Ab August 2022, also ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Zweiten Führungspositionen-Gesetzes FüPoG II, müssen börsennotierte und paritätisch bestimmte Privatunternehmen auf einen Mindestanteil von Frauen in ihren Vorständen achten. Während in der Wirtschaft Gender Diversity für moderne Arbeitgeber selbstverständlich ist, hinkt die Medizin oft hinterher. PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser (Foto) vom Deutschen Ärztinnenbund kritisiert die tradierten Machtverhältnisse in vielen Häusern, die Frauen am beruflichen Aufstieg hindern.
Sie leiten das Mentoringprogramm beim Deutschen Ärztinnenbund. Was wird dabei vermittelt?
Wir vermitteln Tandem-Mentorings, bei denen junge Ärztinnen – Mentees – eine erfahrene Ärztin – Mentorin – zur Seite gestellt bekommen, um sie in den verschiedensten Lebens- und Karrierelagen zu unterstützen. Außerdem gibt es für die Mentees Seminarangebote zu verschiedenen Thematiken wie beispielsweise die Karriereplanung, die persönliche Weiterentwicklung, den Erwerb von Soft Skills sowie die Rhetorik. Zusätzlich bieten wir eine Plattform für unsere Mentorinnen im Sinne von Coachingseminaren. Dort können sie sich selbst weiterentwickeln und Seminare zur Vermittlung einer strukturierten Mentorinnenschaft wahrnehmen. Leitende Ärztinnen in unserem Mentorinnen-Netzwerk haben zusätzlich die Möglichkeit, sich im Rahmen eines regelmäßigen „Netzwerks Leitender Ärztinnen“ untereinander auszutauschen.
Weibliche Führungskräfte sind in der Medizin noch stark unterrepräsentiert. Welches Bild zeichnet Ihre aktuelle Studie „Medical Women on top” dazu?
Unsere Studie zeigt, dass sich auch weiterhin nicht viel im Hinblick auf die Unterrepräsentanz in der universitären Landschaft getan hat. Als wir 2016 damit begannen, die Anzahl der Ärztinnen in leitenden Positionen an deutschen Universitätskliniken zusammenzutragen, betrug diese gerade einmal 10 Prozent. In unserem Update aus dem Jahre 2019 stieg diese Quote dann auf 13 Prozent an. Wenn wir jetzt einen Blick auf die Zahlen werfen, müssen wir feststellen, dass die Zahl bei 13 Prozent stagniert.
In Bezug auf über 60 Prozent an weiblichen Studienanfängerinnen in der Humanmedizin, ist diese Zahl erschütternd. Wir sehen, dass nach der Promotion die Zahl der Medizinerinnen stark abfällt und erstmalig die der männlichen Absolventen unterschreitet.
In einer Zeit der Mitarbeiterknappheit müssen Chefärzt:innen nicht nur fachlich überzeugen, sondern auch Teambuilder:innen sein. Nach Ihren Erfahrungen: Wie unterscheidet sich der Führungsstil von männlichen und weiblichen Ärzten?
Teambuilding ist hier das richtige Stichwort: Das sollte meiner Meinung nach die Kernkompetenz einer jeden Chefärztin / eines jeden Chefarztes sein. Dies ist nämlich für eine langfristige, solide Personalplanung ausschlaggebend. Meiner Erfahrung nach sind Chefärztinnen, wenn sie selbst Kinder haben, mehr bereit, auch über flexiblere Rahmenbedingungen für ärztlich tätige Eltern nachzudenken. Dieses Verständnis ist aber auch zu beobachten, wenn der Chefarzt selbst als Familienvater in die Betreuung der eigenen Kinder involviert ist. Und ich sage hier bewusst „für ärztlich tätige Eltern“, denn es wird heute erfreulicherweise normaler, dass sich Eltern gemeinsam als Paar um die Kindererziehung kümmern, wodurch dieses Thema kein reines Frauenthema mehr ist.
In fortschrittlichen Unternehmen der freien Wirtschaft werden Frauen als Führungskräfte besonders umworben, etwa bei Unternehmensberatungen. Warum agieren Arbeitgeber in der Medizin demgegenüber oft mit ihren traditionellen, patriarchalen Strukturen?
Das ist wirklich sehr verwunderlich. In der Medizin gibt es teilweise noch sehr tradierte Sichtweisen, die ein Überdenken der bestehenden Strukturen blockieren. Gerade im Hinblick darauf, dass mehr als die Hälfte der Studienanfänger weiblich ist und eine Vielzahl der approbierten Ärztinnen auch bereit wäre, eine verantwortungsvolle Position auszufüllen, wenn nur die Rahmenbedingungen stimmen würden. Es wird immer wieder vor der Feminisierung der Medizin gewarnt. Die Patientenversorgung stünde auf dem Spiel, da hierdurch die real geleistete Arbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte rückläufig sei. Da schwingen im Grund genommen Bedenken zur Veränderung mit. Bei gut ausgearbeiteten und an die Bedürfnisse der jüngeren Generation angepassten Rahmenbedingungen kann die Patientenversorgung in meinen Augen trotz eventuell vermehrter Inanspruchnahme von Teilzeit aufrecht erhalten werden.
Auf welche Art und Weise haben Medizinerinnen besonders mit Diskriminierung zu kämpfen haben?
Es gibt konkrete Beispiele von Mobbing bis hin zum Absetzen der Chefärztin durch die Krankenhausverwaltung.
Existiert eine strukturelle Diskriminierung oder sind tradierte Machtverhältnisse in einzelnen Häusern, die Frauen im Wege stehen?
Meiner Meinung nach sind tradierte Machtverhältnisse das Hauptproblem, die leider noch weit verbreitet sind. Diese verhindern allzu oft, dass Rahmenbedingungen dahingehend umgestaltet werden, damit es ärztlich tätigen Eltern ermöglicht wird, Freizeit beziehungsweise Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Außerdem gibt es Vorbehalte über Teilzeit, Jobsharing und Top-Sharing, obwohl es dafür bereits funktionierende Beispiele gibt.
Wo sehen Sie den größten Hebel, Frauen in der Medizin auf Ihrem Weg in die Führungspositionen zu befördern?
Eine Möglichkeit wäre die Verankerung von Frauenförderung in den Zielvereinbarungen der Chefärzt:innen, wie es in der Wirtschaft bereits Usus ist. Eine weitere wichtige Maßnahme ist die paritätische Besetzung von Berufungskommissionen, die für Neubesetzungen leitender Positionen verantwortlich sind.
Es gibt die These, dass Männer sich bei einer Stellenanzeige, die 10 wichtige Punkte im Anforderungsprofil benennt, auch bewerben, wenn sie davon lediglich einen Punkt halbwegs erfüllen. Frauen dagegen würden von der Bewerbung Abstand nehmen, wenn sie nur einem der 10 Punkte nicht gerecht würden. Ist dies ein Punkt, der Ärztinnen aus Ihrer Erfahrung manchmal im Wege steht?
Das ist im Großen und Ganzen auch meine Erfahrung. Selbstverständlich gibt es auch Ärzte, die eher zurückhaltend sind. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass Ärztinnen beispielsweise sehr viel mehr praktische Erfahrung sammeln bevor sie deklarieren, einen Eingriff auch eigenständig zu beherrschen. Dies kann sicher karrierehemmend wirken; kann aber andererseits auch ein Antrieb sein.
Im börsennotierten Unternehmen Edding wurde die Führung gerade geteilt, sodass eine Vorständin und ein Vorstand gemeinsam als Chief Digital Officers agieren. Sind solche Modelle auch in der Medizin denkbar, damit Frauen in Teilzeit Führungspositionen übernehmen können?
Das hat meiner Meinung nach auch in der Medizin Potenzial. Erfreulicherweise gibt es bereits vereinzelt Beispiele dafür, dass Top-Sharing in Doppelspitze auch funktionieren kann. Ohnehin ist es in der Medizin häufig der Fall, dass die Chefärztin /der Chefarzt neben der rein klinischen Tätigkeit vielen weiteren Verpflichtungen wie der Teilnahme an diversen Kongressen nachkommt und somit auch teilweise viel Zeit außer Haus verbringt. Bereits in dieser Konstellation muss die Stellvertretung durch stringente Kommunikation mit der Chefärztin/dem Chefarzt die optimale Patientenversorgung sicherstellen. Dies stellt ja bereits eine solide Grundlage für eine funktionierende Doppelspitze dar.
Was raten Sie jungen Ärztinnen, wie sie im Vorfeld feststellen können, ob den in Frage kommenden Arbeitgebern Gender Diversity auch in der Führung am Herzen liegt?
Ich würde jeder potenziellen Bewerberin raten, vor Antritt der Stelle eine Hospitation in der jeweiligen Abteilung zu machen, um die Strukturen, die ärztliche Leitung und die Kolleg:innen kennenzulernen. So kann man auch informell und kollegial ins Gespräch kommen und die Führungskultur der Chefärztin/des Chefarztes kennenlernen, sich die Geschlechterverteilung in der Führungsetage ansehen und Arbeitsbedingungen selbst erleben.
Während Frauen im Studium die Mehrheit unter den Medizin-Studierenden stellen, lernen sie in den Krankenhäusern eine Struktur kennen, in der vorwiegend Männer das Sagen haben. Mit welchem Mindset sollte man als junge Ärztin seine Karriere starten, um einem möglichen Anpassungsdruck nicht nachzugeben?
Ich denke, wir sollten als Ärztinnen danach streben, solide Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, um auf höchstem Niveau die bestmögliche Versorgung der Patienten zu gewährleisten und so selbstbewusst Führungsverantwortung zu übernehmen. Ich bin davon überzeugt, dass notwendige Strukturen dann geschaffen werden, wenn es mehr Ärztinnen in Schlüsselpositionen gibt, die selbst für sich gewisse Rahmenbedingungen in Anspruch nehmen möchten. Davon profitieren dann selbstverständlich alle Ärztinnen und Ärzte. In Zeiten, in denen wir hinsichtlich des Fachkräftemangels und der Demografie vor großen Herausforderungen stehen, sollten wir die „Feminisierung“ der Medizin nicht als Bedrohung, sondern als Chance sehen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit Ärztinnen und Ärzten trotz hoher beruflicher Belastung zufrieden in der direkten Patientenversorgung tätig bleiben. Hierfür kämpft der Deutsche Ärztinnenbund.
PD Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser studierte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Humanmedizin. Nach ihrer Weiterbildung in der Neurochirurgie ist sie seit 2018 Fachärztin für Neurochirurgie an der Uniklinik Freiburg. Seit 2015 ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes.
Einen weiteren Beitrag zum Thema „Mehr Frauen in der Medizin“ finden Sie hier.