Ihr wisst nicht genau welche Facharztausbildung für euch die richtige ist? Ihr möchtet euch nicht direkt auf ein Fachgebiet spezialisieren und möchtet nah an der Bevölkerung arbeiten? Dann ist der ÖGD genau das Richtige für euch. Was in dieser Sparte genau auf euch zu kommt und wie es personell aber auch arbeitstechnisch aussieht, berichtet Frau Dr. Eva Bielecki, Amtsärztin des Gesundheitsamtes Steglitz-Zehlendorf.
Wie sieht aktuell Ihr Tagesablauf aus und wie unterscheidet sich dieser von der Zeit vor der Pandemie?
Durch die Aufgaben im Rahmen der Pandemiebekämpfung war es im Gesundheitsamt nötig, neue Bereiche und Strukturen zu bilden. Es gibt zum Beispiel jetzt drei verschiedene Ermittlungsteams für Schulen/Kitas, Privatpersonen und medizinische Einrichtungen. Außerdem gibt es einen Bereich Quarantänebetreuung, eine Hotline, eine E-Mail-Beantwortungsstelle und eine Zentrale, die Priorisierungs- und Verteilaufgaben wahrnimmt. In allen Bereichen arbeiten sowohl neu eingestelltes, externes Personal als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Gesundheitsamt, die sonst komplett andere Aufgaben durchgeführt haben, beispielsweise Ärztinnen aus dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst oder Therapeutinnen, die sonst in Förderzentren gearbeitet haben.
Ich schildere Ihnen kurz meinen Ablauf als Amtsleitung im Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf, Berlin.
- Der Tag startet mit einer kurzen Besprechung mit Amtsleitung, Hygieneleitung und Vertreter:innen der Ermittlungs- und Quarantänebereiche. Es wird kurz darüber gesprochen, wie sich die Fallzahlen entwickeln, ob es neue Empfehlungen des RKI oder auf Landesebene gibt und ob dadurch Abläufe in den einzelnen Bereichen angepasst werden müssen.
- Danach gibt es je nach Wochentag weitere Besprechungstermine, meistens per Video oder Telefon, beispielsweise mit der Schulaufsicht, der Bezirksstadträtin, dem bezirklichen Krisenstab und dem Krisenstab im Gesundheitsamt. Es finden auch regelmäßige und anlassbezogene Telefonkonferenzen mit den Krankenhaus-Hygienebereichen statt.
- Außerdem gibt es einmal pro Woche eine Abstimmung zwischen allen Berliner Amtsärztinnen und Amtsärzten aus den zwölf Bezirken und eine Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege, Gleichstellung.
- Einmal pro Woche findet eine Abstimmung mit dem Personalbereich statt, da im Bereich Corona-Team immer wieder besprochen werden muss, wer aufhört, wer neu anfängt, ob noch weiteres Personal nötig ist und wie die Dienstpläne für die nächsten Wochen aussehen.
- Bei Bedarf (meist spontan) erfolgen vor Ort Begehungen in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und Gemeinschaftseinrichtungen, an denen ich als Amtsleitung je nach personeller Besetzung auch selber teilnehme.
- Es sind deutlich mehr Anfragen aus dem politischen Bereich geworden (Abgeordnetenhaus, Senatsverwaltung, Bezirkspolitik), die schriftlich beantwortet werden müssen, teilweise mit sehr kurzen Terminfristen.
- Gespräche mit den Dienststellenleitungen der einzelnen Bereiche des Gesundheitsamtes finden statt um abzustimmen, wie die anderen Aufgaben abseits der Corona-Pandemie erledigt werden können und trotzdem Unterstützung im Pandemie-Team möglich ist. Leider mussten viele Aufgaben, die das Gesundheitsamt originär zu erfüllen hat, wie zum Beispiel die sozialpsychiatrische und kinder- und jugendpsychiatrische Betreuung im Bezirk, das Durchführen von Schuleingangsuntersuchungen, das Durchführen von Ersthausbesuchen durch Sozialpädagog:innen in Familien nach der Geburt eines Kindes, zahnmedizinischen Reihenuntersuchungen und noch vieles mehr, reduziert werden, da einerseits aus hygienischen und räumlichen Gründen die Abstände bei Terminen vergrößert werden mussten, aber auch das Personal aus diesen Bereichen im Pandemie-Team mithilft. Es ist nicht möglich, extern so viel und vor allem fachlich geeignetes Personal zu finden, dass alle Pandemie-Aufgaben durch diese Personen durchgeführt werden können.
- Dadurch dass wir ein Gesundheitsamt sind, was auf verschiedene Arbeitsorte und Gebäude verteilt ist, sind auch immer mal wieder „Besuche“ in anderen Dienstgebäuden auf dem Plan.
- Viele ungeplante spontane Termine zu Abstimmung, wenn spontan Abläufe, Formulare, Computersysteme anzupassen sind.
- Im Vergleich zu Zeiten vor der Pandemie finden deutlich mehr Abstimmungsgespräche statt, es muss viel spontaner und flexibler gehandelt werden. Geplante Routinetermine, wie beispielsweise mehrtägige Krankenhausbegehungen finden derzeit gar nicht statt. Leider können auch nicht alle Termine zu „Nicht-Corona-Themen“, die nach und nach wieder mehr stattfinden, zum Beispiel zum Thema psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen von mir als Amtsleitung begleitet werden, was vor der Pandemie möglich war. Aber es gibt gute Abstimmungsprozesse mit den Fachbereichsleitungen, die dies übernehmen.
Gesundheitsämter sind in der aktuellen Lage Hoffnungsträger und Nadelöhr zugleich. Wie fühlt sich die öffentliche Diskussion über die Arbeit der Gesundheitsämter für Sie, die Innenansichten hat, an?
Ich finde es sehr schön, dass mehr über die Arbeit der Gesundheitsämter in der Öffentlichkeit berichtet wird, weil dadurch deutlich wird, wie vielfältig und interessant die Aufgaben dort sind. Es ist etwas problematisch, dass momentan hauptsächlich über den Bereich Hygiene und Infektionsschutz berichtet wird und damit die vielen anderen Bereiche, für die der öffentliche Gesundheitsdienst zuständig ist, nicht beachtet werden. Ein sehr wichtiger und auch großer Bereich ist nämlich die Prävention und Gesundheitsförderung sowohl für Kinder- und Jugendliche als auch für Erwachsene.
Was bei vielen Berichterstattungen auch zu kurz kommt: Es ist toll und wir freuen uns sehr über die personelle Unterstützung durch RKI-Containment Scouts, externes Personal, was unter anderem oft auch aus dem Kulturbereich kommt, und auch die Hilfe durch die Bundeswehr. Aber es wird oft vergessen, dass diese Personen alle aus anderen Bereichen kommen und fachlich kompetente Ansprechpartner:innen zur Einarbeitung und bei Rückfragen benötigen. Auch bestimmte komplexe Ermittlungstätigkeiten, zum Beispiel in Einrichtungen für pflegebedürftige oder behinderte Menschen können nur von Fachpersonal aus dem Gesundheitsamt durchgeführt werden. Daher ist trotz aller personeller Unterstützung immer noch sehr viel Personal aus dem Gesundheitsamt im Rahmen der Pandemieaufgaben eingesetzt und kann leider die wichtigen oben angesprochenen originären Aufgaben der Gesundheitsämter nicht oder nur deutlich reduziert durchführen.
Der ÖGD hat ein vielfältiges Aufgabenspektrum. Können Sie unseren Leser:innen erklären, wie Ihr Gesundheitsamt personell aufgestellt ist: Für wie viele Menschen sind Sie verantwortlich, wie viele Mitarbeiter:innen haben Sie und wie viele davon sind Ärzt:innen? Wie ist unter dem Druck der Pandemie und der öffentlichen Erwartung Ihre gemeinsame Arbeitskultur?
In Berlin gibt es eine bezirkliche Struktur bezüglich der Gesundheitsämter. Wir sind als Gesundheitsamt für den Bezirk Steglitz-Zehlendorf zuständig, also für derzeit circa 310.000 Einwohner:innen.
Die Struktur der Berliner Gesundheitsämter ist einheitlich in allen Bezirken. Es gibt drei große Fachbereiche:
- Fachbereich Gesundheitshilfe und -förderung für Kinder und Jugendliche: Hierzu gehören die Abteilungen Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst, der zahnärztliche Dienst, der therapeutische Bereich und eine logopädische Beratungsstelle.
- Fachbereich Gesundheitshilfe und -förderung für Erwachsene: Hierzu gehören der sozialpsychiatrische Dienst und die Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung, Krebs- und AIDS-Kranke
- Fachbereich Gesundheitsschutz und –aufsicht, dies ist vor allem der Bereich Hygiene und Infektionsschutz
Außerdem gibt es in einzelnen Bezirken besondere Zentren, die berlinweit Aufgaben übernehmen. Dazu gehört im Bezirk Steglitz-Zehlendorf das Zentrum für Familienplanung mit dem Schwerpunkt der Betreuung von Schwangeren zum Beispiel ohne Versicherungsschutz aber auch vielen weiteren Beratungsangeboten zum Thema Familienplanung, Sexualität und Partnerschaft.
Das GA Steglitz-Zehlendorf hat derzeit circa 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen: beispielsweise Gesundheitsaufseher:innen im Hygienebereich, Medizinische und zahnmedizinische Fachangestellte, Therapeut:innen, Sozialarbeiter:innen und Sozialpädagog:innen, Psycholog:innen, eine Familienhebamme, Verwaltungsangestellte. Ärztinnen und Ärzte sind davon derzeit „nur“ circa 30.
Es hat sich im Rahmen der Pandemie gezeigt, dass eine sehr gute Zusammenarbeit und Kooperation zwischen den Fachbereichen besteht. Es war und ist viel Hilfsbereitschaft untereinander da und es arbeiten durch die veränderten Strukturen Kolleginnen und Kollegen aus verschiedensten Bereichen zusammen, die sich vorher kaum kannten. Es ist denke ich mehr ein „Gemeinschaftsgefühl“ im Gesundheitsamt entstanden und wird weniger in einzelnen Fachbereichen gedacht.
Warum haben Sie persönlich sich dazu entschieden, im ÖGD zu arbeiten? Was macht den Reiz und die Freude an Ihrer Arbeit aus?
Ich habe mich entschieden, im öffentlichen Gesundheitsdienst zu arbeiten, weil ich die Idee der Prävention toll finde. Die Bemühungen, möglichst durch frühzeitige Interventionen bleibende Probleme, Entwicklungsstörungen und vieles mehr zu verhindern, begeistern mich. Da ich selbst aus dem Bereich der Kinderheilkunde komme möchte ich hier insbesondere frühzeitige Förderung von Kindern in Kitas und Schulen nennen. Ein sehr wichtiges Themengebiet ist hier die Sprachförderung bei mehrsprachigen Kindern. Oder das Thema der Ersthausbesuche in Familien nach der Geburt von Kindern, in denen den Eltern Informationen, Ansprechpartner:innen und Hilfestellungen genannt werden, falls es im weiteren Verlauf zu Fragen und Problemen kommt. Auch den Bereich der sozialkompensatorischen und subsidiären Aufgaben des ÖGD möchte ich hervorheben. Es können zum Beispiel durch niedrigschwellige Angebote und aufsuchende Arbeit auch Personengruppen erreicht werden, die Probleme haben im „normalen Regelsystem“ anzukommen.
Ich habe vor allem durch mein Masterstudium Public Health, was ich an der Charite hier in Berlin absolviert habe, diesen Bereich erst kennengelernt und erfahren, wie vielfältig die Aufgaben hierbei sind. Ich habe als Kinderärztin im Bereich Kinder- und Jugendgesundheitsdienst im Gesundheitsamt angefangen und zunächst hauptsächlich Einschulungsuntersuchungen und Kita-Reihenuntersuchungen durchgeführt. Im Rahmen der Facharztausbildung für öffentliches Gesundheitswesen habe ich dann verschiedene andere Bereiche des Gesundheitsamtes kennengelernt und dort gearbeitet. Insbesondere der Bereich Infektionsschutz und Hygiene hat mich hierbei besonders begeistert und interessiert und mit diesem Bereich ist auch als Amtsleitung die Zusammenarbeit noch besonders eng.
Was würden Sie jungen Ärzt:innen raten, die sich für den ÖGD interessieren: Sollte man eine Weiterbildung zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen absolvieren oder erst eine andere fachärztliche Weiterbildung und dann später in den ÖGD wechseln?
Bei uns im Gesundheitsamt ist die Weiterbildung zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen möglich. Aus meiner Sicht ist vorher nicht unbedingt eine komplette Facharztausbildung nötig, um in den öffentlichen Gesundheitsdienst einzusteigen. Aber für die Facharztweiterbildung ÖGD sind 36 Monate in den Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung, davon 6 Monate im Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie vorgeschrieben. Es ist also nötig, und aus meiner Sicht auch durchaus sinnvoll, eine Weile in der direkten Patientenversorgung gearbeitet zu haben, um auch den Bereich der Akutversorgung zu kennen. Dies hilft beispielsweise bei der Begehung von Krankenhäusern und Arztpraxen sehr, um Arbeitsabläufe nachvollziehen zu können. In den Bereichen Gynäkologie, Psychiatrie, Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeiten bei uns im Gesundheitsamt fast nur Fachärztinnen und Fachärzte, da in diesen Bereichen ein breites klinisches Hintergrundwissen nötig ist.
Wie ist die Personalsituation in Ihrem Gesundheitsamt: Könnten Sie auf absehbare Zeit junge Ärzt:innen gebrauchen, die mit Ihnen zusammenarbeiten möchten?
Es werden immer wieder neue Kolleginnen und Kollegen in den einzelnen Bereichen gesucht, da einerseits durch die Altersstruktur im ÖGD in den nächsten Jahren einige Kolleg:innen in den Ruhestand gehen werden und wir außerdem durch den Pakt für den ÖGD das große Glück haben, weiteres – auch ärztliches – Personal für die Gesundheitsämter einstellen zu können. Wobei zur zukünftigen Personalgewinnung und auch zum Halten des ärztlichen Personals das sehr spannende Arbeitsgebiet und die geregelten Arbeitszeiten als Motivation nicht ausreichend sind. Das Problem der Vergütung und der Vergleichbarkeit mit anderen Bereichen (neben Kliniken und Praxen zum Beispiel auch der MDK) muss aus meiner Sicht langfristig geklärt werden. Derzeit gibt es ein unübersichtliches Feld von unterschiedlich hohen Prämienzahlungen, Sonderarbeitsverträgen, Vorweggewährung von Stufen in den einzelnen Bundesländern. Dies ließe sich meiner Meinung nach nur durch einen eigenen Tarifvertrag für Ärzt:innen im ÖGD lösen, in dem auch die Übernahme von Verantwortung beispielsweise als Fachbereichsleitung, adäquat vergütet wird.
Ich habe in München an der LMU Medizin studiert und dann meine Facharztausbildung für Kinder- und Jugendmedizin in Heilbronn und Berlin absolviert. Danach habe ich das Masterstudium Public Health an der Charite abgeschlossen und für ca. 4 Jahre im gesundheitspolitischen Bereich bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft gearbeitet. Seit 2016 bin ich im Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf tätig und habe dort im Oktober 2019 (zunächst für 5 Monate im Wissenstransfer) die Amtsleitung übernommen. Den Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen habe ich im Oktober 2019 mit der Facharztprüfung abgeschlossen.
Dr. Eva Bielecki, MPH
Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen und Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
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