Zähne sind teuer – wenn mal etwas am Gebiss fehlt oder ersetzt werden muss, bedarf es Implantate, Versiegelungen und häufiger Zahnarztbesuche – wer macht das schon gerne. Wäre es daher nicht unglaublich praktisch, wenn der Mensch, ähnlich wie Vorbilder aus dem Tierreich, die eigenen Zähne einfach nachwachsen lassen könnte? An einer solchen Methode forschte Dr. Jennifer Rosowski im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Institut für medizinische Biotechnologie der TU Berlin.
Frau Rosowski, Sie forschen an nachwachsen Zähnen beim Menschen. Welche Voraussetzungen braucht es, damit ein Zahn nachwächst? Wie wird dieses „Nachwachsen der Zähne“ Ihrer Meinung nach zukünftig ablaufen?
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass wir nicht mit embryonalen Zellen arbeiten, sondern die körpereigenen Zellen des Patienten nutzen. Dies schließt einerseits ethische Bedenken aus und andererseits beugt es Abstoßungsreaktionen vor. Heißt: Ein zukünftiger Patient mit einer Zahnlücke muss zunächst ein paar wenige Zahnzellen zur Verfügung stellen. Diese können entweder aus einem noch vorhandenen Weisheitszahn stammen oder durch eine Mikrobiopsie aus einem der anderen Zähnen gewonnen werden. Die benötigten Zellen befinden sich im weichen, lebendigen Inneren der Zähne, der Pulpa. Die extrahierten Zellen werden für wenige Wochen in einem Speziallabor vermehrt, zu einem Zahn-induzierenden Mikroaggregat formiert und dann per Kanüle in den Kiefer eingesetzt. Voraussichtlich würde die Dauer bis zum Nachwachsen 10 bis 12 Monate dauern.
Beschreiben Sie uns den Vorgang des Wachsens von Zähnen.
Die Anlagen für die bleibenden Zähne werden bereits während der Embryonalentwicklung im Mutterleib angelegt. Ausgangspunkt sind komplexe zelluläre Interaktionen im sich bildenden Kiefer, die zur Ausbildung eines dichten Zellaggregates führen (für jeden Zahn ein eigenes Aggregat im definierten Abstand zueinander). Dieses Aggregat, das auch mesenchymales Kondensat genannt wird, ist Steuerzentrale und Signalgeber für das umliegende Gewebe, sich zu einem Zahnorgan zu entwickeln. Zellen des Mesenchymalen Kondensats verbleiben zeitlebens im Inneren der erwachsenen Zähne und bilden die durchblutete Zahnpulpa oder das Zahnmark.
Wir haben die Zellen der Zahnpulpa aus extrahierten Weisheitszähnen isoliert, im Labor vermehrt und daraus in einem speziellen Verfahren wiederum ein Mesenchymales Kondensat, die Steuerzentrale gemacht. Unsere Idee ist es nun, ein solches Kondensat in den Kiefer eines Patienten mit Zahnverlust einzusetzen, der dort aufgrund seiner vielfältigen Signale erneutes Zahnwachstum fördert.
Könnte das die Zukunft „der Dritten“ sein? Gibt es eine Altersbeschränkung?
Die Regenerative Medizin hat Einzug gefunden in die Medizin als wegweisende Therapieform. Daher ist es wahrscheinlich, dass auch die Zahn- und Kiefermedizin diese Wege weiter verfolgen und verfeinern wird. Aus unserer Sicht gibt es keine Altersgrenze für den Einsatz des Bio-Zahns, im Gegenteil. Im Vergleich zum herkömmlichen Implantat, dessen Verschraubung eine solide Knochensubstanz als Grundlage für den Einsatz braucht, sind wir überzeugt, dass unser nachwachsender Zahn das Knochenwachstum im Kiefer stimuliert und regeneriert. Es gibt verschiedene genetische Erkrankungen, bei denen von Kindesalter an Zahnanlagen fehlen. Hier kann man aus unserer Sicht frühestmöglich ansetzen und diese durch unsere Methode implantieren.
Konnten Sie bereits einem Menschen einen „neuen Zahn“ einsetzen?
Nein, wir befinden uns noch im Stadium der Grundlagenforschung. Voraussetzung für den Einsatz am Menschen sind umfangreiche präklinische Tests zur Sicherheit und Wirksamkeit. Erst danach dürfen erste Versuche an Menschen geplant werden.
Für wen ist diese Methode am sinnvollsten? Beziehungsweise: Wie viel kostet dieses Vorgehen und inwieweit könnten sich die Krankenkassen daran beteiligen? Bleibt diese Innovation den Reichen vorbehalten?
Wir schätzen, dass sich die Kosten im Bereich von herkömmlichen Implantaten bewegen. Da sich die gesetzlichen Krankenkassen derzeit auch nicht an den Kosten für Implantate beteiligen, ist die Finanzierung des „Bio-Zahns“ durch die gesetzliche Krankenkasse derzeit kaum vorstellbar.
Allerdings rückt die orale Medizin mehr und mehr in den Fokus der ganzheitlichen Medizin, das heißt ein Umdenken ist im Gange, dass die Mund- und Zahngesundheit essentiell für den Allgemeinzustand eines Patienten sind. Eventuell ist hier in Zukunft mit einem Paradigmenwechsel zu rechnen. Medizinisch gesehen hat der biologische Zahn den herkömmlichen Implantaten gegenüber große Vorteile und bedarf weitaus weniger Nachsorge und ist mit weniger Komplikationen verbunden, die auch Kosten verursachen.
Warum haben Sie dieses Forschungsthema gewählt?
Ich habe mich bereits in meiner Diplomarbeit der regenerativen Medizin gewidmet, mit dem Thema Gelenkknorpel. Damals haben mich besonders die komplexen Entwicklungsvorgänge bei der Organentwicklung fasziniert. Zeitgleich wurde in unserer Arbeitsgruppe an der Regeneration von Haaren aus autologen Zellen geforscht und die Erkenntnis der immer wiederkehrenden Muster der biologischen Vorgänge bei der Organentwicklung hat mich dazu angeregt, über andere, in der Medizin bis dahin weniger populäre Organe, nachzudenken. So bin ich schließlich beim Zahn gelandet, ein Musterobjekt für Studien zur Organentwicklung, und zunächst habe ich mich tatsächlich „nur“ für die grundlegenden Mechanismen interessiert.
Welche Vorteile bringt ein „selbst hergestellter“ Zahn mit sich, gegenüber eines Implantats oder sonstigem Zahnersatz?
Ein natürlicher Zahn ist mit einem sogenannten Zahnhalteapparat in den Kieferknochen eingebettet. Dieser besteht unter anderem aus druckfestem Bindegewebe, der wie ein Stoßdämpfer wirkt und somit Kieferknochen und Zahn schützt. Des weiteren ist er durchblutet und mit vielen Nervenbahnen durchzogen. Damit ist er mit einem Immunsystem ausgestattet und – über den Schmerzreiz – auch mit einem Frühwarnsystem für zu starke Belastung oder Infektionen.
Der nachgewachsene Zahn hat genau diese Eigenschaften, er ist ein vollständiges Zahnorgan. Ein herkömmliches Implantat wird hingegen mit einer Titanschraube in den Kieferknochen hineingebohrt und kann dem Träger aktiv kein Feedback vermitteln. Tatsächlich gibt es für die Einschraubung auch Kontraindikationen
Wie anfällig ist ein neuer Zahn für Krankheiten? Hat er die gleiche Gesundheit wie die anderen Zähne?
Der Zahn ist wie ein Reset-Zahn. Er hat im Prinzip die gleichen Eigenschaften wie der natürliche Zahn des Patienten, ist aber deutlich jünger. 😉
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