkrankungen?
Seltene Erkrankungen sind eine große Herausforderung für Ärztinnen und Ärzte. Man geht davon aus, dass es aktuell um die 8.000 seltene Erkrankungen gibt. Durchschnittlich dauert es zirka 5 Jahre, bis Menschen mit seltenen Erkrankungen die richtige Diagnose erhalten, was für die Betroffenen eine Odyssee mit viel Unsicherheit und Frustration bedeutet. Von Ärzten ist kaum zu verlangen, dass sie all diese seltenen Erkrankungen kennen – vor allem, weil sie zurecht darauf trainiert werden, die häufigsten Krankheiten zu erkennen. KI-Systeme können hier einen großen Mehrwert leisten, indem sie Ärzten Hinweise über das mögliche Vorliegen einer seltenen Erkrankung geben.
In retrospektiven Studien konnten wir zeigen, dass mit Ada seltene rheumatologische Erkrankungen schneller erkannt werden können. Das bedeutet für Menschen mit seltenen Erkrankungen konkret, dass KI dabei helfen kann, schneller die richtige Diagnose und, wo möglich, Behandlung zu erhalten.
Kannst du konkrete Beispiele dafür nennen, an welchen Stellen der Einsatz von Ada Health den größten Nutzen stiftet?
Gerade bei schwer zu diagnostizierenden oder seltenen Erkrankungen kann Ada einen wertvollen Beitrag leisten. Wir erhalten immer wieder Berichte von Nutzern, in denen sie uns davon erzählen, dass sie erst nach Jahren und mehreren Arztbesuchen die Diagnose für eine Krankheit erhalten haben, die Ada in Minuten erkannt hat. Auch in Ländern des globalen Südens, wo Menschen oftmals lange Wege bis zum nächsten Arzt auf sich nehmen müssen, kann Ada eine große Hilfe sein. Das zeigt sich auch in unseren Nutzerzahlen. Rund ein Drittel unserer Nutzer kommt aus Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen wie beispielsweise Indien oder Tanzania.
Mit Ada seid ihr international unterwegs. Wie würdest du das qualitative Level der Verzahnung von Gesundheitswesen und KI in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehen?
In Deutschland hat sich in den letzten Jahren bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens viel bewegt. Dennoch sind uns im internationalen Vergleich manche Länder wie die USA, Israel oder Estland voraus – auch was den Einsatz von KI-Systemen betrifft. Das ist sicher eine Mentalitätsfrage, der beispielsweise durch mehr Vermittlung von Kenntnissen zu künstlicher Intelligenz im Medizinstudium begegnet werden kann. Es ist aber auch eine Frage von vernetzten Systemen, in die KI-Systeme eingebettet werden können sowie eine Frage der Verfügbarkeit von strukturierten, qualitativ hochwertigen Gesundheitsdaten, auf denen KI-Systeme trainiert werden können.
Ihr seid für Datenschutzmängel kritisiert worden. Wie sicher sind die persönlichen Gesundheitsinformationen?
Das Vertrauen unserer Nutzer ist für uns das höchste Gut – dabei spielt Datenschutz eine ganz entscheidende Rolle. Wir befolgen die Richtlinien der weltweit strengsten Datenschutzgesetze und -vorschriften, einschließlich natürlich der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Unsere Nutzer können sich jederzeit sicher sein, dass wir keine persönlichen Gesundheitsdaten ohne ihre ganz explizite Einwilligung mit Dritten teilen – das kann beispielsweise sinnvoll sein, wenn unsere Nutzer ihren Ada-Report direkt mit Ärzten teilen wollen.
Ada Health ist laut Crunchbase mit knapp 200 Millionen Dollar finanziert. Mit welchem Geschäftsmodell möchtet ihr das Geld verdienen, das eure Investoren von euch perspektivisch erwarten?
Unser Geschäftsmodell besteht in Partnerschaften mit führenden privaten Gesundheitssystemen, Krankenversicherungen, NGOs und anderen Organisationen. Unsere Partner verwenden Adas Technologie, um ihren Versicherten und Kunden eine erste Anlaufstation zu bieten und ihnen zu helfen, die passende nächste Station auf dem Weg durch das Gesundheitssystem zu finden, wie zum Beispiel die direkte Buchung eines Arzttermins oder einer Videosprechstunde. Darüber hinaus ist es auch möglich, den Ada-Report samt wahrscheinlichen Krankheitsursachen direkt mit dem behandelnden Arzt zu teilen. Das spart Zeit und kann schneller zur richtigen ärztlichen Diagnose führen. Wir sprechen davon, dass wir für unsere Kunden die Digitale Front Door – also die digitale Eingangstür – bauen, durch die Nutzer die passenden Angebote unserer Geschäftskunden finden und ansteuern können.
Wir arbeiten bereits mit einigen der größten und innovativsten Gesundheitssysteme in Nordamerika und Europa zusammen. Künftig wollen wir noch weitere Partner finden und den Nutzern noch mehr technische Möglichkeiten bieten, um möglichst einfach zur passenden Gesundheitsversorgung zu kommen.
Die ärztliche Versorgung ist schon heute in manchen Regionen kritisch. Welche Chancen bietet eine Kombination aus KI und Telemedizin, dem ärztlichen Personalmangel zu begegnen?
Man geht davon aus, dass in England rund 40 Prozent der Besuche in Notaufnahmen unnötig sind. In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild. Der Grund, warum Menschen oft unnötigerweise Notaufnahmen aufsuchen, ist, dass sie nicht wissen, welche anderen Optionen ihnen zur Verfügung stehen. Genau hier setzt Ada an: Wir wollen Menschen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz eine vertrauenswürdige und personalisierte medizinische Beratung zu ihren Beschwerden geben und ihnen die nächsten passenden Schritte aufzeigen. Das kann in Kooperation mit unseren Partnern auch die Videosprechstunde sein, die natürlich weniger Ressourcen in Anspruch nimmt als der Besuch in der Notaufnahme. Medizinische KI wie Ada ist also ein wirkungsvolles und auch sehr gut zu skalierendes Werkzeug, um durch eine effiziente Nutzung der verfügbaren Ressourcen gegen den Ärztemangel anzusteuern.
Der Umgang mit künstlicher Intelligenz als Unterstützung von Ärzten spielt im Medizinstudium so gut wie keine Rolle. Muss sich nicht auch im Studium und der fachärztlichen Weiterbildung von Ärzten etwas ändern, wenn die Technologie in rasanten Schritten wächst?
Ja! Künstliche Intelligenz sollte auf jeden Fall stärker im Medizinstudium verankert werden. Klar ist: KI wird menschliche Ärzte niemals ersetzen. Sie wird aber ein wichtiges Instrument im Werkzeugkasten der Ärzte sein, das es zu nutzen und zu verstehen gilt. Wichtig ist auch, dass Ärzte sicher nicht die Algorithmen hinter der KI in allen Einzelheiten verstehen müssen. Vielmehr geht es um die Fragen: Wie kann ich KI sinnvoll einsetzen? An welchen Qualitätskriterien erkenne ich gute KI-Systeme? Wo sind die Limitationen von KI-Systemen? Und wo muss ich als Arzt die Entscheidungshoheit behalten? Ich bin überzeugt, dass langfristig die Ärzte die besseren Behandler sein werden, die KI-Systeme im Alltag nutzen.
Von wo aus arbeitest du gerade und an welchem Hauptprojekt?
In den ersten Jahren nach der Gründung von Ada lebte ich im Vereinigten Königreich – erst in Cambridge und dann in London – verbrachte aber viel Zeit mit unserem Team in Berlin. Von 2018 bis 2022 lebte ich in Berlin, in der Nähe des Hauptbüros von Ada. Anfang dieses Jahres bin ich in die USA gezogen, um unser Geschäft mit US-Gesundheitssystemen und anderen US-Partnern auszubauen.
Welches Feedback von Ärzten, aber auch Patienten bekommst du in deiner Arbeit? Und an welchen Momenten spürst du, dass du genau das Richtige tust?
Das Feedback von Ärzten fällt sehr unterschiedlich aus: Manche begegnen Ada mit Skepsis, andere mit großer Begeisterung. Die meisten Ärzte, mit denen ich spreche, sind jedoch angetan von unserer Hingabe für medizinische Qualität und wissenschaftliche Sorgfalt, die sich in der breiten Abdeckung von Krankheitsbildern und der Treffsicherheit von Ada widerspiegelt. Was uns jedoch besonders motiviert, ist das positive Feedback von unseren Nutzern. Wenn uns Menschen berichten, dass sie durch Ada nach langer Zeit die richtige Diagnose finden oder im Notfall die richtige Entscheidung treffen konnten, dann gibt uns das viel Kraft und Motivation weiter an unserer Mission zu arbeiten.
Als du ganz am Anfang deiner Medizinerlaufbahn standest, von welchen Erfahrungen, die du später gemacht hast, hättest du zu diesem Zeitpunkt wohl am meisten profitiert?
Erstens, dass es viele alternative Wege zum Erfolg und Möglichkeiten gibt, etwas zu bewirken jenseits der ausgetretenen traditionellen Pfade. Zweitens, wie stark sich die Technologie auf die Möglichkeiten in der Medizin und der Gesundheitsversorgung auswirken wird. Die Innovation in der Biotechnologie und im Bereich der digitalen Gesundheit beschleunigt sich, und wir werden in den nächsten zehn Jahren eine riesige Welle neuer Möglichkeiten und eine Transformation der Branche erleben. Als ich mich zur Ärztin ausbilden ließ, hatte ich keine Ahnung, wie viel Veränderung ich in der ersten Hälfte meiner Karriere miterleben würde, und ich kann mir wahrscheinlich nur ansatzweise vorstellen, welche Veränderungen wir in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten erleben werden.
Frauen sind sowohl in der Tech-Szene als auch im Gesundheitswesen noch sehr selten in absoluten Führungspositionen anzutreffen, weil beide Bereiche leider sehr männerdominiert sind. Welche deiner Fähigkeiten waren die wichtigsten für deinen Erfolg – und welchen Rat daraus folgend würdest du als Role Model für junge Frauen haben?
Vorbilder sind ein unglaublich wichtiger Faktor. Als ich vor mehr als zehn Jahren andere Menschen kennenlernte, die ein Unternehmen gegründet, einen Vertrauensvorschuss erhalten und sich den Herausforderungen gestellt hatten, hatte ich das Gefühl, dass auch ich diesen Schritt wagen könnte. Für mich persönlich war es nicht so wichtig, ob es sich um Frauen handelte. Aber in der Tat waren nur wenige Vorbilder aus dem Gesundheits- oder Technologiebereich, die mir damals begegneten, Frauen. Viel wichtiger war, dass ich Parallelen zwischen ihnen und mir sehen konnte und zwischen dem Weg, den sie eingeschlagen hatten, und dem, den ich für mich selbst gehen wollte: Ärzte oder Wissenschaftler, die den Sprung in die Selbständigkeit gewagt hatten. Menschen, die nicht den klassischen Business-Hintergrund hatten, die aber dennoch den Sprung geschafft hatten. Vorbilder sind also ein wichtiger Faktor, die zeigen, dass, wenn sie es schaffen, andere es auch können. Was die Fähigkeiten betrifft, so würde ich sagen, dass die Mentalität noch wichtiger ist als die Fähigkeiten. Ich war immer neugierig und wollte verschiedene Pfade und Möglichkeiten verfolgen, nicht weil sie eine weitere Stufe auf der Karriereleiter nach oben waren oder im Lebenslauf gut aussahen, sondern weil ich sie faszinierend und wichtig fand.
Eine weitere wichtige Einstellung auf meinem Weg war die Bereitschaft, immer zu lernen und in vielerlei Hinsicht immer ein Anfänger zu sein. Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer auf einer steilen Lernkurve befinde und auf das zusteuere, was als Nächstes kommt, inmitten von Unklarheit und Unsicherheit. Ich fühle mich wohl, wenn ich mich nicht auf einem wohlbekannten Pfad befinde. Ich bin bereit zu scheitern und ein Risiko einzugehen.
Dr. Claire Novorol
Als ausgebildete Ärztin arbeitete Claire zunächst in der Pädiatrie, bevor sie sich auf klinische Genetik spezialisierte. Mit Abschlüssen in Pathologie und Medizin von der University of Bristol und einem PhD in Neurowissenschaften von der University of Cambridge ist Claire Mitgründerin und Chief Medical Officer bei Ada Health. Durch ihre fachliche Expertise und die enge Zusammenarbeit mit Patient:innen und Ärzt:innen stellt sie sicher, dass Ada optimal auf deren Bedürfnisse abgestimmt ist.
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