Obwohl mehr Frauen als Männer als Assistenzärzte arbeiten, findet man Ärztinnen selten in Führungspositionen. Wieso das so ist und wie man das ändern kann, erklärt Prof. Dr. Anja Lüthy.
Was in Topunternehmen der Wirtschaft mittlerweile eine wichtigste Personalaufgaben ist, wird in vielen Krankenhäusern noch stiefmütterlich behandelt – das Thema „Frauen als Führungskräfte“. Was können die Kliniken als Arbeitgeber tun, um weibliche Führungskräfte nicht nur zu gewinnen, sondern auch langfristig an sich zu binden und zu unterstützen? Ein Bericht von Prof. Dr. Anja Lüthy.
Die Medizin wird weiblich und das schon seit Jahren. Rund 65 Prozent der Erstsemester – Studenten im Fach Medizin werden zum Wintersemester 2017/ 2018 junge Frauen sein. Mädchen schaffen wohl eher den Numerus Clausus mit Abiturdurchschnitten von 1,0 bis 1,3 als Jungen. Im Medizinstudium selbst unterscheiden sich ihre Noten nicht sonderlich von denen der männlichen Kommilitonen. Im Praktischen Jahr sind die Frauen um die 24 bis 25 Jahre alt, ihre Facharztprüfung absolvieren sie mit Anfang 30. Nachdem sie einige Jahre als Ärztin auf Station gearbeitet haben, könnten sie mit Mitte 30 Oberärztin werden. Viele Frauen entscheiden sich aber dagegen. In Deutschland sind im Jahr 2015 nur rund 30 Prozent der Oberärzte weiblich. Der nächste Karriereschritt in der Klinik wäre eine Leitende Oberarztstelle. Diese treten nur noch rund 11 Prozent der weiblichen Ärzte an. Der Anteil der Chefärztinnen oder habilitierter W-3 Professorinnen mit eigenem Lehrstuhl liegt an den Unikliniken bei unter 10 Prozent. Sogar im Fach Gynäkologie, der Frauenheilkunde, gibt es nur sehr wenige Lehrstühle, die mit Frauen besetzt sind.
Unter den Assistenzärzten sind mehr Frauen als Männer – in Führungspositionen sind trotzdem weniger Frauen
Woran liegt es, dass es 2015 zwar 20.415 weibliche Assistenzärztinnen (neben 18.210 männlichen) gab, aber nur 12.542 Oberärztinnen (bei 29.263 Oberärzten)? Warum bleiben rund 7.500 Frauen mit Anfang / Mitte 30 beruflich auf der Strecke? Warum sind 70 Prozent der Oberärzte männlich? Weshalb entscheiden sich so viele weibliche Ärztinnen aktiv dagegen, im Krankenhaus eine berufliche Karriere bis zur Chefärztin anzustreben? Sicherlich wollen einige der Frauen mit abgeschlossener Facharztweiterbildung in einer ambulanten Praxis arbeiten. Dort haben sie relativ geregelte Arbeitszeiten, keinen Schichtdienst, keine Nacht – und keine Wochenenddienste.
Mit Anfang / Mitte 30 gründen Frauen in Deutschland in der Regel eine Familie. Sie sind es, die nach wie vor den Haushalt „schmeißen“, die Kinder großziehen, sie zur Kita bringen beziehungsweise abholen und für die Schularbeiten, das Einkaufen und das Essenkochen sorgen. Eine ärztliche Karriere im Krankenhaus parallel zur Familienarbeit wirkt auf viele Frauen eher abschreckend. Und Krankenhäuser – als Arbeitgeber – sind heute noch nicht darauf eingestellt, attraktive Arbeitgeber für Ärztinnen zu ein, die in ihrer Familiengründungsphase Karriere machen wollen.
Können sich Krankenhäuser aufgrund des demografischen Wandels den oben genannten Schwund an weiblichen Ärzten in Leitungspositionen überhaupt noch leisten? Es wird damit gerechnet, dass in Deutschland im Jahr 2025 rund 6 Millionen Arbeitskräfte – bezogen auf alle Branchen – weniger zur Verfügung stehen werden. In den kommenden zehn Jahren gehen tausende von Ärzten der Babyboomer-Generation in den Ruhestand, davon ebenfalls viele Chefärzte und Leitende Oberärzte. Deshalb müssen Unternehmen aller Branchen möglichst zügig ein „Nachfolgemanagement“ aufbauen. Krankenhäuser sollten rasch nach Lösungen suchen, wie der Frauenanteil insbesondere in ärztlichen Leitungspositionen erhöht werden kann.
Krankenhäuser müssen attraktivere Arbeitgeber und „Caring Companies“ werden
Wenn Krankenhäuser zukünftig Führungspositionen im ärztlichen Dienst nachbesetzen wollen, müssen sie attraktive Arbeitgeber werden. Ziel muss sein, gerade für Fachärztinnen Möglichkeiten zu schaffen, ihre Karriere zur Ober- beziehungsweise zur Chefärztin mit dem Familienleben zu vereinbaren. Das geht nur dann, wenn das Krankenhaus als Arbeitgeber die Karriere von Ärztinnen aktiv begleitet und unterstützt. Grundpfeiler dafür ist eine familienfreundliche Unternehmenskultur. Diese zeigt sich – neben reibungslosen Prozessen, Transparenz, Wertschätzung, einem respektvollen Umgang miteinander sowie besten Behandlungsergebnissen – darin, dass das Krankenhaus sich als sogenannte „Caring Company“ versteht.
Dieser Begriff wurde von Gabor Jánszky im Jahr 2014 geprägt und beschreibt Unternehmen, die ihre Mitarbeiter langfristig an sich binden wollen. Sie kümmern sich ausdrücklich um das Wohl ihrer Mitarbeiter und deren Familien. „Caring Companies“ binden ihre Mitarbeiter über Fürsorge beziehungsweise besondere Leistungen an ihr Unternehmen. Der Lohn spielt dabei eine Nebenrolle. Sie bieten ihren Mitarbeitern neben Aufstiegsmöglichkeiten (insbesondere für Frauen) unter anderem Angebote für Wohnungen, Kinderbetreuung in vielen Facetten, Möglichkeiten der Freizeitgestaltung bis hin zur Planung von Urlaubsreisen. Mit diesen Maßnahmen binden „Caring Companies“ auch die Partner und die Kinder der Mitarbeiter an sich.
Was können Krankenhäuser als „Caring Companies“ bieten?
Krankenhäuser sollten zunächst strukturelle Bedingungen etablieren, die besonders Frauen in Führungspositionen unterstützen.
Topsharing: Das ist ein Modell, bei dem sich zwei Personen eine Führungsposition als Doppelspitze teilen. Topsharing bietet sich gerade in medizinischen Fachrichtungen mit ziemlich klar voneinander getrennten Subspezialisierungen an. Bisher arbeitete beispielsweise ein einziger Chefarzt für Gynäkologie in einem Krankenhaus parallel in der Geburtshilfe, im Brustzentrum und in der operativen Gynäkologie – sicherlich 60 Stunden in der Woche. Man kann sich leicht vorstellen, dass sich zukünftig zwei gut organisierte Frauen mit gutem Zeitmanagement und hoher Kommunikationskompetenz diese Chefarztposition mit je 30 Stunden Arbeitszeit pro Woche teilen. Zwei Frauen sind sicherlich in der Lage, dieses Topsharing-Modell so umzusetzen, dass weder die Patienten noch die Mitarbeiter der Klinik darunter leiden.
Kinderbetreuung und Sport: Gelder, die heute an Personalvermittler, Leiharbeitsfirmen und Headhunter für die Vermittlung von Chefärzten gezahlt werden, sollten besser in Betriebskindergärten, einen Babysitter-Service und Ferienangebote für Kinder investiert werden. (Noch immer haben Arbeitnehmer pro Jahr 6 Wochen Urlaub und Schulkinder 12 Wochen Schulferien.) Ansprechende Fitnessmöglichkeiten im Krankenhaus belegen, dass sich der Arbeitgeber bemüht, dem anstrengenden Leben, das Ärztinnen mit kleinen Kindern inbesondere mit Mitte 30 führen, positiv entgegenzuwirken.
Gesundes Essen: Mitarbeiter sollten die Möglichkeit haben, jederzeit kostengünstig für ihre Familien das Abendbrot mit nach Hause nehmen zu können.
Arbeitszeitflexibilisierung und Teilzeitangebote: Ärzte sind sehr gut in der Lage, ihre Dienstpläne gemeinsam so zu gestalten, dass einerseits die Patienten bestens versorgt und andererseits die Familie nicht auf der Strecke bleibt. Das starre Dreischichtsystem muss gegebenenfalls aufgebrochen werden, solange die Patientenversorgung gesichert ist. Bei der Teilzeitregelung geht es im Kern darum, gerade für junge Mütter – vorübergehend, wenn die Kinder klein sind – wirklich passende Arbeitszeitmodelle vorzuhalten.
Bei all den genannten Möglichkeiten ist es wichtig, dass die direkten Vorgesetzten mit den Ärztinnen gemeinsam Wege finden, wie die dem Wunsch der Mitarbeiterinnen entsprochen werden kann.
Ärztinnen mit kleinen Kindern sind stark auf die Unterstützung ihrer Vorgesetzten angewiesen
Eine professionelle Karrierebegleitung von Ärztinnen auf dem Weg zur Chefarztposition durch ihre Vorgesetzten ist in vielen Krankenhäusern noch nicht üblich. Ärztinnen, die im Krankenhaus Karriere machen wollen, sind aber extrem auf die konstruktive Unterstützung ihrer Vorgesetzten angewiesen. Immer wieder trifft man auf schlecht führende unmittelbare Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in „schlechte Stimmung“ versetzen und Frauen nicht unterstützen. Mentoringprogramme, die über eines bis zwei Jahre hinweg Medizinerinnen auf ihrem „Weg nach oben“ mit Wissen und Tipps unterstützen, sind eher die Ausnahme. 75 Prozent aller Kündigungen lassen sich übrigens auf eine unprofessionelle Führung durch die unmittelbaren Vorgesetzten zurückführen.
Ich bin mir sicher, dass sich Krankenhäuser mit einer etablierten frauen- und familienfreundlichen Unternehmenskultur zur Arbeitgebermarke entwickeln können. Dieses sogenannte „Employer Branding“ bedeutet, dass das Krankenhaus als Arbeitgeber (=employer) in der Region als nachgefragte Marke (=brand) wahrgenommen wird. Als „Caring Company“- Krankenhaus eine Marke zu sein, die bei jungen Frauen aufgrund ihrer Arbeitgeberattraktivität einen sehr guten Ruf hat, ist ein Wettbewerbsvorteil. Wenn ein Krankenhaus seine fürsorgliche Unternehmenskultur im Sinne von „Wir unterstützen Medizinerinnen und ihre Familien dabei, dass Erstere Chefärztin werden können“ umfassend und authentisch kommuniziert, braucht es sich weniger Sorgen zu machen, morgen leitende Positionen nicht besetzen zu können.
Prof. Dr. Anja Lüthy, Dipl. Psychologin und Dipl. Kauffrau, ist 55 Jahre alt und seit 2001 Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Dienstleistungsmanagement und -marketing an der Technischen Hochschule Brandenburg.
Nebenberuflich ist sie seit 20 Jahren Trainerin für Führungskräfte und deren Teams in Krankenhäusern und Universitätskliniken. Sie ist auch Autorin zahlreicher Zeitschriftenartikel und Bücher, unter anderem zur Thematik Führung, Mitarbeiterorientierung, Employer Branding, Personalmarketing und Unternehmenskultur.
Weitere Erfahrungsberichte finden Sie unter: arztundkarriere.com/erfahrungen-und-essays