In Deutschland wird ein im Vergleich mit anderen Ländern hoher Anteil an Patienten stationär behandelt. Die Ambulantisierung von Krankenhausleistungen ist ein wesentlicher Bestandteil der kommenden Strukturveränderung. Die Stellungnahmen und Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zur grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung, zu Tagesbehandlungen und Notfall- und Akutversorgung sind richtungsweisend für den geplanten Strukturwandel.
Ein Fachbeitrag von Annika Brunkhardt von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz.
Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbarte stärkere Ambulantisierung ist über die geplante Strukturreform sowie die Weiterentwicklung des Katalogs ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe gemäß § 115b SGB V (AOP-Katalog) 2023 um 208 neue OPS-Codes auf insgesamt nun etwa 3.100 Leistungen bereits flankiert. Zum 1.1.2024 soll der AOP-Katalog in einer weiteren Entwicklungsstufe unter anderem um Leistungen mit komplexerem Regelungserfordernis ergänzt werden.
Damit wächst der Druck auf die Krankenhäuser aktuell so stark wie nie zuvor unter den politisch erklärten Zielen der Kosteneinsparung und der Entlastung des medizinischen Personals, stationäre Krankenhausleistungen in eine geeignete ambulante Versorgungsstruktur zu überführen. Offen ist, wie diese Umsetzung finanziert werden kann, da die Veränderung oftmals mit Investition verbunden ist.
Die Herausforderungen zeigen sich deutlich: sowohl die bedarfsgerechte und qualitative, oftmals sehr regionsindividuelle Versorgung als auch die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung spielen in der zielführenden Strategieentwicklung eine maßgebliche Rolle. Effekte der Leistungsverlagerung verursachen neue Bedarfe in Bezug auf Organisationsstruktur und Prozesssteuerung, aber auch unmittelbar auf Fragen der adäquaten Leistungsfinanzierung.
Transparenz
Wie sieht nun eine durchdachte Ambulantisierung für die einzelnen Krankenhäusern aus? Zunächst ist eine weitreichende Transparenz über das aktuelle Leistungsgeschehen herzustellen. Hierzu ist die detaillierte Analyse notwendig, um aus dem Ist ein zukünftiges Soll prognostizieren zu können. Dabei ist das Leistungsspektrum nicht nur auf aktuell ambulant zu erbringende Leistungen gemäß AOP-Katalog unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren zu prüfen, sondern auch im Hinblick auf mögliche Erweiterungen des ambulanten Spektrums. Hierzu bietet das Gutachten zur Erweiterung des AOP-Kataloges erste Anhaltspunkte i. S. eines Maximalansatzes. Anfrageverhalten und differenzierte Ergebnisse aus den Prüfungsverfahren des Medizinischen Dienstes (MD) sollten die Resultate ergänzen.
Für die Analyse wird die differenzierte Betrachtung nach Fachabteilungen und Leistungsschwerpunkten und auch die Bewertung der jeweiligen Standortposition hinsichtlich Versorgungsbedarf und Marktumfeld empfohlen, um eine möglichst ganzheitliche Einordnung vornehmen zu können.
Die Kenntnis über das ambulante Substitutionspotenzial ermöglicht eine Ableitung perspektivischer Kapazitätsbedarfe stationärer Betten, stationärer und ambulanter OP-Kapazität, Funktionsdiagnostik und ergänzender medizinischer und nicht-medizinischer Infrastruktur.
Strukturen und Prozesse
Mit veränderten ambulanten statt stationären Vergütungsmodellen sind angepasste Prozessabläufe sowie die Ertüchtigung ambulanter baulicher und organisatorischer Versorgungsstrukturen häufig ein Erfolgsfaktor. Hierbei gilt es insbesondere, die Synergien aus ambulanter und stationärer Organisation zu nutzen und dennoch gezielt Patientenströme und Behandlungsprozesse voneinander zu separieren. Die Etablierung moderner, digital unterstützender Instrumente sollte idealerweise damit einhergehen, aber auch speziell geschultes Personal wie beispielsweise Fallmanager. Die ambulanten Leistungen liefen bisher häufig als Beiwerk mit niedriger Priorität neben dem stationären Betrieb. Zukünftig ist eine geeignete Führungsstruktur unerlässlich.
Im Rahmen der Ambulantisierungsstrategie kann der Aufbau eines dem Krankenhaus angegliederten ambulanten Operationszentrums (AOZ), die Ausgliederung definierter Leistungen in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) mit jeweils eigenem Personal und Räumlichkeiten mittelfristig zur Senkung der Kosten durch gezielte Ressourcenallokation beitragen.
Das Krankenhaus wird perspektivisch als Teil eines ganzheitlichen Versorgungsnetzwerkes zu sehen sein, in dem die stationäre und ambulante Patientenversorgung eng miteinander verzahnt, aufeinander abgestimmt und hinsichtlich der Behandlungssteuerung koordiniert wird.
Das Vorhalten geeigneter Strukturen wie ein eigener MVZ-Betrieb oder ein AOZ sichern über das Versorgungsangebot nicht nur die Bindung des Patienten an das Gesamt-Gesundheitsunternehmen, sie können auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel dabei helfen, attraktive und flexible Arbeitsplätze und –modelle für Mitarbeitende zu schaffen.
Vergütung und Wirtschaftlichkeit
Eine Strategieentwicklung im Krankenhaus erfolgt unter den aktuellen Rahmenbedingungen in einer Phase der Unsicherheit. Im Thema Ambulantisierung ist jedoch Handeln indiziert. Zur Prüfung und Sicherstellung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit ist es frühzeitig notwendig, einen Strategie- und Businessplan zu erstellen, in dem sowohl stationärer Krankenhaus- als auch ambulanter Betrieb abgebildet wird. Letzterem kommt aufgrund des Transformationserfordernisses eine besondere Bedeutung zu. Die Differenzierung stationärer und ambulanter Leistungen und die klare Planung von Patientenzahlen sowie der zugehörigen Vergütung braucht ein hohes Maß an Transparenz und konsequentem Controlling.
Die Finanzierung und mögliche Anreizsetzung werden sich zukünftig weiter verändern, sodass eine regelmäßige Steuerung und ein Nachhalten der Wirtschaftlichkeit der unmittelbaren Leistungserbringung konzeptionell geführt und begleitet werden müssen.
Über Ebner Stolz: Als eine der größten unabhängigen mittelständischen Prüfungs- und Beratungsgesellschaften in Deutschland gehört das Unternehmen zu den Top Ten der Branche. Mehr als 2.100 Partnerinnen und Partner sowie Mitarbeitende erwirtschafteten einen Umsatz von rund EUR 343,5 Mio. (Jahr 2022). An 14 Standorten ist Ebner Stolz mit einem Leistungsangebot in Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Rechtsberatung und Unternehmensberatung nah bei seinen Mandanten.
Learnings
Einflussfaktoren auf die erfolgreiche Strategieentwicklung:
- Schaffen einer Transparenz über das Leistungsgeschehen
- Systematische Zuordnung der Behandlungen in ambulante oder stationäre Versorgung
- Nutzung infrastruktureller Möglichkeiten und Organisationsvoraussetzungen
- Anpassung von Versorgungs- und Abrechnungsprozessen
- Wirtschaftliche Bewertung der Leistungserbringung und Controlling
- Gesundheitspolitische Entwicklungen als Chance
Die Autorin Annika Brunkhardt ist Director des Bereichs Advisory Services Healthcare bei Ebner Stolz. Als diplomierte Gesundheitsökonomin mit über 18 Jahren Erfahrung im Krankenhaus und der Beratung in der Gesundheitswirtschaft steht sie für Managementberatung in Strategie-, Restrukturierungs- und Organisationsthemen. Ihre Mandanten sind im Schwerpunkt Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen unterschiedlicher Trägerschaft.
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