Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) muss sich schon lange mit vielen Vorurteilen herumschlagen. Darunter zählen vor allem die Gerüchte, dass die Tätigkeiten im Gesundheitsamt wenig herausfordernd und unterbezahlt sind. Aber entspricht das der Realität. Was genau in das Tätigkeitsfeld eines/einer Amtsarztes/Amtsärztin fällt und welche Vorzüge der ÖGD hat, verrät uns Dr. Heribert Stich.
Spezifikum des amtsärztlichen Dienstes
Bei der amtsärztlichen Tätigkeit steht nicht wie in der Klinischen Medizin oder in der ambulanten Krankenversorgung der individualmedizinische Aspekt im Vordergrund, sondern eine bevölkerungsmedizinische Schwerpunktsetzung. Zudem bearbeitet man sogenannte hoheitliche Aufgabenstellungen, die vorwiegend durch das Öffentliche Recht (beispielsweise Infektionsschutzgesetz und Masernschutzgesetz) näher definiert werden.
Fachliche Voraussetzungen und Qualifikationen für eine amtsärztliche Laufbahn
Für eine amtsärztliche Tätigkeit ist eine Facharztqualifikation nicht zwingend erforderlich, jedoch wünschenswert. Nahezu alle Amtsärzt:innen müssen den etwa achtmonatigen Amtsarztkurs („Lehrgang zur Vorbereitung auf die Prüfung zum Erwerb der Qualifikation für den fachlichen Schwerpunkt Gesundheit in der Fachlaufbahn Gesundheit“) mit abschließender Amtsarztprüfung (vormals „Physikat“) absolvieren, sodass nach insgesamt fünfjähriger Weiterbildungszeit die Gebietsbezeichnung „Fachärztin/Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen“ erworben werden kann. Das Tätigkeitsprofil des amtsärztlichen Dienstes ist nicht wie bei anderen Facharztgruppen streng auf die jeweiligen fachspezifischen Kenntnisse und Erfahrungen begrenzt, sondern erfordert mehr den Generalisten als den Spezialisten.
Die medizinischen Aufgabengebiete eines Gesundheitsamtes lassen sich folgendermaßen umschreiben:
- Amtsärztlicher Dienst (Beispiel: Erstellung von Gutachten zur Dienstfähigkeit von Beamtinnen und Beamten)
- Kinder- und Jugendärztlicher Dienst (Beispiel: Schuleingangsuntersuchungen, Impfmaßnahmen)
- Gesundheitsberichterstattung und Epidemiologie (Beispiel: Erstellung von lokalen Gesundheitsberichten)
- Gesundheitsförderung und Prävention (Beispiel: Durchführung unterschiedlicher Präventionsprojekte)
- Aufgaben gemäß Infektionsschutzgesetz (Beispiel: Verhinderung der Ausbreitung übertragbarer Krankheiten, Masernschutzgesetz, COVID 19- Pandemie)
- Hygieneüberwachung (Beispiel: Belehrungen zum sogenannten „Lebensmittelzeugnis“, Hygienebegehungen in Kliniken und Heimen)
- Umweltmedizin (Beispiel: Erstellung von Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Bauvorhaben der Öffentlichen Hand)
- Sozialpsychiatrischer Dienst (Beispiel: Begutachtungen bei Unterbringungen nach dem Unterbringungsgesetz bei Eigen- und Fremdgefährdung)
- Amtsärztliche Überprüfungen von Gesundheitsberufen (Beispiel: Durchführung von sogenannten „Heilpraktikerprüfungen“)
Idealtypische Tätigkeitscharakteristika
Abgesehen von lokalen Rahmenarbeitszeitregelungen, die sich von Gesundheitsamt zu Gesundheitsamt unterscheiden können, beläuft sich die tägliche Regelarbeitszeit bei einer Vollzeittätigkeit auf insgesamt etwa acht Stunden pro Arbeitstag. Wochenend-, Nacht- und Feiertagsdienste werden nur in unregelmäßigen Zeitabständen oder in Ausnahmefällen bei erhöhtem Arbeitsanfall – wie beispielsweise während der gegenwärtigen COVID19-Pandemie notwendig und auch erwartet. In der Gesamtsicht lässt sich aber die sogenannte Arbeitsdichte nicht mit der ärztlichen Tätigkeit in Praxis oder Klinik vergleichen. Dies liegt vor allem daran, dass der Zeitablauf zur Bearbeitung der verschiedensten Aufgaben im Routinebetrieb weitestgehend planbar ist, da für definierte Aufgabenstellungen Termine über den ganzen Arbeitstag verteilt werden können. Nur in Ausnahmefällen muss man – etwa bei der Anforderung einer amtsärztlichen Stellungnahme zur Unterbringung in einer psychiatrischen Fachabteilung – kurzfristig vom Gesundheitsamt abkömmlich sein, um notwendige Außendiensttermine wahrnehmen zu können.
Da an einem Gesundheitsamt unterschiedliche Berufsgruppen (Sozialpädagogen, Hygienekontrolleure, Fachkräfte für Sozialmedizin, Verwaltungskräfte) arbeiten, werden meisten aus Abstimmungsgründen entweder bereits zu Arbeitsbeginn oder am späten Vormittag Abstimmungsgespräche und Besprechungen erforderlich. An Gesundheitsämtern mit einem eher kleineren, örtlichen Zuständigkeitsbereich sind in der Regel mindestens zwei amtsärztliche Mitarbeitende für alle Aufgabenbereiche vor Ort zuständig. An größeren Gesundheitsämtern arbeiten mehr Mitarbeitende des amtsärztlichen Dienstes, wobei dort in der Regel eine Schwerpunktsetzung bei den amtsärztlichen Aufgaben besteht.
Besonderheiten der amtsärztlichen Praxis in einem Gesundheitsamt
Grundsätzlich sollte man sich von vornherein im Klaren sein, dass man in eine Behörde und damit in einen Verwaltungsapparat mit seinen Stärken und Schwächen eingebunden ist. Dies hat für die tagtägliche Arbeit zur Folge, dass manche Aufgaben sehr formalistisch abzuarbeiten sind und dabei auch der sogenannte Dienstweg einzuhalten ist. Diese Begleitumstände mögen vornehmlich zu Beginn einer Tätigkeit an einem Gesundheitsamt manche Anpassungsfähigkeit und ein Umdenken erfordern. Zudem mag für Ärztinnen und Ärzte mit vormaligen Tätigkeiten in der unmittelbaren Patientenversorgung die mentale Umstellung weg von der patientenorientierten Medizin hin zu einer vermeintlichen „Verwaltungsmedizin“ eine persönliche Herausforderung sein. Wenn man jedoch seinen individuellen Zugang zu dieser „Art von Medizin“ gefunden hat, warten durchaus interessante Aufgabenfelder. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zur Klinik und Praxis ist die Einbindung des amtsärztlichen Dienstes in gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse mit fachlicher Beratungsarbeit für unterschiedliche Entscheidungsträger innerhalb des Zuständigkeitsgebietes einer Stadt oder eines Landkreises. Beispielsweise wird man im Rahmen von öffentlichen Bauvorhaben mit der Erstellung von sogenannten Umweltverträglichkeitsprüfungen als umweltmedizinischer Sachverständiger mit einbezogen. Aber auch Beratungstätigkeiten bei lokalen Präventivmaßnahmen und Projekten der Gesundheitsförderung wird der Amtsärztliche Dienst eines Gesundheitsamtes nicht nur in medizinischer Hinsicht, sondern auch mitunter in Haushaltsfragen und personalwirtschaftliche Entscheidungen beratend tätig.
Wie mittlerweile hinlänglich bekannt sein dürfte, ist das Einkommensniveau von Ärztinnen und Ärzten an einem Gesundheitsamt deutlich niedriger als in Praxis und Klinik. Es bestehen aber Möglichkeiten, diese Einkommensdefizite durch genehmigte Nebentätigkeiten, die im Allgemeinen großzügig gewährt werden, zufriedenstellend zu kompensieren. Zudem werden Fortbildungsveranstaltungen grundsätzlich sehr großzügig vom Dienstherrn unter Freistellung von der Arbeit und Weiterzahlung des Lohnes großzügig bewilligt, was jede Ärztin und jeder Arzt nach einer Praxis- oder Kliniktätigkeit sicherlich zu schätzen weiß.
Fazit
Je nach individuellen Neigungen kann die amtsärztliche Tätigkeit an einem Gesundheitsamt durchaus eine Alternative zu anderen medizinischen Betätigungsfeldern sein, zumal der gegenwärtige Öffentliche Gesundheitsdienst durch eine Vielzahl aktueller bevölkerungsmedizinischer Herausforderungen als ein durchaus innovatives Betätigungsfeld mit persönlichen und institutionellen Entwicklungspotential bezeichnet werden kann.
Priv.-Doz. Dr. Dr. Dr. habil. Heribert Stich
1984-1990. Studium der Humanmedizin an der LMU München
1993: Promotion zum Dr. med. an der LMU München
1996: Anerkennung als Facharzt für Allgemeinmedizin
1997: Eintritt in den Öffentlichen Gesundheitsdienst des Freistaates Bayern
2000: Anerkennung als Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen
2003 Master of Public Heath (MPH) an der Universität Bielefeld
2009: Promotion zum Dr. PH an der Universität Bielefeld
2011: Leitung des Gesundheitsamtes Erding
2018: Leitung des Gesundheitsamtes Landshut
2018: Habilitation für das Fachgebiet „Gesundheitswissenschaften-Public Health“ an der Medizinischen Fakultät der LMU München (Dr.habil.)
2019: Ernennung zum Privatdozenten an der LMU München
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