Was hat der Arztberuf mit Kennzahlen und Management zu tun? Wie viel betriebswirtschaftliches Wissen im ärztlichen Arbeitsalltag gebraucht wird, hängt stark von der beruflichen Position ab. Angestellte Ärzte ohne Führungsverantwortung werden sich an einem normalen Arbeitstag hauptsächlich dem medizinischen Fachgebiet widmen. Selbstständige Ärzte mit eigener Praxis hingegen sind neben der medizinischen Tätigkeit noch mit ganz anderen Aufgaben konfrontiert. Ein Team führen, Praxisabläufe koordinieren und die Finanzen im Blick behalten sind Aufgaben, die zeitintensiv sind und zur Last werden können.
Selbstständige Ärzte auch Unternehmer?
Die eigene Praxis ist ein Unternehmen – der inhabende Arzt folglich Unternehmer. Unabhängig davon, ob ein:e Mitarbeiter:in oder zwanzig Angestellte zu der Praxis gehören, ist ein reibungsloser und effizienter Ablauf in einer Arztpraxis von zentraler Bedeutung für deren wirtschaftlichen Erfolg. Dafür müssen im Hintergrund Prozesse und Strukturen definiert und überwacht, Strategien entwickelt und angepasst sowie Marketingaktivitäten durchgeführt werden. Dieses General Management-Wissen ist weder Bestandteil des klassischen Medizinstudiums noch Teil der berufsbegleitenden Fachfortbildung, so dass die Ärztin mit eigener Praxis meist absolutes Neuland betritt. Wie führe ich ein Mitarbeitergespräch? Wie interpretiere ich den Cash-Flow Kennwert richtig? Was muss ich beachten beim Umgang mit Bewertungen in den sozialen Medien? Dies sind wichtige Fragen, die im Unternehmensalltag selbstständiger Mediziner:innen auftreten.
Mit dem Unternehmerseminar für Ärztinnen und Ärzte des Schweizerischen Institut für KMU und Unternehmertum der Universität St. Gallen möchten wir diese Lücke in der Ausbildung von Mediziner:innen schließen. In fünf Seminartagen vermitteln praxisnahe Referierende elementare betriebswirtschaftliche Grundlagen, welche explizit auf Ärztinnen und Ärzte eigener Praxistätigkeit ausgerichtet sind. Bei der Entwicklung des Seminars arbeiteten verschiedene Expert:innen zusammen, sodass beide Sichtweisen – die medizinische sowie die betriebswirtschaftliche – mit einfließen konnten. Die ehemalige Teilnehmerin Dr. med. Elena Lacoste von der Frauenpraxis Irchelpark in Zürich erklärt rückblickend: „In den diversen Modulen lernte ich, Abläufe zu optimieren, Aufgaben bewusster zu delegieren, meine Arbeit und die der Arztgehilfinnen besser zu strukturieren und die Zusammenarbeit effizienter zu gestalten“.
„Das Denken in Rollen ist ein zentraler Aspekt“
Ein wichtiger Aspekt unseres Fortbildungsangebots ist das Denken in Rollen. Wir bringen unseren Teilnehmenden bei, regelmäßig bewusst abzugrenzen: Wann bin ich Arzt? Wann bin ich Unternehmer? Und wann bin ich beides? Woran kann ich das festmachen? Als Praxisinhaber:in muss man lernen, Patient:innen auch als Kund:innen zu sehen und gegenüber Praxismitarbeitenden ihre Führungsaufgaben wahrzunehmen. Dazu gehört neben betriebswirtschaftlichem Know-How auch eine gute Kommunikationskompetenz. Verschiedene Herausforderungen in der heutigen Praxislandschaft verlangen Kostenoptimierung bei gleichbleibend hoher Behandlungsqualität. Daher braucht es je nachdem auch Prozessoptimierungen. Hierfür sind Lean Management-Ansätze für die Praxisabläufe ein geeignetes Tool. Aber auch eine Positionierung als attraktiver Arbeitgeber für gut qualifiziertes Fachpersonal wird immer dringlicher. Im Unternehmerseminar stärken wir dieses Rollendenken durch Erfahrungsaustausch unter den Teilnehmenden, aber auch Selbstreflexion und gemeinsame Reflexion, Fallarbeit über Live Cases und Feedback von Kolleg:innen, stehen im Fokus. Alle Module greifen ineinander und bilden das gesamte Themenspektrum einer Arztpraxis ab: von Innovation, Strategie und Geschäftsmodell über Führung, Prozessoptimierung und Marketing bis zur Interpretation von Bilanz und Erfolgsrechnung. Seit diesem Jahr kann das Seminar durch einen Tag zum Thema Arbeitsrecht ergänzt werden. Seit diesem Jahr kann das Seminar durch einen Tag zum Thema Arbeitsrecht ergänzt werden.
„Gibt es DIE richtige Mitarbeiterführung?“
Unsere Erfahrung zeigt, dass das Thema „Führen von Mitarbeitenden“ für unsere Teilnehmenden hochrelevant ist. Wir betonen, dass die regelmäßige Reflexion des eigenen Führungsverhaltens unabdingbar ist: Habe ich meine Mitarbeitenden fair und wertschätzend behandelt? Nehme ich mir genug Zeit für individuelle Anliegen meiner Teammitglieder? Essenziell ist die Erkenntnis, dass Führung auch Arbeit ist, ganz gleich ob Selbst- oder Teamführung.
Das Aufzeigen verschiedener Führungsstile aber auch der Zusammenhang zwischen Führung und Wahrnehmung sowie die Brücke zum Themengebiet Kommunikation, Feedback und Wertschätzung sind grundlegende Elemente dieses Seminartages. Denn eines ist klar: am Ende eines hektischen Tages sind es der Zusammenhalt im Team und die anerkennenden Worte des Chefs, welche die Motivation der Mitarbeitenden aufrechterhalten.
„Einfluss der Digitalisierung auf die eigene Arztpraxis“
Das Thema Digitalisierung zieht sich durch alle betriebswirtschaftlichen Themengebiete unseres Seminars: sei es im Marketing-Modul, bei der Prozessoptimierung oder beim Personalmanagement. Denn die Suchmaschinenoptimierung per Google Search, die elektronische Patientenakte oder digitale Programmhilfen bei der Organisation und Administration (zum Beispiel Online-Terminkalender) sowie Bewertungen auf Online-Plattformen beeinflussen unvermeidlich den wirtschaftlichen Erfolg einer Arztpraxis. Grund dafür ist die Veränderung der Praxislandschaft und damit einhergehender steigender Konkurrenz- und Kostendruck. Gerade jüngere Patienten besitzen eine höhere Wechselbereitschaft, teilen öffentlich ihre Zufriedenheit oder ihren Missmut und sind preissensibler. Der „Halbgott in Weiß“ gerät als Unternehmer somit unter steigenden Druck von außen und muss regelmäßig die strategische Ausrichtung und Marktposition der eigenen Praxis analysieren, hinterfragen und anpassen.
Die Nutzung von Telemedizin bietet hier eine gute Möglichkeit, die Kundenorientierung zu erhöhen und gleichzeitig die medizinische Kernkompetenz zu fokussieren. Referierende mit speziellen Fachkenntnissen bringen zu diesem Themenkomplex ihre Expertise ein, wie zum Beispiel Dr. Tobias Wolf als Gründer der Onlinedoctor AG.
Fazit: Je stärker die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse als Unternehmer sind, umso mehr Möglichkeiten eröffnen sich für Praxisinhaber:innen, innovativ und flexibel sowie kundenorientiert am Markt zu agieren.
Autorin Sabine Bruchmann ist Seminar- und Projektleiterin am Institut für KMU und Unternehmertum der Universität St. Gallen. Interessierte finden unter kmu.unisg.ch/aerzte Informationen zum „Unternehmerseminar für Ärztinnen und Ärzte“