Univ.-Prof. Dr. Ines Gockel, Viszeralchirurgin am Universitätsklinikum Leipzig, sieht das ärztliche Handeln zwischen Berufsethos und Ökonomisierung und empfiehlt Ärzt:innen daher sich wirtschaftliche Kompetenzen anzueignen.
Gleich zu Beginn die vielleicht am schwierigsten zu beantwortende Frage: Sie gehören zu der raren Spezies der leitenden Ärzt:innen, die auch über reichlich Management Know-how verfügen. Was sind die größten Hindernisse für eine einerseits hochwertige, aber andererseits auch finanzierbare Medizin?
Nicht erst die Pandemie hat sehr deutlich gezeigt, dass die Hauptlast der Bewältigung der Krise, wie auch sonst die Ausübung einer komplexen, qualitativ hochwertigen Medizin, von den großen Zentren – Universitätskliniken und große kommunale Häuser – getragen wird. Die Defizite der kleinen, kommunalen Krankenhäuser waren in den Jahren zuvor bereits gestiegen, obwohl die Mitarbeitenden dort enorm viel leisten. Dann wirkte Corona wie ein Brandbeschleuniger. Viele fürchten nun um den Fortbestand dieser Häuser und die strukturelle Lage müsste schnell verbessert werden, um ein Überleben zu ermöglichen. Sie sind selbst zum dauerkranken Patienten geworden und müssen mit aufwändigen Maßnahmen am Leben erhalten werden. Strukturelle Defizite, unterfinanzierte Leistungsbereiche, Personalmangel und langjähriger Investitionsstau haben die Situation aggravieren lassen. Bedingungen für eine gute Ergebnis- und Prozessqualität sind für alle Beteiligten aufgrund der Belastungen schwierig. Die größten Hindernisse für eine qualitativ-hochwertige, jedoch finanzierbare Medizin sind fehlende moderne, vernetzte und sektorenübergreifende Versorgungsformen mit Zentralisierung für hoch-spezialisierte Behandlungen, die einer besonderen Expertise bedürfen. Zudem bedarf es einer strukturellen Verbesserung in der wohnortnahen Grund-, Regel- und Notfallversorgung, um dort eine adäquate Qualität zu gewährleisten. Gute medizinische Qualität ist mit geringen Kosten, schlechte Qualität mittel- und langfristig mit hohen Kosten für das Gesundheitswesen assoziiert.
Welche Schritte sind nötig, um eine bezahlbare medizinische Versorgung auf einem hohen Niveau für die Bevölkerung zu garantieren?
Aufgrund der zu erwartenden Finanzierungslücke im deutschen Gesundheitssystem ist davon auszugehen, dass die bestehenden Finanzierungs- und Vergütungsstrukturen für die Zukunft nicht ausreichend tragfähig sein werden. Die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben entsteht insbesondere durch den demografischen Wandel und neue, teure Versorgungsformen durch den medizinisch-technischen Fortschritt. Notwendig sind aus meiner Sicht die bereits angesprochenen vernetzten Versorgungsformen und eine deutliche Beschleunigung der Digitalisierung.
Welche Hoffnungen setzten Sie auf die Digitalisierung?
Sehr große. Die Digitalisierung ist ein zentraler Baustein für die Weiterentwicklung der modernen Medizin – mit sicherer Datennutzung, Verbesserung der Versorgung und Stärkung von Innovation und Wirtschaft. Jetzt braucht es einen konkreten Digitalisierungs-Masterplan, mit dem dieses Ziel zeitnah verwirklicht werden kann. Leider werden die elektronische Patientenakte und die Digitalen Gesundheitsanwendungen immer noch unter dem möglichen Potenzial genutzt, wir haben ein Umsetzungsproblem in Deutschland.
Warum sollten sich auch Ärzte:innen für ökonomische Hintergründe interessieren?
Das ärztliche Handeln steht heutzutage immer zwischen Berufsethos und Ökonomisierung. Die ökonomischen Hintergründe zu verstehen, ist nicht nur für Ärzt:innen in Führungspositionen interessant, sondern für alle klinisch tätigen Ärzt:innen. Die Medizin besteht nicht nur darin, eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung bereitzustellen, sie muss auch Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit berücksichtigen. Diese bedeutet eine möglichst effiziente Allokation von Ressourcen. Dazu gehören beispielsweise organisatorische Prozess-Optimierungen und der Abbau von Überkapazitäten. Das dazu erforderliche ökonomische Wissen hilft Ärzt:innen, diese Ziele zu erreichen. Angesichts der begrenzten Ressourcen stellt das ökonomische Hintergrundwissen auch für das ärztliche Handeln einen wichtigen Orientierungspunkt dar, der als solcher zur ethisch-moralischen Identität des Arztberufes keineswegs im Widerspruch steht. Die Einbeziehung von Ärzt:innen in die wirtschaftliche Verantwortlichkeit kann das Verhältnis zwischen Medizinern und Ökonomen sowie den gemeinsamen Erfolg verbessern.
Sie selbst haben in St. Gallen und an der renommierten Frankfurt School of Finance and Management weitere akademische Abschlüsse gesammelt und einen MBA. Was war ausschlaggebend für Sie, sich auch in Organisations- und Businessfragen weiterzubilden? Ausschlaggebend für die Weiterbildungen an Business Schools und für den MBA war, dass mir klar wurde, dass für eine Führungsposition Organisations- und Manage-ments-Skills essentiell sind – zusätzlich zu den medizinisch-fachlichen und chirurgisch-praktischen Kompetenzen.Welche für Ärzt:innen wertvollen Kenntnisse vermittelt der Master of Business Administration in International Healthcare Management?
Ich habe das internationale MBA-Programm an der Frankfurt School von 2011 bis 2013 absolviert und zu diesem Zeitpunkt waren die Themen der 10 Module: „Economics & Business“, „Managing Financial Ressources & Hospital Controlling“, „Management in different Healthcare Systems“, „Market-oriented and Strategic Management“, „Business Plan Assignment“, „Quality and Process Management in Healthcare“, „Managing the Organisation and IT“, „Integrated Management“, „Value Chain Management“ und „Human Ressources, Ethics and Intercultural Management“. Die Module fanden unter anderem in Frankfurt am Main, Mailand, Indien, Singapur, Montréal und Wien statt und beinhalteten neben der Wissens- und Kompetenzvermittlung immer einen „Site Visit“ vor Ort in einem Krankenhaus oder einer anderweitigen Gesundheitseinrichtung. Die abschließende Masterarbeit hatte Bezug zu meiner klinischen Tätigkeit. Mittlerweile ist das Programm modifiziert.
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In welchen Momenten des Alltags merken Sie, dass Sie als Ärztin von den Erkenntnissen aus dem MBA profitieren?
In nahezu jedem Moment meines klinischen Alltags profitiere ich von den Erkenntnissen des MBA-Programms an der Frankfurt School. Nicht nur effiziente Organisation, wichtige Prinzipien ökonomischer Aktionen in einer medizinischen Umgebung, die permanent Entscheidungen erfordert, sondern auch Problemlösungsstrategien, Entrepreneurship und eine gewisse Meta-Perspektive auf das deutsche Gesundheitssystem durch das Kennenlernen anderer internationaler Gesundheitssysteme haben mein Denken und Handeln geprägt. Der interkulturelle Austausch mit den Mitstudierenden sowie bei den „Site Visits“ waren besonders bereichernd und zusätzliche von mir sehr geschätzte Highlights des Programms.
Leitende Ärzt:innen müssen heute auch Menschenfänger sein, denn die Personalgewinnung und -bindung gehört zu den erfolgskritischen Faktoren für erfolgreiche und attraktive Häuser. Ist diese Aufgabe wirklich schon überall angekommen?
Ich gehe fest davon aus, dass diese sehr wichtige Aufgabe der Begeisterung und Gewinnung guter Mitarbeiter:innen von Führungskräften in der Medizin sehr ernst genommen und nicht den Personalabteilungen überlassen wird. Hochqualifizierte, kompetente Kollegen, leistungsmotiviert und mit sozialen Kompetenzen sind sehr begehrt in allen Bereichen der Medizin und diese Talente finden möglicherweise auf dem „Markt“ sehr schnell andere Aufgabenbereiche und Positionen, wenn man sich nicht intensiv genug und persönlich kümmert. Entscheidend ist, dass man eine Werteorientierte Führungs- und Teamkultur bietet, dann kommen die besten Mitarbeiter:innen von selbst auf einen zu.
Haben Sie schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Kolleg:innen ihre fachfremden Weiterbildungen mit Unverständnis quittiert haben?
Ich habe weder erlebt, dass Kolleg:innen meine Weiterbildungen positiv, noch dass sie sie negativ bewertet haben. Themenspezifisch kann ich verschiedene betriebswirtschaftliche Daten besser verstehen und diese möglicherweise besser interpretieren, was bei Diskussionen mit kaufmännischen Leitungen und Vorständen hilfreich sein kann.
Wem raten Sie dazu, sich in Managementfragen weiterzubilden?
Wenn man sich mit Blick auf eine leitende Position für eine Weiterbildung in Management- und Businessthemen interessiert, sollte man dies möglichst fundiert und nicht oberflächlich angehen. Die Entwicklung des Verständnisses für diese nicht-medizinischen Themen ist nicht trivial und benötigt eine gewisse Zeit, um anschließend mit guter Qualität und nachhaltig in den klinischen Alltag implementiert zu werden. Sicherlich gibt es niederschwelligere Angebote als einen MBA und auch diese können sehr effizient sein, wenn man sie beispielsweise durch weiterführendes Literaturstudium oder Webinare vertieft. Doch ersetzen sie sicherlich nicht das umfassende und facettenreiche MBA-Programm eines gut nebenberuflich absolvierbaren Healthcare Management-Studiengangs, der durch die vielfältigen interkulturellen Begegnungen im Falle eines internationalen MBA zudem noch den Blick auf das eigene Gesundheitssystem schärft.
Univ.-Prof. Dr. Ines Gockel leitet die Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig, AöR. Sie ist Fachärztin für Chirurgie, Viszeralchirurgie und Spezielle Viszeralchirurgie. Sie absolvierte einen MBA für International Healthcare Management an der Frankfurt School of Finance and Management mit Abschluss 2013 sowie ein Zertifikat an der St. Galler Business School.
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