Die Bundesregierung hat Ende September Pläne zur Ambulantisierung von stationären Leistungen vorgestellt. Dies kann ein erster Schritt hin zu einer besseren, sektorübergreifenden Versorgung zur Behandlung von Patienten sein.
Der Healthcare-Experte Udo Banke von der renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Grant Thornton zeigt darauf aufbauend neue Möglichkeiten für Krankenhäuser auf.
Das deutsche Gesundheitswesen steht aktuell vor enormen Herausforderungen. Neben dem notorischen Fachkräftemangel entstehen vor allem auch hohe und permanent steigende Kosten im Rahmen der stationären medizinischen und pflegerischen Versorgung. Ein Großteil der in Deutschland behandelten stationären Patienten ist heute bereits ein sogenannter „Kurzlieger“. Insofern stellt sich hier naturgemäß die Frage, ob und inwieweit diese Behandlungen kostengünstiger ambulant erfolgen können. Dies wird eines der zentralen Themen der Strukturveränderungen in der deutschen Gesundheitsversorgung der kommenden Jahre sein.
Deutschland verfügt seit Jahrzehnten über eine eingeschwungene medizinische Infrastruktur. Niedergelassene Ärzte, Fachärzte sowie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und ambulante OP-Zentren jedweder Art bilden eine stabile Struktur im ambulanten Bereich. Parallel hierzu ist im stationären Bereich die flächendeckende Krankenhausversorgung ein wichtiger Bestandteil dieser Infrastruktur. Was jedoch nicht immer funktioniert, ist die Verzahnung dieser Strukturen. Die dahinterstehenden Vergütungssysteme sind zu starr auf ihre Budget- und Vergütungsmechanismen ausgerichtet, als dass sie Platz für eine Verknüpf- ung in die anderen Bereiche zuließen. Diese Lücken zwischen den Vergütungssystemen wirken sich auch auf die tatsächliche Leistungserbringung an den Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung aus. So entsteht teils auch ein Zuständigkeitsvakuum, das in der Praxis immer wieder zu Schwierigkeiten führt.
Maßnahmen und Handlungsfelder zur Ambulantisierung
Die bisherigen Formen der Abrechnungssysteme bieten aus sich heraus keine Lösungen. Es wird sich im Laufe der anstehenden Diskussionen in der Branche zeigen, wie weit Mut und Durchsetzungskraft der maßgeblichen Akteure gehen, die bisherigen Vergütungssysteme zu verändern, in Teilen neu auszurichten oder sogar vollständig abzulösen. Hierbei sind sektorübergreifende Konzepte gefragt. Die nunmehr vorgelegten Pläne der Bundesregierung sehen eine Modifikation der bestehenden Vergütungssysteme vor. Die Richtung ist insoweit vorgegeben, dass die Ambulantisierung von medizinischen Leistungen vorangetrieben werden soll. Demnach sollen auch künftig Krankenhäuser und Kostenträger weiterhin Entgeltvereinbarungen hinsichtlich ihrer stationären Leistungen abschließen, die Begrenzungen der Leistungen sowie der Gesamtvergütung enthalten.
Tagesgeldbehandlung
Ab dem 1. Januar 2023 soll es Krankenhäusern erstmalig gestattet sein, sämtliche bislang vollstationär erbrachte Behandlungen auch als sogenannte Tagesbehandlungen durchzuführen, soweit dies im Einzelfall medizinisch vertretbar ist. Das System der Tagesbehandlung ist neu und stellt eine signifikante Durchbrechung des bisherigen DRG-Fallpauschalensystems (Diagnosis Related Groups) dar. Die Möglichkeit der Tagesbe- handlung darf nicht zu einer Leistungsausweitung des Krankenhauses führen, denn nur Leistungen, die bislang stationär durchgeführt wurden und für die die Infrastruktur eines Krankenhaus erforderlich ist, sollen als Tagesbehandlung erbracht werden dürfen. Wann eine solche Erforderlichkeit gegeben ist, gilt es insoweit noch weiter zu konkretisieren, um großflächige Abgrenzungsprobleme in der Praxis zu vermeiden.
Zudem sind bei der Tagesbehandlung einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Für die nicht anfallenden Übernachtungskosten soll das Relativgewicht (Bewertungsrelation) der DRG pauschal um 0,04 pro Nacht, die nicht stationär verbracht wird, gemindert werden.
Ferner sollen auch Vergütungen von eintägigen Tagesbehandlungen von notfallmäßig – also ohne Einweisung – aufgenommenen Patienten nicht möglich sein. Zugleich soll aber für mehrstündig in der Notaufnahme behandelte Patienten ein zusätzlich zur bisherigen Vergütungsform gestaffelter Betreuungszuschlag gewährt werden. Dadurch wird der zusätzlichen Belastung durch überdurchschnittlich aufwändige Notfallbehandlungen Rechnung getragen und so die bisher bestehende Vergütungslücke zwischen normalen Notfallbehandlungen und stationären Behandlungen gefüllt.
Hybrid-DRG
Auch die Etablierung von sogenannten Hybrid-DRG könnte die bisher bestehenden Vergütungssysteme aufbrechen. Hierbei werden einzelne geeignete DRG als Hybrid-DRG identifiziert, die dann auch für die Erbringung von Leistungen im vertragsärztlichen Bereich geöffnet werden.
Ambulantes Operieren
Ein weiterer Ansatz der Durchbrechung der bisherigen starren Vergütungssysteme ist die Ausweitung des Katalogs der ambulant durchzuführenden Operationen gemäß § 115b SGB V (AOP-Katalog), der in den letzten Jahren immer weiter ausgeweitet wurde. Ebenfalls in diese Richtung zielend wurden bereits 2020 durch das MDK-Reformgesetz entsprechende Anreizpunkte hinzu einer Ambulantisierung gesetzt. So sind zum Beispiel die von Krankenhäusern ambulant erbrachten Leistungen des AOP-Katalogs von der Prüfung des Medizinischen Dienstes ausgenommen worden.
Versorgungsaufträge und Krankenhausplanungen
Auch der neu gestaltete Krankenhausplan des Landes Nordrhein-Westfalen ist hier zu nennen. Er löst sich von der Anzahl der Betten eines Krankenhauses und stellt auf das gesamte Leistungsspektrum des jeweiligen Hauses ab. Diese Planungen werden bundesweit beobachtet und könnten richtungsweisend, auch für die Strukturbemühungen einer sektorübergreifenden Versorgung, sein.
Autor Udo Banke verantwortet als Partner das Branchenteam Healthcare bei Grant Thornton. Der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bringt mehr als 20 Jahre praktische Erfahrung in der Prüfung und prüfungsnahen Beratung von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft mit. Zu seinen Mandanten zählen Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen unterschiedlichster Trägerschaften im öffentlichen, privaten und gemeinnützigen Bereich sowie Unternehmen der Medizintechnik.
Grant Thornton gehört zu den zehn größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutschland. Rund 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen an elf Standorten neben dem gehobenen Mittelstand auch börsennotierte Unternehmen. Das Prüfungs- und Beratungsunternehmen besteht aus den Geschäftsbereichen Audit & Assurance, Tax, Advisory, Business Process Solutions, Legal und Private Finance. Die Gesellschaft ist die deutsche Mitgliedsfirma von Grant Thornton International Ltd. Mit über 62.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehr als 140 Ländern berät das Grant Thornton-Netzwerk Unternehmen auf der ganzen Welt.
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