Die Ärztin Sabine Dittmar ist Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit und damit eingebunden in die Refomvorhaben von Gesundheitsminister Lauterbach. Sie erklärt Hintergründe und berichtet über den aktuellen Stand des Reformvorhabens, in welchem die rund 1.700 Krankenhäuser in Deutschland einmal den geplanten Versorgungsstufen zugeordnet werden sollen.
Frau Dittmar, Sie haben vor Ihrer politischen Laufbahn 15 Jahre lang als approbierte Ärztin in einer Gemeinschaftspraxis praktiziert. Heute sitzen Sie am Tisch der Entscheider. Welche Motivation hatten Sie, nicht mehr (nur) als Ärztin tätig zu sein?
Ich habe eine Zeit lang versucht, Mandat und Niederlassung unter einen Hut zu bringen. Aber da ich mich nicht beiden Gebieten gleichzeitig mit 100 % Einsatz und Konzentration widmen konnte, habe ich mich für die Politik entschieden und meinen KV Sitz zurückgegeben. Selbstverständlich kenne ich die Herausforderungen und Defizite, aber auch die Vorzüge unseres Gesundheitssystems aus meiner Zeit als praktizierende Ärztin und mein beruflicher Background ist Gold wert für meine gesundheitspolitische Arbeit. Aber ich freue mich jedes Mal, wenn ich richtig ärztlich tätig bin.
Als Parlamentarische Staatssekretärin seit 2021 beim Bundesminister für Gesundheit, erleben Sie die Gedanken, Gespräche und Verhandlungen zu Reformen im Gesundheitswesen. An welchem Punkt der Reform stehen wir heute?
Das BMG hat eine Regierungskommission mit der Entwicklung von konkreten Vorschlägen für eine Krankenhausreform beauftragt. Sie besteht aus 17 ausgewiesenen Expertinnen und Experten aus den Fachbereichen Pflege, Medizin, Ökonomie und Rechtswissenschaften.
Die Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung vom 6. Dezember 2022 werden seit Januar 2023 im Rahmen einer „Bund-Länder-Gruppe für die Krankenhausreform“ intensiv mit den Ländern und den Koalitionsfraktionen beraten. Nach dem Konzept der Regierungskommission sollen Krankenhäuser unter anderem Versorgungsstufen, Leveln, zugeordnet werden und eine Vorhaltevergütung für die Leistungsgruppen erhalten, deren Qualitätskriterien sie erfüllen.
Was wird an der Krankenhausreform am heftigsten kritisiert?
Oft wird angeführt, dass diese Reform die Versorgung „in der Nähe“ gefährden könnte, weil nicht mehr alle Kliniken alle Leistungen werden anbieten dürfen. Grundsätzlich kann ich das nachvollziehen, dass man eine möglichst umfassende Krankenhausversorgung in seiner Nähe haben möchte. Allerdings soll die Reform gerade dafür sorgen, dass keine Unterversorgung entsteht. Sie wird vor allem eine Chance für bedarfsnotwendige Krankenhäuser bedeuten, die sonst absehbar in die Insolvenz gehen würden. Bedarfsnotwendige Krankenhäuser werden weiter betrieben werden können, nicht schließen müssen – dank der Reform. Kleine Häuser sollen sich auf eine Grundversorgung konzentrieren, während komplexere Eingriffe vor allem in großen, entsprechend spezialisierten Kliniken stattfinden sollen. Einfach ausgedrückt: Der Armbruch wird weiterhin vom Krankenhaus um die Ecke versorgt. Der Bauchspeicheldrüsenkrebs in zertifizierten Zentren. Auch die wohnortnahe Notfallversorgung an den Krankenhäusern wird weiterhin sichergestellt.
Durch die Neuaufteilung der Versorgungslevel für Kliniken sollen Krankenhäuser effizienter werden. Warum sind Sie von dieser Grundidee überzeugt?
Mit der Krankenhausreform werden drei zentrale Ziele verfolgt: Gewährleistung von Versorgungssicherheit (Daseinsvorsorge), Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität sowie Entbürokratisierung. Es gilt, in Deutschland eine qualitativ hochwertige, flächendeckende und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung sicherzustellen. Durch die Zuordnung der Krankenhäuser zu einheitlichen Versorgungsleveln wird außerdem eine größere Transparenz über die Krankenhausversorgung für Patientinnen und Patienten erreicht.
Was versprechen Sie sich von der Ambulantisierung?
Eine verstärkte Ambulantisierung der medizinischen Versorgung in Deutschland ist aus verschiedenen Gründen notwendig. Ein Vorteil der ambulanten Behandlung für Patientinnen und Patienten ist die Möglichkeit, danach nach Hause zurückzukehren und nicht in der fremden Krankenhausumgebung zu bleiben. Außerdem ermöglicht die ambulante Leistungserbringung, wenn sie nach dem Stand der Medizin möglich ist, einen effizienteren Einsatz der begrenzten Ressourcen im deutschen Gesundheitssystem
Die Level-1i Krankenhäuser sollen auch pflegerisch geführt werden dürfen. Besteht nicht die Sorge, dass in der breiten Bevölkerung das Vertrauen in ein nicht-ärztlich geführtes Haus sinkt?
Auch für Level Ii Krankenhäuser sollen die bereits bestehenden fachlichen und organisatorischen Anforderungen an Krankenhäuser gelten. Zur Führung der Geschäfte der Level Ii Krankenhäuser kann eine pflegerische Leitung vorgesehen werden. Fachlich-medizinisch werden Level Ii Krankenhäuser aber weiterhin unter ständiger ärztlicher Leitung stehen; eine fachliche Weisungsbefugnis der pflegerischen Leitung gegenüber dem ärztlichen Personal besteht nicht.
Gibt es ein „Pilotprojekt“, welches die Umsetzbarkeit der Reformen testet?
Die Auswirkungen der Reform auf die Versorgung werden durch vier vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebene Folgenabschätzungen untersucht. Grundlage für die erste Folgenabschätzung sind die Leistungsgruppen, die in Nordrhein-Westfalen bereits Bestandteil des Krankenhausplans sind, die den jeweiligen Leveln zugeordnet werden. Die rund 1.700 Krankenhäuser in Deutschland sollen in der Analyse den geplanten Versorgungsstufen zugeordnet werden.
Kliniken gewinnen junges, ärztliches Personal vor allem durch ihr fachärztliches Weiterbildungsangebot. Könnte es passieren, dass durch die Neuverteilung der Level manche Kliniken stärkere Probleme in der Personal- und Nachwuchsgewinnung haben werden, weil heruntergestufte Häuser gar nicht mehr die Ressourcen für eine umfassende fachärztliche Weiterbildung zur Verfügung stellen können?
Die fachärztliche Weiterbildung soll nach Umsetzung der Reform in Krankenhäusern aller Versorgungslevel weiter möglich bleiben. Denkbar wären zum Beispiel Weiterbildungsverbünde kooperierender Krankenhäuser unterschiedlicher Level. Dies würde den Ärztinnen und Ärzten Einblicke in die Arbeit von Krankenhäusern verschiedener Versorgungslevel ermöglichen. Einbezogen werden könnte dabei auch der ambulante Bereich. Modell hierfür könnte die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin sein. Durch eine stärkere curriculare Ausgestaltung der Weiterbildung könnte dann insgesamt sogar eine Verbesserung der fachärztlichen Weiterbildung erreicht werden.
Die Krankenhausreformen werden vom Bund bestimmt, was nicht überall auf Zustimmung stößt. Warum sind die Reformen auch im Sinne der Länder?
Bund und Länder beraten seit Anfang des Jahres in wöchentlich stattfindenden Sitzungen gemeinsam über die Ausgestaltung der Krankenhausreform. Die Stellungnahme der Regierungskommission dient dabei als Diskussionsgrundlage. Zentrale Ziele der Krankenhausreform sind die Gewährleistung von Versorgungssicherheit (Daseinsvorsorge) sowie die Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität. Dies ist auch im Interesse der Länder, deren Aufgabe es ist, eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung sicherzustellen. Die Reform soll selbstverständlich rechtssicher umgesetzt werden – die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Regelungen wird daher sorgfältig geprüft.
Zum Abschluss ein Ausblick in die Zukunft: Wann sollen die Beschlüsse praktisch umgesetzt werden?
Wie bereits gesagt, die Beratungen laufen auf Hochtouren. Nach dem derzeitigen Stand sollen noch vor der parlamentarischen Sommerpause erste Eckpunkte zur Umsetzung der Reform durch das BMG vorgelegt werden. Diese werden wir mit den Ländern beraten und zügig zu einem Gesetzentwurf weiterentwickeln und den Ländern im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vorlegen. Das parlamentarische Verfahren soll möglichst im Herbst 2023 mit einem Kabinettsbeschluss eingeleitet werden. Zudem wird ein Konzept zur weiteren Einbindung wesentlicher, betroffener Akteure rund um die Krankenhausreform erarbeitet. Nach Inkrafttreten der Reform sollen die neuen Regelungen schrittweise im Rahmen einer mehrjährigen Konvergenzphase eingeführt werden.
Zum Thema Krankenhausrform haben wir auch Helios-CEO Robert Möller interviewt. Seine Antworten gibt es hier.