Im Wintersemester 2019/2020 seines Medizinstudiums hat sich Mirko Hladik für einen Auslandsaufenthalt an der Brown University in Rhode Island entschieden. Für alle, die mit dem Gedanken spielen, einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt als Arzt/Ärztin oder Medizinstudent:in zu absolvieren, möchte er seine persönlichen Erfahrungen eines Auslandssemesters in den Vereinigten Staaten von Amerika teilen. Dabei gibt er einen Einblick in den Bewerbungsprozess des Stipendiums sowie in den klinischen Alltag eines Medizinstudierenden in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Motivation
Mein kürzlich abgeschlossenes Medizinstudium habe ich an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen absolviert. Es war schon früh im vorklinischen Studienabschnitt, als ich von den zahlreichen Partneruniversitäten meiner Heimatuniversität rund um den Globus mitbekam. Ebenfalls bekam ich Kontakt zu vielen Medizinstudenten fortgeschrittener Semester, die ein Erasmus-Semester im europäischen Ausland absolviert haben. Diese berichteten mir zumeist begeistert von „so viel Freizeit wie noch nie“, zahlreichen Reisen und Ausflügen durch das jeweilige Land, ebenso von noch zahlreicheren Gelegenheiten zu Studenten-Partys. Nun klingt das zugegebenermaßen zunächst einmal verlockend. Ebenso vermag man auf diese Art und Weise sicherlich ein Land und eine Kultur gut kennenzulernen und viele Freundschaften mit Einheimischen zu knüpfen. Mir ging es jedoch primär darum, aus Neugier eine Möglichkeit zu bekommen, einen maximal intensiven Einblick in das Gesundheitssystem eines ebenfalls hoch entwickelten Industrielandes zu bekommen. Ich wollte einen adäquaten und von persönlicher Erfahrung gespeisten Vergleich mit dem deutschen Gesundheitssystem ziehen können. Zudem muss ich, was das Sprachliche betrifft, ganz klar sagen, dass ich mir einen Aufenthalt nur in einem englischsprachigen Land ohne weitere Sprachkurse vorstellen konnte. Die Schulzeit verbrachte ich in einer bilingualen Klasse mit fächerübergreifendem, englischsprachigem Unterricht. Mein Englisch war also glücklicherweise bereits tauglich für ein Auslandssemester. Als Nachweis reichte mir als Vorgriff auf die eigentliche Bewerbung das Certificate in Advanced English der Cambridge University. Ebenso akzeptiert wäre ein TOEFFL-Test gewesen.
Die Vorbereitungen
An englischsprachigen, außereuropäischen Partneruniversitäten hat die Universität Tübingen die University of Queensland im australischen Brisbane und die Brown University in Rhode Island, USA zu bieten.
Die Vereinigten Staaten als vermeintliches „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ reizten mich. Ich kannte das gigantisch große Land bisher nur als Urlaubstourist, hörte jedoch bereits viele Male von der exzellenten, wenn auch leider nicht für alle erschwinglichen, universitären Ausbildung. Also bewarb ich mich Ende 2018 für ein Auslandssemester im Wintersemester 2019/2020 als Vollstipendiat an der Brown University in Providence, Rhode Island. Dieses Semester sollte mein 9. Semester sein und war bezüglich Anrechenbarkeit ideal geeignet, da in diesem nur Wochenpraktika vorgesehen waren und die finalen beiden Jahre des Medizinstudiums in den USA mit monatlichen Rotationen in Lehrkrankenhäusern, ähnlich Famulaturen, absolviert werden. Umfang der Bewerbung: zwei Empfehlungsschreiben von Universitätsprofessoren, das bereits erwähnte CAE-Certificate, ein Motivationsschreiben sowie bisherige Zeugnisse. Als einer von 62 Bewerbern wurde ich zu einem Auswahlgespräch eingeladen und etwa zwei Wochen danach erhielt ich Post. Ich hatte Glück und einen der drei begehrten Plätze pro Semester ergattert. Für die kostspieligen Semestergebühren von 32.000 $ sowie monatliche Lebenshaltungskosten kam ein DAAD-Vollstipendium auf. Dank entsprechenden Einladungsbriefen der Brown University war die Organisation eines J2-Visas nur noch bürokratische Formsache, mit einmaligem Besuch eines US-Generalkonsulats, sodass es im September 2019 losgehen konnte. Im Sommer bekam ich nochmals Post in Form eines Katalogs mit den angebotenen Klinik-Rotationen der Brown University. Ich durfte mir sämtliche Rotationen aussuchen und entschied mich frei nach persönlichen Interessen, sowie mithilfe von Erfahrungsberichten meiner Vorgänger für folgende einmonatige Einsätze: Neurosurgery, Gynecologic Pathology, Emergency Medicine, Pulmonary Diseases Consult, Nephrology Consult und Plastic Surgery. Sämtliche Rotationen fanden im Lehrkrankenhaus der Brown University, dem Rhode Island Hospital oder dem Träger „Lifespan“ ebenfalls zugehörigen, kleineren Ableger Miriam Hospital, statt. Das vierjährige Medizinstudium in den USA schließt sich an einen zweijährigen Bachelorstudiengang an und besteht zur Hälfte aus initialer theoretischer Lehre und daran anknüpfender, zweijähriger praktischer Ausbildung am Krankenbett. Schon in den ersten Wochen machte sich dieser Unterschied zum deutschen Medizinstudium für mich bemerkbar, so waren die amerikanischen Studenten mir in praktischen Fertigkeiten um einiges voraus. Für mich bot das allerdings die Chance, schon vor dem Praktischen Jahr in Deutschland reichlich Praxiserfahrung zu sammeln. Getreu dem Motto „Man wächst an seinen Aufgaben“ ließ ich den anfänglichen Wurf in das kalte Wasser daher bereitwillig über mich ergehen.
Ein Einblick in die amerikanische, klinische Ausbildung zur Ärztin/zum Arzt
Bereits als Student im dritten Jahr ist man in den USA voll eingebunden in das jeweilige Team im Krankenhaus, vergleichbar habe ich dies nur manchmal im Praktischen Jahr erlebt. Ich genoss die flachen Hierarchien und den lockeren Umgangston. Mit meinen Oberärzten kommunizierte ich für gewöhnlich per WhatsApp-Chat oder -Anruf und mit den Assistenzärzten ging ich regelmäßig nach Feierabend noch Abendessen. Das Arbeitspensum hingegen war immens und nicht vergleichbar mit Famulaturen in Deutschland, sondern mehr ein Vorgeschmack auf die spätere berufliche Tätigkeit. Von uns wurde erwartet, dass wir ganz normal im Dreischichtsystem in der Notaufnahme oder in den chirurgischen Fächern sowie an den 24h-Bereitschaften teilnahmen. Ich fand mich also häufig übermüdet nach Nachtdiensten und langen OP-Tagen wieder. Im Gegensatz zu den amerikanischen Studenten hatte ich allerdings trotzdem den Luxus zusätzlich nicht auch noch auf schriftliche Prüfungen lernen zu müssen. Für gewöhnlich waren die einzigen Leistungskontrollen am Ende der klinischen Rotationen eine Fallvorstellung mit Diskussion oder eine kurze Powerpoint-Präsentation mit Vorstellung eines kürzlich publizierten wissenschaftlichen Artikels. Als Austauschstudent hatte man einen gewissen Fremdsprachen-Bonus bei diesen mündlichen Prüfungsleistungen, sodass die Notengebung sicherlich sehr wohlwollend für mich und meine beiden Tübinger Kommilitonen ausfiel. An Urlaub wurden uns für das halbe Jahr nur 10 Tage zugestanden. Ich nutze diese für einen Roadtrip durch die Neuenglandstaaten Massachusetts, New Hampshire und Maine mit meinen Eltern. Ansonsten hatte man an Freizeit lediglich die dienstfreien Wochenenden zur Verfügung. Immerhin war dies noch genug Zeit für einige Städtetrips nach New York, Toronto und Washington. Die Stadt Boston war sogar nur eine halbe Stunde mit dem Regionalzug entfernt.
Fachlich gesehen war die Gegenleistung für die anstrengende Arbeit Tag und Nacht in der Klinik eindeutig der zahlreiche Patientenkontakt. Oft durften wir selbstständig die Betreuung von Fällen in Rücksprache mit dem jeweiligen diensthabenden Oberarzt übernehmen. Im OP-Saal bekam man Gelegenheit zum Einüben grundlegender chirurgischer Techniken. Für gewöhnlich durfte die Haut- und Subkutannaht oder Drainagenanlage vom Studenten übernommen werden. Eindruck konnte man schinden, wenn man bei der begleitenden Abfrage der Anatomie des OP-Situs Rede und Antwort stehen konnte.
Das Fazit
Alles in allem hat mir die Zeit an der Brown University einen deutlichen Lernfortschritt ermöglicht und mich in der Entscheidung für ein chirurgisches Fach nach dem Studium bekräftigt. Medizinstudenten vor einem Studienaufenthalt in den USA sollten sich über eine hohe Arbeitsbelastung im Klaren sein. Nichtsdestotrotz denke ich stets sehr gerne an meine Zeit in den Neuenglandstaaten von September 2019 bis Februar 2020 zurück und für mich überwiegen die Vorteile durch diese Erfahrung ganz klar. Ich kann also basierend auf meiner Erfahrung jeden nur zu einem Studienaufenthalt in den USA ermutigen. Eine fachlich exzellente Ausbildung, die sicherlich, und ein Stück weit auch bedauerlicherweise, ein Privileg für Wenige ist, erwartet euch.
Mirko Hladik (26 Jahre) wurde 1995 in Ludwigsburg geboren. Im Medizinstudium an der Eberhard-Karls Universität Tübingen (10/2015-05/2022) sah er sein Auslandssemester als DAAD-Vollstipendiat an der Warren Alpert Medical School der Brown-University, USA (09/2019-02/2020) als persönliches Highlight an. Nach PJ-Tertialen am Hegau-Bodensee Klinikum Singen (Innere Medizin), Bürgerspital Solothurn, Schweiz (Chirurgie) und am Marienhospital Stuttgart (Plastische Chirurgie) erhielt er im Mai 2022 seine Approbation. Eine klinisch-experimentelle Dissertation zum Thema „Immunohistochemical Markers in Aggressive Pituitary Adenomas“ unter Leitung von Prof. Dr. med. Jürgen Honegger (Neurochirurgie, Universitätsklinikum Tübingen) wurde eingereicht und steht vor der Disputation. Herr Hladik strebt in Kürze den Beginn einer Facharztausbildung in der Orthopädie und Unfallchirurgie an.