Nicht noch ein Beitrag zum Corona-Virus! Oder doch? Der Chirurg Professor Dr. Eckhard Nagel von der Uni Bayreuth wehrt sich gegen die mediale Panikmache und beleuchtet einige Hintergründe: Vom aufkeimenden China-Rassismus bis hin zu Prognosen, wann mit einer Impfung zu rechnen ist.
Prof. Nagel, wie genau lässt sich das Corona-Virus klassifizieren?
Als Erreger wurde Anfang Januar 2020 in China ein neuartiges Coronavirus entdeckt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet das neuartige Virus mit 2019-novel Coronavirus, abgekürzt «2019-nCoV». Das ist nur eine Klassifikation, die sich auf die Zeit des Auftretens bezieht.
Die Besonderheit des Virus besteht darin, dass es einen anderen genetischen Aufbau hat als bisher bekannte Viren aus der gleichen Gruppe. Das Virus besteht aus sogenannter einzelsträngiger RNA, eine Beschreibung des genetischen Aufbaus, der aber darauf hindeutet, dass sich dieses Virus durch Veränderungen im Erbmaterial weiter ständig verändern kann. Allerdings wurden bislang noch keine größeren sogenannten Mutationen beim 2019-nCoV beobachtet. Das Virus gehört zur selben Familie wie die bereits bekannten Erreger von SARS und MERS.
Die Frage, warum dieses Virus nun plötzlich in Wuhan, der Provinz-Hauptstadt der in der Mitte Chinas liegenden Provinz Hubei aufgetreten ist, lässt sich dahingehend beantworten, dass die Corona Viren ursprünglich in Tieren vorkommen und nur äußerst selten auf den Menschen übertragen werden. Im vorliegenden Fall hat es nun einen solchen so genannten Wirtswechsel gegeben, also die Übertragung vom Tier auf den Menschen. Seither überträgt es sich von Mensch zu Mensch und breitet sich weiter aus. Der direkte Nachweis in Tieren und die Identifizierung der verantwortlichen Tierspezies ist noch nicht gelungen, aber nach unserem heutigen Wissensstand dürften Fledermäuse die Tierart sein, in dem dieses Coronavirus sich entwickelt hat und von wo aus es auf den Menschen übergegangen ist. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass noch eine andere Tierspezies als sogenannter Zwischenwirt gedient hat.
Wie unterscheidet man die Symptome des Coronavirus von Grippesymptomen?
Die klinischen Symptome der Coronavirus-Infektionen entsprechen denen von klassischen Erkältungskrankheiten, wobei offensichtlich manche Patienten auch keine äußeren Zeichen einer Erkrankung zeigen. Deshalb ist es wichtig zu wissen, ob man ein Virusträger ist.
Erkältungskrankheiten kommen meistens schleichend über einige Tage und können gegebenenfalls auch ein erhebliches Ausmaß annehmen, zum Beispiel im Sinne einer Lungenentzündung. Eine Grippe zeigt ähnliche Symptome, beginnt aber meist akut mit hohem Fieber, Gelenk- und Muskelschmerzen, starken Kopfweh innerhalb weniger Stunden. Das unterscheidet die Grippe von der neuartigen Infektion: durch das Coronavirus wird man langsam immer kränker, die Grippe kommt über Nacht und zeigt in der Regel sofort massive Symptome.
Sollte man in der Praxis einen Notfallplan für solche Fälle haben?
In der Arztpraxis braucht es keinen Notfallplan. Es ist aber wichtig, darauf vorbereitet sein, dass ein Patient gegebenenfalls isoliert werden muss. Ein solches Verfahren muss praktisch eingeübt werden. Als Patient sollte man schon bei der Anmeldung telefonisch deutlich machen, dass man den Verdacht hat, ein Virusträger zu sein. Solche Patienten sollten getrennt von anderen einbestellt werden. Da sich auch Praxis-Mitarbeiter infizieren können, ist eine professionelle Vorbereitung natürlich auch hier notwendig.
Update vom 22. Juli 2020: Der Konzern AstraZeneca kündigte an, im Herbst mit einem Impfstoff in die Produktion zu gehen, der zum Selbstkostenpreis von unter 3 Euro verkauft werden solle. (Quelle)
Wie sollten Ärzte mit der Panikmache umgehen?
Zur Panik besteht überhaupt kein Anlass! Das hören wir regelmäßig von allen Experten, von den zuständigen Institutionen in unserem Land, wie zum Beispiel dem Robert-Koch-Institut, oder auch von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums. Ich bin sicher, dass nur durch eine solche gezielte, umfassende und verständliche Erklärung der Situation auf der einen Seite die Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, deutlich gemacht und auf der anderen Seite völlig falsche Darstellungen, unnötige und gefährliche Übertreibungen oder unseriöse Verdächtigungen aufgelöst werden können. Aber ich mache den geistigen Brandstiftern, die falsche Behauptungen in die Welt setzen, den Vorwurf, dass sie mit der Angst und Unsicherheit vieler Menschen spielen. Das darf nicht sein. Noch Mal: es gibt keinen Grund zur Panik!
Sollte man als Arzt gegen potenziellen China-Rassismus vorgehen?
Manche Kommentare, die wir in diesen Tagen lesen, haben einen Hauch eines rückwärtsgewandten, westlichen, kolonialistischen Untertons. Der ist überhaupt nicht gerechtfertigt, denn daraus spricht nicht nur unzureichende Anteilnahme, sondern auch eine falsche Einschätzung dahingehend, dass ein solcher Krankheitsausbruch nicht auch in Europa oder Amerika stattfinden könnte. Das ist eine Fehlannahme. Neue Infektionskrankheiten könnten überall auf der Welt auftreten. Die medizinische Versorgung in Wuhan ist dankenswerterweise so gut entwickelt, dass man trotz aller Schwierigkeiten die Lage über die Zeit in den Griff kriegen wird.
Wie genau sorgt das Virus für den Tod? Wie hoch schätzen Sie das potenzielle Sterberisiko in Deutschland ein?
Es scheint mir zu früh, über ein potentielles Sterberisiko für diese Erkrankung zu sprechen und diese dann zum Beispiel mit der Grippe zu vergleichen. Jeden Tag verändern sich im Moment die Zahlen – sowohl der Infizierten wie auch der Verstorbenen. Da ist es viel zu früh Zahlen hochzurechnen oder Vergleiche anzustellen. Für Deutschland sehe ich überhaupt kein besonderes Sterberisiko, denn wir haben keine sogenannte Infektionskette und tun im Moment auch alles dafür, dass es so etwas nicht geben wird.
Wann ist mit einem Gegenmittel zu rechnen?
Gegen Virus-Erkrankungen gibt es nur selten gezielte Medikamente. Vorher werden in aller Regel Impfstoffe entwickelt. Daran wird bereits weltweit gearbeitet und ich bin zuversichtlich, dass wir in vier bis sechs Monaten hier schon konkrete Ansätze haben werden. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, vor allem in der Behandlung der jetzt erkrankten Patienten und bei der Eindämmung der Epidemie weltweit.
Welche Berührungspunkte haben Sie selbst mit dem Thema Infektionskrankheiten?
Selbst bin ich von Haus aus Chirurg und habe deshalb mit Infektionskrankheiten nur bei meinen Patienten zu tun, zum Beispiel nach einer Transplantation.
Aber ich habe mich in den zurückliegenden Jahren intensiv mit der medizinischen Versorgung in China und speziell in Wuhan beschäftigt. Dabei war ich unter anderem beteiligt bei der Einrichtung eines so genannten Trans-Regio-Sonderforschungsbereiches, der zwischen dem Universitätsklinikum in Essen und der Tongji Medizinischen Fakultät in Wuhan aufgebaut worden ist. Hier standen Fragen der Infektiologie im Mittelpunkt und Förderung erfolgte über die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die National Science Foundation in China. Dies unterstreicht, wie wichtig dieses Thema in der medizinischen Forschung gesehen wurde und wird. So gibt es quasi als Glück im Unglück dankenswerterweise auch hoch kompetente Virologen in Wuhan.
Selbst bin ich dann vor einiger Zeit zum deutschen Präsidenten eines neu gegründeten chinesisch-deutschen Freundschafts-Krankenhauses im Tongji Klinikum ernannt worden und versuche die Kooperation zwischen unseren Einrichtungen, speziell auch der Universität Bayreuth und den Universitäten in Wuhan, auf verschiedenen Gebieten zu fördern. Viele der jetzt als Ärztinnen und Ärzte tätigen Personen in den Krankenhäusern in Wuhan sind mir persönlich gut bekannt. Wir stehen in einer sehr nahen, regelmäßigen Kommunikation und ich bemühe mich, die Menschen vor Ort mit Hilfe vieler engagierter Menschen und Institutionen hier in Deutschland zu unterstützen.
Sollte Sie interessieren, wie die Entwicklung eines Impfstoffes abläuft, dann haben wir hier den passenden Artikel dazu.
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Stand Februar 2020