Das Smart Hospital wird an der Uniklinik Essen seit 2015 umgesetzt. Die digitale Transformation wirkt dabei massiv auf die gesamte Organisation und erfordert ein neues Selbstverständnis der Ärzteschaft. „Der Arzt von morgen unterscheidet sich in zentralen Punkten vom traditionellen Berufsbild des Mediziners von heute“ befindet Gastautor Professor Dr. Jochen A. Werner.
Demografischer Wandel, steigende Kosten, zunehmende Personalknappheit – das Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen. Ein zentraler Schlüssel, um dies zu bewältigen, liegt in der Digitalisierung. Das digitale, auf den Menschen fokussierte Smart Hospital ist die Blaupause dafür, diese großen Transformationsprozesse auch tatsächlich erfolgreich zu gestalten. Dabei reden wir nicht über ein klassisches Krankenhaus, sondern vielmehr eine digital gestützte Steuerungsplattform im Herzen des Gesundheitssystems.
Digitalisierung im Krankenhaus am Beispiel der Uniklinik Essen
Das Smart Hospital, so wie wir es an der Universitätsmedizin Essen seit 2015 umsetzen, ist die Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung, zwischen niedergelassenen Medizinern, Rehabilitationseinrichtungen und Altenheimen. Hier laufen alle Fäden der Gesundheitsversorgung zusammen. Dies funktioniert nur mit einer digitalen Verarbeitung aller Daten, mit einem sektorenübergreifenden Informationsaustausch und mit Effizienz. Wir setzen die Digitalisierung dafür ein, dass es den Menschen besser geht. Und daher bedeutet Smart Hospital natürlich den Einsatz innovativer Technik und modernster Therapien bis hin zu Künstlicher Intelligenz, vor allem aber neues Denken und eine neue Ausrichtung der Medizin.
Wir wollen unsere Patienten lebenslang begleiten und legen dabei einen starken Fokus auf die Vorsorge mit einer kontinuierlichen, hochwertigen medizinischen Unterstützung. Dazu definieren wir auch die Rolle des Krankenhauses neu: Nicht nur als „Reparaturbetrieb“ in der persönlichen Ausnahmesituation einer Erkrankung, sondern fokussiert auf die komplette Gesundheits- und Lebensgeschichte der Patienten.
Gute medizinische Versorgung wird in der Zukunft immer weniger davon abhängen, ob sie ambulant oder stationär erbracht wird. Die Mauern einer Klinik werden zunehmend unwichtig, entscheidender ist vielmehr die intensive Vernetzung mit anderen Krankenhäusern, mit niedergelassenen Ärzten, Therapeuten und Rehabilitationseinrichtungen bis hin zu Fitnessstudios. Dieser ganzheitliche Ansatz unterscheidet das smarte Krankenhaus von der gegenwärtigen Ausrichtung des Gesundheitssystems.
Die digitale Transformation des Gesundheitswesens
Eine gute medizinische Versorgung hängt davon ab, wie Arztpraxen, medizinische Versorgungszentren oder Rehabilitationseinrichtungen zusammenarbeiten und Daten austauschen. Egal ob in ländlichen Regionen oder in einzelnen Stadtteilen – nicht das Vorhandensein eines Krankenhauses als Gebäude, sondern eine miteinander vernetzte, häufig ambulant geprägte Infrastruktur mit dem Zugang zu Spitzenmedizin ist der entscheidende Faktor.
Das Gelingen der digitalen Transformation im Gesundheitswesen erfordert aber nicht nur mehr Digitalisierung, mehr Technik oder eine leistungsstarke IT. Es erfordert vor allem das Aufbrechen tradierter Verhaltensweisen und überholter Kommunikations- sowie Führungsmodell. Es erfordert folgerichtig auch ein neues Selbstverständnis der Ärzteschaft. Der Arzt von morgen unterscheidet sich in zentralen Punkten vom traditionellen Berufsbild des Mediziners von heute.
Es ist offensichtlich, dass digitale Fähigkeiten, sprich informationstechnologisches Grund- und Fachwissen, deutlich stärker als in der Vergangenheit gefordert sein werden. Die Bedeutung von Daten bei Diagnose und Therapie wird weiter steigen und das Gesundheitswesen nachhaltig verändern. So wird zum Beispiel der Austausch mit Informatikern und Datenwissenschaftlern zum festen Bestandteil des Arbeitsalltags der Ärztin und des Arztes werden, ebenso entstehen völlig neue Berufsbilder durch automatisierte Prozesse, den Ausbau der Telemedizin, stärker personalisierte Therapien und Virtual-Reality-Anwendungen. Aber auch die bestehenden Berufsbilder werden sich verändern und tun dies bereits aktuell schon, ich denke etwa an die Pflege mit zunehmender Unterstützung durch digitale Dokumentationssysteme oder perspektivisch auch die Robotik.
IT als Kernelement der Digitalisierung im Gesundheitswesen
Die Ärztin und der Arzt von morgen brauchen die Bereitschaft, die neuen Technologien auch tatsächlich in die Diagnose und Behandlung einzubeziehen, aber auch die Fähigkeit, diese Daten kontextbezogen auszuwerten, zu interpretieren und anzuwenden – Data Literacy ist das Schlagwort, dass diese Anforderung beschreibt.
Dafür braucht es eine starke IT-Plattform als Grundlage für die Digitalisierung. Ein Kernelement des Smart Hospitals ist es aber, dass diese Technologien kein Selbstzweck sind, sondern eine klare Funktion erfüllen, nämlich die Medizin menschlicher zu machen, indem Freiräume zur Kommunikation mit den Patienten geschaffen werden, aber auch eintönige, fehleranfällige Tätigkeiten automatisiert werden können.
Außenstehende haben im Gesundheitswesen oft das Gefühl, dass bei Führungs- und Kommunikationsmodellen die Zeit stehengeblieben ist. Insbesondere in Führungspositionen sind die in anderen Branchen längst selbstverständlichen Fähigkeiten zum wertschätzenden, teamorientieren Handeln nicht selten noch Mangelware. Das ist zwar erklärbar, waren diese Bereiche im Krankenhauswesen bislang doch eher von hierarchischen Strukturen und Statusorientierung geprägt. Unbestritten ist aber auch, und dies zeigt uns jedes erfolgreiche Start-up, dass die Digitalisierung vor allem Kreativität, Teamdenken und flache Hierarchien braucht. Die Bereitschaft zur Veränderung, Kooperation und zu neuem Denken ist dabei keine Frage des Alters. Sie ist eine Frage der Einstellung. Die junge Generation fordert völlig zurecht ein, aktiv mitentscheiden und mitgestalten zu können. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fordern viel stärker als noch vor einigen Jahren berufliche und persönliche Entwicklungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten. Dazu bedarf es aber der konkreten Bereitschaft älterer Kollegen, Entscheidungskompetenzen auch an Jüngere zu übertragen. Potenziert würde der Erfolg dieses Prozess noch, wenn er in Teilbereichen umgekehrt würde.
Warum sollten junge, IT-affine Mitarbeiter beispielsweise nicht lebenserfahrene, ältere Kollegen anleiten und ihre digitalen Kompetenzen an sie weitergeben? Es geht in der modernen Medizin von morgen nicht darum, Herrschaftswissen anzuhäufen, sondern bestehende Kompetenzen über alle Hierarchieebenen hinweg bestmöglich zu nutzen.
Der Mensch im Vordergrund
Vor allem muss menschliches und wertschätzendes Miteinander im Vordergrund stehen. Verbindendes Element ist der Teamgedanke, persönliche Befindlichkeiten müssen hintenangestellt werden. An der Universitätsmedizin Essen haben wir uns vor nunmehr sechs Jahren auf den Weg zum Smart Hospital begeben und seitdem die Erfahrung gemacht, dass prädigitale Fähigkeiten nicht, wie viele vielleicht denken mögen, unwichtiger werden, sondern ganz im Gegenteil sogar wieder an Bedeutung gewinnen. Gemeint sind damit Eigenschaften, die eine Basis für das gesellschaftliche Leben bilden und damit auch für das Berufsleben. Es geht um Werte wie Respekt und Empathie, aber auch um Selbstreflexion und – das dürfte heute wichtiger sein, denn je – auch um interkulturelle Kompetenz. Die Arbeit in interprofessionellen Teams wird zunehmend wichtiger – und zwar über alle Berufsgruppen hinweg.
Das deutsche Gesundheitssystem zählt in analoger Hinsicht und bezogen auf die klassischen Tugenden sicherlich noch zu den besten der Welt. Aber diese traditionelle Leistungsfähigkeit allein wird in Zukunft nicht mehr reichen. Über die Qualität eines Gesundheitssystem wird zukünftig nicht mehr allein die Zahl der Betten, der Ausbildungsstand der Beschäftigten oder der Personalschlüssel entscheiden. Die digitale Leistungsfähigkeit wird der entscheidende Parameter für eine moderne Medizin im Sinne der Menschen werden.
Smart Hospital bedeutet also einen fundamentalen Transformationsprozess auf vielen Ebenen und mit vielen Facetten. Im Fokus jeder Veränderung steht aber nicht die Technik, sondern der Mensch und die Veränderung seines Denkens und in der Folge auch seines Handelns. Eine stringente, kontinuierliche und glaubwürdige Kommunikation ist unerlässlich, um diesen Veränderungsprozess voranzutreiben und zu orchestrieren. Das bedeutet nicht, dass es keine Widerstände gibt. Aber es bedeutet, diese Widerstände anzunehmen, aufzugreifen und in Unterstützung zu verwandeln. Unsere Erfahrungen in Essen zeigen uns, dass dies möglich ist.
Die zweite elementare Ressource ist Bildung. Wir setzen alles daran, in unserer Organisationsentwicklung alle Beschäftigten auf unserem Weg zum Smart Hospital zu überzeugen. Beginnend von intensiven Einführungsveranstaltungen über persönlich geprägte Kommunikation und interne Weiterbildungsprogramme bis hin zu zahlreichen Feedback-Möglichkeiten – Veränderung kann nur gelingen, wenn man nicht nur die Führungskräfte, sondern die gesamte Mitarbeiterschaft auf dem langen Weg zum Smart Hospital mitnimmt.
Autor Professor Jochen A. Werner, geboren in Flensburg, studierte Medizin an der Universität Kiel. 1987 promovierte er und begann seine Tätigkeit als Arzt und Wissenschaftler der Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des Universitätsklinikums Kiel. 1998 wurde Dr. Werner Professor und Direktor der Marburger Universitäts-HNO-Klinik und war von 2004 bis 2006 auch Prodekan der Medizinischen Fakultät. Von 2011 bis 2015 war Prof. Werner hauptamtlicher Ärztlicher Geschäftsführer der Universitätsklinik Gießen und Marburg (UKGM GmbH). Zudem belegte er das Amt des Sprechers vom Medical Board der Rhön Klinikum AG, 5.000 Betten und einen sehr großen ambulanten Sektor umfassend. Seit 2015 widmet sich Prof. Werner, in seiner Funktion als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender, der Digitalisierung der Medizin und hat die Universitätsmedizin Essen auf den Weg zum Smart Hospital gebracht.