Dr. Lucia Schmidt entschied sich nach einem erfolgreich absolvierten Medizinstudium dazu, den Beruf zu wechseln und Journalistin zu werden. Heute füllt sie die Seiten „Leib & Seele“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Themen rund um Medizin.
Dr. Schmidt, Sie haben sich als approbierte Ärztin dazu entschlossen, den Kittel an den Nagel zu hängen. Warum haben Sie sich für den Journalismus, respektive gegen den Arztberuf entschieden?
Final war es eine Mischung aus beidem. Ich habe mich schon immer für den Journalismus interessiert, mein anderes großes Interesse galt der Biologie. Nach dem Abitur konnte ich mich nicht für ein Studienfach im Journalismus entscheiden, also habe ich beschlossen, Ärztin zu werden. Der Wunsch zu Schreiben ist jedoch geblieben. Das Medizinstudium hat mir Spaß gemacht, aber mir fiel es nicht leicht, mit dem Leid um mich herum umzugehen. Außerdem hat mich die angespannte Arbeitsatmosphäre und der Umgangston im Krankenhaus zum Nachdenken gebracht, ob ich tatsächlich in diesem System arbeiten will. Ich habe dann parallel zum Studium Praktika in Medienanstalten gemacht und mich nach der Approbation schließlich ganz bewusst gegen die Medizin und für den Journalismus entschieden.
Das Medizinstudium ist – aus staatlicher Sicht – teuer, Ärzte sind knapp. Trotzdem entscheiden sich jedes Jahr Mediziner dagegen, als Arzt zu arbeiten, sondern wählen andere Berufe. Warum ist diese Entscheidung gegen die Ausübung des Arztberufs legitim?
Da kann ich jetzt entgegnen, dass wir in Deutschland freie Berufswahl haben und es aus diesem Grund einfach schon legitim ist, sich seinen Beruf selbst auszusuchen. Ich habe mich mit dem Medizinstudium zu nichts verpflichtet. Aber viel wichtiger ist mir an dieser Stelle zu sagen, dass die Fähigkeiten, die wir im Medizinstudium erlernen, auch in anderen Bereichen nützlich sein können. Ärzte, die verstanden haben, wie der Mensch funktioniert, sind mit Sicherheit etwa in der Pharmazie gut aufgehoben. Als Journalistin sehe ich meine Aufgabe ein Stück weit darin, als Übersetzerin zu fungieren. Gerade im Medizinbereich sind viele Ärzte und Forscher nicht dazu in der Lage, ihre tolle Arbeit so zu vermitteln, dass sie auch wirklich bei Hörern und Lesern ankommt. Hier braucht es mein Wissen aus dem Medizinstudium, um gut übersetzen zu können.
Wie leicht – oder schwer – fiel Ihnen der Einstieg in die Medien? Sie haben ja schon während des Medizinstudiums in einer Redaktion gearbeitet.
Zu Anfang habe ich ein Volontariat bei der FAZ gemacht, das über zwei Jahre ging. Ich war also erst einmal wieder ein völliger Neuling in einem Beruf – natürlich auch mit einem sehr geringen Gehalt. Das wäre als Assistenzärztin selbstverständlich anders gewesen. Das alles war für mich aber kein Problem, denn ich wusste ja, worauf ich mich einlasse.
Erfüllend war in jedem Fall die Entscheidung für den Journalismus an sich. Außerdem der Spaß, den ich an der Sache hatte, am Schreiben, am Recherchieren. Schon nach wenigen Wochen Volontariat war für mich klar, dass ich genau den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Und ich habe gemerkt: ich kann das auch ganz gut. Als ich mich als Volontärin durch die verschiedenen Ressorts gearbeitet habe, ist mir jedoch eine Sache aufgefallen: Mediziner werden sehr fachspezifisch ausgebildet. Meine Kollegen hatten mir in Sachen Politik und Geschichte einiges voraus.
Bei der FAZ sind Sie für medizinische Themen zuständig. Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Reportagen und Storys aus?
Ich habe die „Leib & Seele“ Seiten unter meiner Verantwortung, die sehr patientennah und serviceorientiert sind. Jedem Leser soll es so möglich sein, medizinische Zusammenhänge zu verstehen. Wir wollen nicht darüber berichten, was gerade erforscht wird, sondern über etwas, was der Leser morgen anwenden könnte. Außerdem soll es ein außergewöhnlicher Zugang zum Thema sein und Aktualität besitzen. Darüber hinaus ist es eine Frage der Beitragsform. Ich muss darauf achten, dass wir nicht jede Woche das Gleiche bringen, sondern auf verschiedene Formen der Berichterstattung zurückgreifen, wie zum Beispiel Interviews und Essays.
Sie sind auch für den FAZ-Gesundheitspodcast verantwortlich. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Podcast-Genre gesammelt und welches Potential sehen Sie noch darin?
Für uns als ursprünglich klassisches Printmedium ist es spannend, eben auch neue – oder mittlerweile gar nicht mehr so neue – Felder zu erkunden. Dabei stellen wir in Sachen Podcast fest, dass die Überschneidungen zwischen Hörern und Lesern gar nicht so groß sind, denn wir sprechen teilweise unterschiedliche Zielgruppen an. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Markt wahnsinnig wachsen und eines der Zukunftsfelder in unserem Bereich sein wird. Die klassischen Verlagshäuser werden sich auf jeden Fall auf viel Konkurrenz einstellen müssen, da unglaublich viele Menschen Podcasts machen und das sehr oft auch nicht schlecht.
Der Unterschied zu meiner Zeitungsarbeit ist hier, dass wirklich allein der Service im Vordergrund steht. Wir haben beim Podcast den Anspruch, dass der Hörer am Ende verstanden hat, um was es bei dem gewählten Thema geht, was davon für ihn relevant ist und wie er das neu gewonnene Wissen anwenden kann. Für mich selbst war am Podcast besonders fordernd, dass ich weder eine Radioausbildung noch eine Radiostimme habe. Ich habe versucht, mich so gut es geht einzuarbeiten und von den Hörern viel Kritik für meine Stimme erhalten, aber das ist in Ordnung. Ich sehe das als eine spannende Herausforderung.
Die Medizin steht durch die Digitalisierung vor einem starken Wandel. Wie wird sich die Medizin durch telemedizinsche Anwendungen, KI oder neue Player wie Amazon, die in den Markt eintreten, entwickeln? Ich denke, es wird sich durchaus viel Gutes ergeben sowohl für Patienten als auch für Ärzte. Ich schätze, gerade was Diagnostik und Therapie angeht – man denke an Bestrahlungen oder chirurgische Verfahren bei Krebserkrankungen – werden wir einen großen Gewinn in der Technik haben. Was Deutschland betrifft, so denke ich, dass wir hier sehr viel langsamer vorankommen werden als andere Länder. Ich empfinde das aber nicht unbedingt als negativ, denn für mich spielt die Arzt-Patienten-Beziehung, die Empathie und das persönliche Gespräch eine große Rolle. Ich bezweifle, dass wir in diesem Bereich der Medizin mit KI, Robotern oder Tele-Ärzten jemals so nah an die Patienten herankommen wie beim Dialog im Sprechzimmer. Ich denke, wir werden uns mit der Digitalisierung ein bisschen schwerer tun, gerade weil hier viel Wert auf Datensicherheit gelegt wird. Aber unter dem Aspekt, dass Medizin viel mit Emotion – und oft auch Schicksalsschlägen – zu tun hat, sollten wir unbedingt darauf achten, dass die persönliche Arzt-Patient-Beziehung erhalten bleibt.
Denken Sie, dass die Lehren aus der Corona-Pandemie den Veränderungsdruck auf das deutsche Gesundheitssystem stark erhöhen werden?
Gerade beim Thema Pflege und Öffentlicher Gesundheitsdienst haben wir gemerkt, dass vieles besser sein könnte. Ich hoffe sehr, dass die Corona-Pandemie etwas bewirken wird. Bei all der berechtigten Kritik an unserem Gesundheitssystem dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir doch ganz gut durch die Krise gekommen sind und nicht alles immer nur negativ sehen dürfen. Als Journalistin sehe ich meine Aufgabe hier darin, der Politik weiterhin auf den Zahn zu fühlen, ihr aufzuzeigen, wo die Stärken und wo die Schwächen lagen und was wir für die Zukunft fordern.
Welche werden in den kommenden Jahren die großen Themen in der Medizin werden und werden wir die größten Verbesserungen in Hinblick auf die Patientenversorgung noch erleben?
Es werden Themen wie Ernährungsmedizin, Lifestylemedizin und Gesundheitsbewusstsein sein, die uns beschäftigen werden – aber das fängt ja auch gegenwärtig schon an, beispielsweise mit den Armbanduhren, die unsere Daten lesen. Ansonsten wird sich meiner Meinung nach im Bereich Kinderwunsch in der Gesellschaft viel verändern – es gibt ja bereits Diskussionen über Leihmütter und Ähnliches. Das Thema personalisierte Medizin wird uns weiterhin beschäftigen, auch mit Blick auf Krebs und die immer älter werdende Gesellschaft. Außerdem denke ich, dass die bereits angesprochene Digitalisierung sowie psychische Erkrankungen ebenfalls Zukunftsthemen sind. Und da sprechen wir jetzt nicht von einer Zeit, die wir nicht mehr miterleben werden, sondern eher von den nächsten Jahren.
Dr. Lucia Schmidt ist approbierte Ärztin und arbeitet heute als Journalistin bei der FAZ. Für ihren 2015 erschienenen Artikel „Diagnose am Küchentisch“ erhielt sie den Journalistenpreis des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen. 2018 veröffentlichte sie mit „Leber an Milz“ ihr erstes Sachbuch.
Mehr zu alternativen Karrierewegen für Ärzt:innen unter: arztundkarriere.com/alternative-karriere-fuer-aerzte/
Text: Mirjam Motzer