Die Diabetologie beschäftigt sich mit der Behandlung und Erforschung des Diabetes mellitus, Oberbegriff für vielfältige Störungen des menschlichen Stoffwechsels. Warum sich eine Weiterbildung in diesem Fachbereich lohnt und welche Anforderungen man als Nachwuchsdiabtelog:in erfüllen sollte, erzählen Dr. Antje Weichard und Dr. Dorothea Reichert des Bundesverbandes niedergelassenen Diabetologen BVND e.V
Was spricht Ihrer Meinung nach für eine Weiterbildung im Fachbereich Diabetologie?
Die Diabetologie hat als Querschnittsfach Berührung zu vielen anderen klinischen Fachrichtungen wie der Kardiologie, Neurologie, Nephrologie, Gefäßchirurgie, Geburtshilfe oder Augenheilkunde hat. Andererseits hat man es mit Patient:innen aus allen Alters- und Bevölkerungsgruppen zu tun, mit Notfällen und Schwerstkranken, aber auch mit Menschen, die man im Alltagsleben oft über lange Zeit begleiten darf.
Neben Coaching der Patient:innen, zahlreichen Schulungen und „sprechender Medizin“ ist die Diabetologie auch durch ihren hohen Grad an Digitalisierung herausfordernd. Krankheitsbilder wie Typ-1-Diabetes, Gestationsdiabetes und das Diabetes-Fußsyndrom stellen sehr unterschiedliche zu bewältigende Herausforderungen dar. Gerade das Diabetische Fußsyndrom ermöglicht auch eine sehr praktische Tätigkeit.
Was zeichnet eine:n gute:n Diabetolog:in aus, abgesehen von fachlicher Expertise?
Junge Kolleg:innen sind insbesondere in ihrer Empathie und ihren kommunikativen Fähigkeiten gefordert, Patient:innen mit Krankheitsakzeptanzproblemen, Motivations- und Wissensdefiziten, aber auch Ängsten und Depressionen in ihrer Krankheitsbewältigung zu unterstützen und sie vor gefährlichen Krankheitsverläufen zu bewahren. Der/die künftige Diabetolog:in sollte eine gute allgemeinmedizinische und internistische Weiterbildung und breites Interesse an benachbarten Disziplinen sowie am fachlichen Austausch mitbringen.
Welche Möglichkeiten gibt es, Diabetolog:in zu werden?
Das Fachgebiet ist in den Universitäten und Kliniken stark unterrepräsentiert. Aufgrund dessen und des noch immer fehlenden Facharztes für Diabetologie lernen Studierende das Fachgebiet erst spät und eher zufällig im Rahmen von Famulaturen, Praktika oder ihrer Facharztweiterbildung Innere oder Allgemeinmedizin kennen. Neben der Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, der nur wenigen Nachwuchskolleg:innen an Universitätskliniken vorbehalten ist, gibt es den „Diabetologen DDG“ nach den Richtlinien der Fachgesellschaft sowie die Zusatzbezeichnung Diabetologie der Ärztekammern. Nach der neuen Weiterbildungsordnung kann die Zusatzbezeichnung Diabetologie erst nach Erwerb einer Facharztbezeichnung Innere oder Allgemeinmedizin oder Pädiatrie über weitere zwölf Monate Weiterbildung erworben werden. Somit braucht es mindestens 72 Monate Weiterbildung zum/zur Diabetolog:in.
Welche Tipps würden Sie interessierten Nachwuchsdiabetolog:innen geben, die auf der Suche nach der richtigen Weiterbildungsstelle sind?
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat in Abstimmung mit dem Berufsverband Niedergelassener Diabetologen (BVND) besondere Qualitätskriterien zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität definiert, die eine Weiterbildungseinrichtung erfüllen muss, um sich Diabeteszentrum DDG oder Diabetologikum DDG nennen zu können. Nach solch einer Zertifizierung sollte der/die angehende Diabetolog:in fragen. Daneben helfen Internetseiten der Einrichtungen dabei, sich über die Breite des Behandlungspektrums zu informieren. So sollte die Einrichtung auch im Bereich Pumpe, rtCGM, Schwangerschaft und Füße aktiv sein.
Welche medizinischen Fortschritte innerhalb Ihres Fachbereiches sind besonders einflussreich?
Fortschritte zeigt die zunehmend individualisierte Therapie des Typ-2-Diabetes in Abhängigkeit von Komorbidität, Lebensprognose und -erwartung, Motivation und Ressourcen des/der Patient:in unter Nutzung zunehmend prognoseverbessernder Pharmakotherapie, zum Beispiel SGLT2-Hemmer und GLP1-Analoga statt bloßer „Blutzucker-Kosmetik“. Damit rückt die Insulintherapie als unverzichtbares Therapieprinzip beim Typ-2-Diabetes an die dritte Stelle der leitliniengerechten Behandlung.
Wegen des Risikos von (unbemerkten) Hypoglykämien hat die Glucose-Sensor-Technologie flächendeckend Einzug gehalten. Insbesondere die sensorunterstützte Insulinpumpentherapie hat sich dank KI mit automatisierter Abschaltung beziehungsweise Anpassung der Basalrate zum Closed Loop entwickelt und ist inzwischen durch „Baukasten“-Systeme von Glucosesensor, KI-Algorithmus und Insulinpumpe nahe am Artificial Pancreas und einer technischen Heilung von Typ-1-Diabetes. Diese neue Technik eröffnet auch viele neue Möglichkeiten der Videosprechstunde und telemedizinischen Betreuung über Cloudlösungen.
Kann man als Diabetolog:in auch in Teilzeit arbeiten oder kommt das eher selten vor?
Sowohl in den Gemeinschafts- als auch in den Einzelpraxen sind mehrere angestellte Ärzt:innen eher die Regel als die Ausnahme. Insbesondere den Bedürfnissen junger Eltern kann durch die Tätigkeit als angestellte:r Ärzt:in in Vollzeit oder Teilzeit entgegengekommen werden. Dabei können junge Kolleg:innen zunächst ohne unternehmerische Verantwortung für die Praxisorganisation Schritt für Schritt den „Praxisführerschein“ erwerben.
Wie schätzen Sie denn die Möglichkeiten ein, eine eigene Praxis zu übernehmen?
In allen KV-Bezirken bestehen gute Möglichkeiten, eine Diabetes-Schwerpunktpraxis zu übernehmen oder in eine entsprechende Gemeinschaftspraxis einzusteigen. Als Bewerber:in zur Gründung oder Übernahme einer Diabetes-Schwerpunktpraxis mit ausschließlich klinischer Ausbildung sehen wir allerdings Hürden. 80 Prozent der diabetologischen Tätigkeit und Organisationsstruktur, beispielsweise der DMP-Regularien oder Betreuung von Pumpen- und CGM-Patient:innen, finden im ambulanten Setting statt. Neben weiteren unternehmerischen Aufgaben muss mühsam angeeignet werden, was in der Klinik bisher nicht gelernt wurde.
Wie sieht momentan der Bedarf und die Arbeitsbelastung in den Kliniken aus?
Leider gibt es mit der Ökonomisierung der Krankenhäuser durch das DRG-System seit 2004 nur noch wenige Kliniken mit eigenständiger diabetologischer Abteilung, inzwischen wird die Diabetologie häufig als Anhängsel der Kardiologie, Gastroenterologie oder Nephrologie betrieben. Diabetesfachkliniken, die ambulant nicht zu versorgende Patient:innen etwa mit schweren Stoffwechselproblemen betreuen, sind selten geworden.
Die Arbeitsbelastung in internistischen Kliniken mit hoher Bereitschaftsdienstfrequenz und wenig familienfreundlichen Arbeitszeiten ist der Grund, dass junge Kolleg:innen baldmöglichst nach Abschluss ihrer internistischen Grundausbildung eine Weiterbildungsmöglichkeit im ambulanten Bereich suchen.
In welche Richtung kann man sich nach dem Facharzt weiter spezialisieren?
An erster Stelle sind hier die Herausforderungen der Digitalisierung in der Diabetologie zu nennen, wie Auslesesoftware mit Cloudlösungen und Möglichkeit des telemedizinischen Coachings, aber auch technische Neuerungen wie CGM-Systeme über sensorunterstützte Insulinpumpen bis zum artificial pancreas. Die Betreuung von Patient:innen mit Diabetes-Fußsyndrom kann am besten in einer zertifizierten ambulanten Fußeinrichtung (ZAFE) erlernt werden.
Schließlich ist die ambulante Betreuung der zunehmenden Anzahl von Patientinnen mit Gestationsdiabetes beziehungsweise von Typ-1- oder Typ-2-Diabetikerinnen mit Schwangerschaft in Bezug auf die Prognose von Mutter und Kind herausfordernd.
Gibt es in der Diabetologie derzeit besonders heiß diskutierte Themen?
Neben den bereits angesprochenen technischen Entwicklungen ist vor allem die Orientierung auf das patient related outcome ein aktueller Trend in der individualisierten Diabetestherapie.
Ausgehend von den postulierten fünf Krankheitsentitäten des Typ-2-Diabetes gilt es, vor allem die Patient:innen mit frühzeitig progredientem Krankheitsverlauf, ungünstiger Prognose und hoher Komorbidität zu detektieren. Statt „one size fits all“ ist gerade die konsequente individualisierte Behandlung dieser gefährdeten Patient:innen, denen ihre Gefährdung oft gar nicht bewusst ist, eine intellektuelle und zwischenmenschliche Herausforderung.
Welche falschen Vorurteile werden Diabetolog:innen besonders häufig entgegengebracht?
Diabetologie ist mehr als die von manchen Kliniker:innen belächelte „Blutzuckerkosmetik“ mit Anpassung von zwei Insulineinheiten mehr oder weniger. Ja, Diabetologen sollten die Praxis der Insulintherapie beherrschen. Aber sie sollten vor allem die Bedürfnisse, medizinischen und sozialen Probleme sowie Ressourcen der von ihnen betreuten Menschen mit Diabetes erkennen und individuelle Lösungen unter Erhalt der Lebensqualität finden. Dieses empathische Coaching ist die eigentliche Herausforderung unseres Fachgebietes.
Welche Nachwuchsförderungen bieten Sie und Ihre Gesellschaft an?
Seit vielen Jahren gibt es zum Frühjahr- und Herbstkongress der DDG ein Stipendiaten-Programm. Dabei werden Studierende und junge Ärzt:innen in Weiterbildung durch erfahrene Mentor:innen aus Klinik und Praxis, aber auch den Austausch mit jungen Kolleg:innen in diabetologischer Weiterbildung an das Fach herangeführt.
Darüber hinaus wurde vor fünf Jahren mit Unterstützung des BVND eine Famulatur-, PJ- und Hospitations-Börse auf der DDG-Website geschaffen, um niedrigschwellig Ausbildungsangebote in der Diabetologie zu vermitteln.
Dr. Antje Weichard ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und Diabetologin, zudem ist sie als Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der niedergelassenen Diabetologen BVND e.V. für das Thema Nachwuchs verantwortlich. Als Akademische Lehrpraxis des Universitätsklinikums Magdeburg vermittelt sie Studierenden, Blockpraktikanten, Famulanten, PJlern und Ärzten in Weiterbildung Einblicke in die ambulante Diabetologie.
Dr. Dorothea Reichert ist Fachärztin für Innere Medizin und Diabetologin DDG. Zudem ist sie Inhaberin einer Diabetologischen Schwerpunktpraxis in Rheinland-Pfalz. Als stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes niedergelassenen Diabetologen BVND e.V. ist sie für das Thema Qualität und Nachwuchs verantwortlich. Die Praxis ist Weiterbildungseinrichtung für Innere Medizin und Allgemeinmedizin sowie Diabetologie und bildet regelmäßig weiter. Ebenso sind Famulanten immer willkommen.
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