Forscher der Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben in einer neuen Studie eine Verbindung zwischen viralen Infektionen im Gehirn und der Entstehung psychiatrischer Erkrankungen hergestellt. Demnach wurden bei Patienten mit schweren Depressionen oder bipolaren Störungen vermehrt, durch humane Herpesviren ausgelöste, Infektionen von Purkinje-Neuronen im Kleinhirn festgestellt. Dr. Bhupesh Prusty, Gruppenleiter am Lehrstuhl für Mikrobiologie und verantwortlich für die Studie, erläutert im Interview diese neu hergestellte Verbindung genauer und räumt mit dem vorherrschenden Irrglauben bezüglich der Harmlosigkeit dieserViren auf.
Welches Potenzial versprechen Sie sich von Ihrer Entdeckung hinsichtlich der Bekämpfung bipolarer Störungen und schwerer Depressionen?
Es wurde lange angezweifelt, dass das Humane Herpesvirus Typ 6 (HHV-6) eine Rolle in der Entstehung psychiatrischer Störungen spielt. Zwar gibt es Studien aus Japan, in denen Forscher behaupten, diese Störungen mit antiviralen Medikamenten behandelt zu haben – jedoch war nie klar, ob das Virus in diesen Patienten vorherrschend ist. Daher ist es aufregend, speziell durch das HHV-6 infizierte Purkinje-Neuronen in den Kranken beobachten zu können. Natürlich fanden wir auch einige andere, kleinere Zelltypen, die durch die Viren infiziert waren. Aber die klare Art der Infektion der Purkinje-Zellen ist aus klinischer Perspektive mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr bedeutend, da diese Zellen essenziell für die Funktion des Kleinhirns sind. Weitere Studien könnten sich beispielsweise damit auseinandersetzen, die Auswirkungen des HHV-6 auf die Purkinje-Neuronen zu bestimmen. Leider lassen sich Infektionen der Purkinje-Zellen durch die Herpesviren nicht am Gehirn eines lebendigen Menschen feststellen. Die naheliegendste Methode wäre dabei noch, die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit auf die Möglichkeit einer viralen Infektion zu untersuchen.
Inwiefern ist davon auszugehen, dass zwischen den Herpesviren in den Purkinje-Zellen im Kleinhirn und den psychiatrischen Störungen ein kausaler Zusammenhang besteht?
Als wir mit dem Projekt begonnen haben, erwarteten wir nicht, das HHV-6 in sehr spezifischen Zelltypen vorzufinden. Bei Astrozyten und andere Glialzellen ist es beispielsweise bekannt, dass sie HHV-6 Infektionen in sich tragen. Jedoch waren wir sehr überrascht, als wir die Infektionen speziell in den Purkinje-Zellen entdeckt haben. Wir glauben, dass das Vorhandensein funktionaler viraler Genome in den Purkinje-Neuronen deren Verhalten verändert, was dann letztendlich die Funktion des gesamten Gehirns beeinflussen kann.
Welche Vermutungen können darüber angestellt werden, dass die Infektionen durch Herpesviren speziell in Patienten mit einer bipolaren oder depressiven Störung gefunden wurden?
HHV-6 ist ein neurotropes Virus. Im Gehirn wurde es im Zusammenhang mit einem breiten Spektrum an Krankheiten beobachtet. So fanden wir beispielsweise die Viren auch in mehreren Kontroll-Gehirngeweben. Ein wichtiger Aspekt ist, das latente oder inaktive Virus vom aktiven zu unterscheiden. Ferner muss man wissen, welche Art von Schäden diese Viren am Gehirn auslösen können. Abhängig davon, welche Zellarten infiziert werden und wo die Infektion lokalisiert ist, können somit unterschiedliche Krankheiten ausgelöst werden. Für weitere Beweise in diese Richtung sollten zukünftige Studien auf die Untersuchung anderer Typen psychiatrischer Krankheiten und auch anderer Teile des menschlichen Gehirns abzielen.
Unter welchen Umständen werden die Viren, die in verschiedenen Organen und Geweben ruhen, wieder aktiv?
Das ist eine sehr wichtige Frage, denn viele Wissenschaftler zweifelten lange Zeit daran, dass verschiedene Faktoren das latente Virus wieder aktivieren könnten. In der Vergangenheit haben wir jedoch gezeigt, dass bakterielle Infektionen, beispielsweise durch Chlamydien, das Virus erneut aktivieren können. Unsere aktuellen Forschungen haben ergeben, dass einige verschreibungspflichtige Medikamente ebenfalls zu einer Reaktivierung führen können – sogar Antibiotika sind dazu in der Lage. Diese Informationen sind besonders wichtig für Menschen, die eine vererbliche Form des Virus in sich tragen. Das HHV-6 ist sehr einzigartig, da es sich in menschliche Chromosomen integrieren kann. Tut es das in einer Urkeimzelle, kann es an die Nachkommen weitergegeben werden. Somit trägt jemand, der das Virus geerbt hat, ein bis zwei Kopien des viralen Genoms in jeder Zelle seines Körpers, die einen Zellkern hat. Das Risiko, dass bei diesen Menschen die Viren wieder aktiviert werden, ist dadurch, dass die Aktivierung an vielen verschiedenen Stellen geschehen kann, sehr hoch. Bedauerlicherweise ist der Anteil der Personen, die davon betroffen sind, mit 0,2 bis 2,6 Prozent der gesamten Weltbevölkerung nicht gerade gering.
Wie hoch ist das Risiko, dass Infektionen in der frühen Kindheit später einmal zur Entstehung einer psychiatrischen Krankheit führen?
Infektionen mit dem HHV-6B in der frühen Kindheit sind nicht unüblich. Später im Leben können wir auch an HHV-6A Infektionen, genauso wie an anderen Herpesviren wie EBV oder CMV, erkranken. Meistens fallen uns diese Infektionen überhaupt nicht auf, obwohl das Virus zu einem Teil von uns und unserem alltäglichen Leben wird. Es ist wahrscheinlich der sekundäre Trigger, beispielsweise eine bakterielle Infektion oder ein bestimmtes Medikamente, der das inaktive Virus aktiviert, welcher anschließend Schäden verursacht. Deswegen sollte man nicht davon ausgehen, dass Infektionen in der frühen Kindheit das Risiko einer psychiatrischen Erkrankung erhöhen.
Können Sie beschreiben, wie Sie beim nächsten Schritt Ihrer Forschung vorgehen werden?
Wir forschen in diesem Feld bereits seit mehreren Jahren. Unsere zukünftige Arbeit wird darauf ausgerichtet sein, die molekularen Veränderungen der betroffenen Zelle, die nach einer viralen Reaktivierung eintreten, zu verstehen. Wenn wir diese Reaktivierung mit der Krankheit auf molekularer Ebene in Verbindung bringen, können wir voraussichtlich in den Krankheitsverlauf eingreifen, indem wir Medikamente gegen diese molekularen Veränderungen entwickeln. Überdies werden wir daran arbeiten, ein besseres Verständnis anderer Reaktivierungsreize zu gewinnen und diagnostische Ansätze zu entwickeln, die bei der Identifikation von molekularen Hinweisen auf virale Infektionen im frühen Stadium helfen sollen.
Wie wichtig ist das Feld der Mikrobiologie wenn es darum geht – den Blick auf die Zukunft gerichtet – der Entstehung von psychischen Erkrankungen letztendlich auf den Grund zu gehen?
Natürlich gibt es verschiedene Labore, die versuchen, neuronale Krankheiten, wie beispielsweise psychische Erkrankungen, besser zu verstehen. In dieser Hinsicht wurden bereits große Fortschritte gemacht. Dennoch haben wir noch einen weiten Weg vor uns, den wir nur mit kontinuierlicher Unterstützung unserer Forschung beschreiten können. Bezüglich der gewöhnlichen Viren gibt es ein Missverständnis. Denn die weitverbreitete Ansicht, dass diese Viren überall und somit harmlos sind, ist falsch. Darum wäre es wichtig, die Forschung zu verschiedenen Teilen des menschlichen Gehirns auszuweiten und besser zu koordinieren. Ferner sollten sich Ärzte an dieser Forschung ebenfalls aktiv beteiligen. Nur dann können wir zukünftig größere Ziele erreichen.
Dr. Bhupesh Prusty ist ein molekularer Virologe, der seit 2006 in Deutschland arbeitet. Sein Training als Postdoc absolvierte er am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg unter Professor Harald zur Hausen. Anschließend kam er 2009 an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er ist ein Experte im Feld des HHV-6 und HHV-7, sowie der Chlamydien-Biologie. Sein Labor an der Universität Würzburg gehört zu den wenigen weltweit, in denen molekulare Forschung zur HHV-6 Latenz und Reaktivierung betrieben wird. Dr. Prusty hat mehrere internationale Preise und Förderungen erhalten, darunter beispielsweise der Koichi Yamanishi Young Investigator Award der HHV-6 Foundation (USA), die Experiment! Förderung der Volkswagen Stiftung und den Ramsey Research Award der Solve ME/CFS Initiative (USA).
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