Gemeinsam mit den BioNTech Gründern Özlem Türci und Ugur Sahin bildet Dr. Niels Halama das Scientific Management Board von HI-TRON (Helmholtz Institut für translationale Onkologie), das zum weltweit führenden Zentrum für personalisierte Krebsmedizin mit Fokus auf Immuntherapie aufgebaut werden soll. Immuntherapien haben in den letzten Jahren die Behandlung einiger Krebsarten geradezu revolutioniert. Welcher Weg noch vor uns liegt, erklärt PD Dr. Niels Halama im persönlichen Gespräch.
Gemeinsam mit einem Team um die BioNTech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci bauen Sie am Helmholtz-Ins-titut „HI-TRON“ eine wissenschaftliche Abteilung für mRNA-basierte Krebs-Immuntherapie auf. Wie ist es, mit solchen Koryphäen gemeinsam zu forschen?
Als ich anfing, mich mit Tumorimmunologie und Tumorimmuntherapie zu beschäftigen, hatten diese Bereiche noch keinen wirklichen Stellenwert – nicht in der Forschung und schon gar nicht in der Versorgung von Patient:innen. Für meine Forschung wurde ich damals in der Wissenschafts-Community fast etwas belächelt; so, als handle es sich um esoterische Experimente. Allerdings gab es auch schon ein paar wenige Kolleg:innen, die ebenfalls an dem Thema dran waren. Da vor einigen Jahren nicht wirklich viele auf diesen Gebieten geforscht haben, lernte man sich in der Szene schnell kennen. Dazu zählten die beiden BioNTech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci, die ich weit vor dem großartigen BioNTech-Erfolg kennengelernt habe.
Um Ihre Frage zu beantworten: Es für mich eine große Freude, mit diesen beiden charismatischen Persönlichkeiten zusammenzuarbeiten. Dadurch, dass wir uns schon lange kennen, ist eine sehr inspirierende Vertrauensbasis entstanden, die es sehr leicht macht, gemeinsam an unseren Zielen zu arbeiten.
Was wissen wir heute über die Wechselwirkungen zwischen der Entstehung und Ausbreitung maligner Erkrankungen und dem Immunsystem?
Wir wissen heute viel klarer, dass das Immunsystem eine wesentliche Rolle bei dem Entstehungsprozess maligner Erkrankungen spielt. Zum einen schützt es uns, um Erkrankungen zu verhindern. Andauernd entstehen Zellen, die tumorähnliche Eigenschaften besitzen, aber vom Immunsystem erkannt und abgetötet werden. Trotzdem kann es dazu kommen, dass das Immunsystem nicht alle diese Zellen erkennt.
Dabei haben wir mittlerweile ein wesentlich klareres Bild davon, dass entsprechende Elemente zusammenkommen müssen, damit der Tumor es schafft, sich vor dem Immunsystem zu tarnen. Genau dieser Punkt hat einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung, weil er ausschlaggebend dafür ist, wie der Tumor sich im Körper des Menschen ausbreitet. Der große Erkenntnisgewinn der letzten Jahre ist sicherlich, dass wir immer besser verstehen, mit welchen Schutzmechanismen sich der Tumor umgibt, um nicht vom Immunsystem angegriffen zu werden.
Was läuft in den Kommunikationswegen zwischen Tumor und Immunsystem falsch, wenn diese Krebszellen nicht bekämpft werden und zu den Mediatoren einer späteren Metastasierung werden können?
Wir gehen davon aus, dass es mehrere zentrale Möglichkeiten gibt, wie der Tumor sich schützen kann. Zum einen gaukelt er dem Immunsystem vor, dass er eine ganz normale gesunde Zelle ist und deswegen erkennt das Immunsystem sie nicht als „falsch“ oder „fremd“. Dementsprechend wird das Immunsystem überhaupt nicht aktiv. Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Tumor sich einfach dem Immunsystem entzieht: Er macht – bildlich gesehen – die Tür zu, sodass das Immunsystem nicht an ihn herankommt, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmt. Dies ist ein Mechanismus, der mittlerweile sehr gut untersucht ist.
Ein weitere Option ist, dass der Tumor aktiv Moleküle aussendet, die das Immunsystem stoppen und hemmen. Sie sorgen dafür, dass das Immunsystem nicht aktiv werden kann. Diese drei angesprochenen Möglichkeiten sind nur Beispiele, denn es gibt viele weitere Fälle in der Feinregulation zwischen Immunsystem und Tumor.
Immuntherapeutische Methoden werden bereits bei einigen Krebsarten eingesetzt. Welchen Stellenwert haben sie heute in der Therapie?
Um das Jahr 2012 bis 2013 herum ist letztendlich die mediale Aufmerksamkeit auf die Immuntherapie gelenkt worden. Denn zu dieser Zeit wurden erstmals Patienten, die zuvor nur durch eine Chemotherapie behandelt werden konnten und eine ganz schlechte Prognose hatten, durch eine Immuntherapie erfolgreich und dauerhaft therapiert. Es zeigte sich, dass die Patienten nicht nur auf die Therapie ansprachen, sondern dass das Immunsystem in der Lage war, den Tumor zu kontrollieren, sodass dieser nicht mehr in der Lage war, weiter zu wachsen. Das gab in der Onkologie vorher noch nie! Die Erkenntnisse daraus haben in einigen Bereichen die Therapie dramatisch verändert, beispielsweise beim Malignes-Melanom oder auch bei den Lungentumoren. Wir sind dabei immer feingliederiger geworden mit unserem Verständnis, welchen Nutzen unsere Patienten von einer solchen Immuntherapie haben könnten.
Wir haben zudem auch Marker entdeckt, mit denen wir Patienten herausfischen können, die von der Immuntherapie profitieren können. Für manche haben sich so die Therapien radikal verändert, für andere Krebsarten gibt es für die Patienten bisher nur wenig bis noch keinen Nutzen einer Immuntherapie. Das sind letztendlich die, die wir angehen müssen, um dafür zu sorgen, dass auch ihre Immuntherapie erfolgreich ist. Aber dazu zählen beispielsweise der Bauchspeicheldrüsenkrebs und die allermeisten Fälle von Darmkrebs. Das sind Erkrankungen, bei denen die Immuntherapie nur wenig bis gar nicht erfolgreich ist. Dieser Bereich hat durch die Forschung noch nicht profitieren können.
Sie sagten einmal, dass der mRNA-Impfstoff bei Corona seine Stärke noch gar nicht voll ausgespielt habe. Was meinten Sie damit?
Man muss sich das so vorstellen, dass der Impfstoff mit mRNA-basierter Technologie für alle Menschen gleich eingesetzt wird. Das ist auch logisch, denn das Protein, um das es geht, ist verschlüsselt in der mRNA und wird dann gespritzt. Der Körper bildet daraufhin selbst das Protein, was zu einer Immunreaktion und dem Schutz gegen das Virus führt.
Der Vorteil von mRNA ist aber, dass ich das, was ich auf der mRNA codiere, sehr elegant und schnell anpassen kann. Das bedeutet, dass man durch diesen Ansatz die Achillesferse des Tumors sucht und eine personalisierte Impfung baut, die dann genau für diesen Patienten eine Aktivierung des Immunsystems gegen den Tumor auslöst.
Diese immense Stärke der individuellen Immuntherapie bedeutet, dass nicht eine mRNA für alle Patienten verwendet wird, sondern jeder einzelne Patient eine Impfung mit der auf ihn und seinen Tumor abgestimmten Codierung erhält. Das ist natürlich ein gigantischer Schritt vorwärts, weil die personalisierte Therapie immer ein unerfüllter Wunschtraum gewesen ist. mRNA bietet nun die Möglichkeit, maßgeschneidert für den einzelnen Patienten einen solchen individualisierten Immuntherapieansatz zu entwickeln.
Können so nicht auch andere Erkrankungen ins Visier genommen werden?
Vollkommen richtig! Die meisten übersehen nämlich, dass man mittels mRNA auch ganz andere Sachen codieren kann, um Botenstoffe und Signale abzugeben. Zum Beispiel nicht nur über das Zielprotein, welches in einer Impfung enthalten ist, sondern auch über verpackte Baupläne, wie weitere immunaktivierende Moleküle gebaut werden sollen. Die mRNA-Technologie kann also nicht nur in der Immuntherapie eingesetzt werden, sondern auch in ganz anderen Bereichen wie der Infektiologie.
mRNA ist gewiss nicht auf Coronaimpfungen oder Tumorbekämpfungen beschränkt, sondern kann auch für Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden mit dem Ziel, dass das Immunsystem gestoppt wird, den eigenen Körper zu bekämpfen. mRNA ist somit sehr vielfältig einsetzbar und wird hoffentlich in der Klinik einen immensen Nutzen stiften. Insgesamt bedeutet dies ein riesiges Spektrum an neuen Möglichkeiten, bei dem wir bisher nur die Spitze des Eisberges sehen. Die personalisierte Therapie würde einen gewaltigen Schritt machen.
Aber alle Patienten, die für eine personalisierte Therapie in Frage kommen, haben individuelle Blut- und Tumorwerte sowie Ergebnisse in Bildgebung, Gewebeanalysen oder weiteren persönliche Indikatoren. Welche Herausforderungen bedeutet das für den individuellen Therapieweg?
Da kommen eine ganze Menge an Herausforderungen auf uns zu, das kann man schon einmal ganz nüchtern sagen. (lacht) Kernfrage ist natürlich: Reicht die mRNA-Impfung alleine überhaupt aus, um das Immunsystem zu aktivieren, damit der Patient einen Nutzen davon hat? Ist die Antwort nein, stellt sich die Frage, womit man die Impfung kombinieren muss: Benötigt man vielleicht eine Kombination mit einer anderen Immuntherapie, wie einer Chemotherapie oder einer Strahlentherapie? Es gibt ein riesiges Füllhorn an Kombinationsmöglichkeiten, unter denen man die besten herausfinden muss. Das passiert derzeit im Rahmen der Studien, die gerade laufen – an dieser Stelle sind noch viele Fragen offen.
Sie müssen auch entscheiden, für welche Krankheitssituation welcher Ansatz am besten geeignet ist.
Genau. Deswegen beschäftigt sich ein Teil der Studien damit, bei Patienten, bei denen der Tumor praktisch ganz entfernt wurde und nur noch wenige Krebszellen übrig sind, die mRNA-Vakzine einzusetzen. Dies stellt eine ganz andere Situation dar als bei einem Patienten, der Metastasen an anderen Organen hat und eine hohe Tumorlast. Wie korreliert der Erfolg der Impfung mit der unterschiedlichen Ausgangslage? Wir müssen lernen zu verstehen, wann das Immunsystem wirklich gut eingreifen kann. Es stellen sich Fragen, die wirklich hochkomplex sind.
Auf der Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology in Chicago wurde die klinische Studie eines BioNTech-Impfstoffs auf mRNA-Basis vorgestellt, welcher bei der Hälfte von 16 Patienten mit Pankreaskrebs über einen Zeitraum von 18 Monaten ein Überleben ohne Rückfälle bewirkte. Haben Sie Erkenntnisse oder Vermutungen, warum der Impfstoff bei den anderen Patienten nicht die gewünschte Antwort des Immunsystems erreicht hat?
Pankreaskrebs ist bekannt dafür, dass er nicht gut immunologisch behandelbar ist. Eine Immuntherapie gegen diese Krebsart ist schwer, beziehungsweise bisher noch nicht etabliert. Die Frage ist natürlich, warum die Therapie nur bei einem Teil der Patienten Wirkung gezeigt hat. Dabei muss man festhalten, dass die Patienten, um die es da geht, eine andere, unterschiedliche Basis hatten, mit der sie mit der Therapie starten. Das sind Parameter, die in Ruhe angeschaut und in einer Studie noch detaillierter herausarbeitet werden müssen. Da die Anzahl der Test-Patienten eine sehr überschaubare ist, haben wir noch nicht die Fülle an Daten, um sauber zu trennen, was die erfolgreichen Patienten gegenüber den anderen Patienten unterschieden haben.
Was man sicherlich sagen kann, ist, dass die Tumorausbreitung ein Faktor ist und dass Patienten natürlich auch unterschiedliche Rahmenbedingungen mitbringen, was ihr Immunsystem betrifft.
Wie gelingt es der mRNA, Krebszellen als „zu bekämpfen“ für das Immunsystem neu zu markieren, wenn dieses doch zuvor diese Mutationen als unschädlich identifiziert hat?
In dem Konzept steckt die Idee, Neoantigene zu nehmen und Veränderungen, die nur der Tumor vorgenommen hat, zu analysieren und zu attackieren. Das Problem ist ein sehr komplexes. Wir sind meistens in einer Situation, dass der eigentliche Tumor schon gewachsen ist und häufig auch schon Metastasen gebildet hat. Das heißt, wir haben eine Mischung an verschiedenen Zellen mit verschiedenen Oberflächen. Für die Basis der mRNA-Impfung müssen wir analysieren, was die geeigneten Antigene sind und die richtigen auswählen, die dazu führen, dass das Immunsystem die Tumorzellen bekämpft. Die mRNA erlaubt, dass an der richtigen Stelle Zellen entstehen, die den Tumor erkennen. Das ist für manche Antigene leichter und für manche schwieriger. Ein bekanntes Problem etwa ist, dass auf die Immunantwort auch eine gewisse autoimmune Reaktion erfolgt und auf eigene, gesunde Zellen losgeht.
Wann rechnen Sie mit der Zulassung der ersten mRNA-Impfung gegen Krebs?
Das ist eine schwierige Frage. Im Augenblick laufen so viele Studien parallel. Je nach Schwere der Erkrankung und nach Bedrohung der Erkankung, die letztendlich der Patient erleidet, kann ein positives Ergebnis einer Studie dazu führen, dass es zu einer Zulassung kommt. Ich würde aber vermuten, dass wir zumindest in einem bis zwei Jahren mehr wissen und uns vorstellen können, in welche Richtung das gehen wird. Wenn wir das Glück haben, dass mRNA in der einen oder anderen Erkrankungssituation hilft, erwarten wir, dass es bis zu diesem Zeitpunkt eine Zulassung bekäme. Aber das ist ein Blick in die Kristallkugel (lacht).
Wenn wir, was Wissenschaftler nie tun, uns eine Zukunft malen können, was den Erfolg der mRNA-Impfungen gegen Krebs betrifft: Was sind die Herausforderungen dabei, diese immunthera- peutische Behandlung in jedes Haus und zu jedem Patienten zu bringen?
Das ist eine hervorragende Frage! Eine, die uns mittlerweile auch schon sehr beschäftigt. Denn man muss bedenken, dass die Kosten für eine zelluläre Therapie, also eine Therapie, die die Zellen des Patienten verändert (Beispiel Immuntherapie), derzeit noch immens sind. Es stellt sich zwangsläufig die Frage, wer für diesen Therapieansatz die Kosten trägt.
Natürlich muss es dazu Ziel sein, dass die zelluläre Therapie bezahlbar wird. Aber wenn es darum geht, personalisierte, angepasste mRNA-Molekühle zu bauen, dann ist das ein Schritt, der nicht in jedem Labor stattfinden kann. Also wird es darum gehen, strukturierte Zugänge zu der Technologie bereit zu stellen. Das ist aber keine triviale Herausforderung, denn die Frage, wo welches Molekül am Ende hergestellt werden soll, ist nicht einfach zu beantworten. Die Logistik und Abläufe für eine standardisierte mRNA-Impfung wie gegen Corona ist ein einfaches Unterfangen im Vergleich dazu, die personalisierte Impfung flächendeckend zu ermöglichen.
Was sich im Zuge der Pandemie sicherlich geändert hat: Vielen Menschen und vielen Kollegen ist mRNA als Impfstoff mittlerweile bekannt, was Vertrauen geschaf- fen hat. Das wird es für uns auch leichter machen, unseren Weg weiter zu gehen.
PD Dr. med. Niels Halama ist Abteilungsleiter der Abteilung für Translationale Immuntherapie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg und Oberarzt in der medizinischen Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT). Er ist Facharzt für Hämatologie und medizinische Onkologie und hat seine klinische und wissenschaftliche Ausbildung in Heidelberg mit Aufenthalten in Finnland und USA absolviert. Sein Wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Erforschung der Immunbiologie von soliden Tumoren wie Darmkrebs und die Entwicklung neuer Immuntherapien. Dabei ist die Entwicklung neuer technischer Verfahren für personalisierte Therapien ein wichtiger Schwerpunkt und beinhaltet ein breites Spektrum von Mikrobiologie, machine learning bis hin zu innovativen Phase I Studien.
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