Schauen Sie bereits im Medizinstudium über den Tellerrand! Denn zuerst ist die Frage zu beantworten, in welcher Fachdisziplin die Weiterbildung angestrebt werden soll. Auch wenn vielleicht die Fachdisziplin absehbar ist, zum Beispiel um später die Praxis von den Eltern zu übernehmen, sollten im Studium über Praktika, Famulaturen, Wahlfächer, das Praktische Jahr oder die Doktorarbeit möglichst breit Einblicke in viele, dem Wunschfach naheliegende Fachdisziplinen geworfen werden. Hat die Weiterbildungszeit begonnen, werden häufig die geforderten Inhalte „abgearbeitet“ und Einblicke in andere medizinische Bereiche sind kaum noch möglich.
Ich selbst habe im Studium zuerst an die Pädiatrie gedacht, viele Praktika dort absolviert und dann die Neurologie favorisiert inklusive einem Tertial im Praktischen Jahr. In der Doktorarbeit ging es um Endosonographie in der Chirurgie. Entschieden habe ich mich dann schließlich für die Innere Medizin an einem Universitätsklinikum. Forschungstätigkeiten im Ultraschall führten zur Habilitation. Das war eine tolle Zeit. Als die Aufgaben als Oberarzt mit der Zeit überhandnahmen und privat sich die Familie vergrößerte, stellte sich die Zukunftsfrage. Da ehemalige Kollegen positiv über die Arbeitsmedizin berichteten, hospitierte ich bei einem überbetrieblichen Dienst vor Ort. Das angenehme Arbeitsklima und ein aufgeschlossener Vorgesetzter erleichterten den Wechsel. Es gab eine Einarbeitungszeit und immer wieder Weiterbildungstreffen. Die Arbeitsmedizin ist wie eine Praxistätigkeit ohne Nacht- und Wochenenddienste. Es ist sehr bereichernd, über die arbeitsmedizinische Beratung gesundheitspräventive Lösungen zu finden und individuell für einzelne Beschäftigte und spezifisch für unterschiedliche Betriebe Empfehlungen auszusprechen. Insgesamt sind Weiterbildungswege also nicht immer linear, wobei sich viele medizinische Erfahrungen im Verlauf positiv in die Vita integrieren lassen (z.B. als Werksarzt ist ein „klassischer“ Facharzt ohnehin „Pflicht“). Außerdem sind für das Gebiet „Arbeitsmedizin“ oder der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ mindestens 24 Monate in der unmittelbaren Patientenversorgung notwendig. Nach Entscheidung für ein Fach oder nach einer längeren Arbeitspause werden die nächsten Antworten auf die Frage gesucht: Wie gelingt der (Wieder-)Ein-stieg? Die Punkte sind als Vorschläge zu sehen und individuell an die Bedürfnisse und Begebenheiten anzupassen.
Vor der Zusage oder Unterschrift zu einer Weiterbildungsstelle
Durchstarten oder Pause? Nach dem Examensstress kann sich gleich direkt ins Weiterbildungsabenteuer gestürzt werden. Alternativ kann eine Pause mit Freizeit, Urlaub oder der Suche nach einer passenden Weiterbildungsstelle eingeschoben werden. In jedem Fall ist es sinnvoll, sich auf das Weiterbildungsfach einzustellen und entsprechende Inhalte zu vertiefen (häufigste Erkrankungen, Medikamente, diagnostische Maßnahmen oder etwa in der Arbeitsmedizin gesetzliche Grundlagen).
Ort der Weiterbildung: Die Weiterbildung beginnt häufig an einem Krankenhaus. An einem Universitätsklinikum kann neben oder zusätzlich zur Weiterbildungszeit geforscht werden, der Spezialisierungsgrad ist hoch. Letzteres kann durchaus auch für ein großes Schwerpunktkrankenhaus gelten. In kleineren Häusern erwartet Sie eine meist familiäre Atmosphäre und sicherlich auch nicht minder viel Arbeit. In Praxen ist die Kontaktzahl von Patienten:innen hoch, das Spektrum der Erkrankungen verschiebt sich etwas und Nachtdienste entfallen. Verläufe können im ambulanten Bereich besser verfolgt werden. Es sei angemerkt, dass an einem Universitätsklinikum Forschungstätigkeiten sehr er-wünscht, teils gefordert werden. Jedoch sind auch engagierte, breit aufgestellte „Praktiker“ zur erfolgreichen Bewältigung des Alltages notwendig.
Weiterbildungsermächtigung: Liegt in der Einrichtung eine Weiterbildungsbefugnis vor? Für welches Fach genau und für wie viel Weiterbildungszeit? Können Sie alle wichtigen Inhalte (kennen-)lernen, oder zumindest die, die für Sie interessant und wichtig sind?
Bewerbungsgespräch: Wie sind die Arbeitszeiten organisiert? Welche Forschungstätigkeiten werden erwartet? Wie verläuft die Einarbeitung? Die Weiterbildung? Gibt es einen Weiterbildungsplan? Wer ist tatsächlich in der Abteilung dafür zuständig? Gibt es eine:n Mentor:in? Gibt es regelmäßige Weiterbildungstreffen? Gibt es Lehrmaterial oder internetbasierte Ressourcen? Welche Fortbildungsmöglichkeiten?
Einblick in die Abteilung: Nach den ein oder anderen blumigen Aussagen in einem Bewerbungsgespräch können Tageshospitationen/-Praktika Einblicke ins bestehende Team und hinter die Kulissen geben. Würden Sie sich im Team wohlfühlen? Wie ist die Arbeit organisiert (Schichtzeiten)? Wie werden Neueinsteiger:innen eingearbeitet?
Vertrag: Die Vertragsgestaltung ist zwar meist standardisiert und als Beginner:in die Ausgangslage zu individuellen Verhandlungen scheinbar ungünstig, jedoch können einzelne Punkte z.B. Umgang mit Überstunden (Freizeitausgleich oder Bezahlung?), Einsatzort bei Klinikverbünden, Anzahl der Fortbildungstage oder Möglichkeit zu Rotationen besprochen und dann auch schriftlich im Vertrag ergänzt und festgehalten werden (!). Die Gehaltshöhe im Assistenzarztbereich orientiert sich regelhaft an einem Tarif (Zusatzentlohnung möglich?). Spätestens nach dem Facharzt ist das Gehaltspaket verhandelbar – in der Praxis oder Krankenhaus, als Facharzt oder Oberarzt, in der Arbeitsmedizin als Werksarzt oder im überbetrieblichen Dienst.
Weiterbildungskurse: In bestimmten Fachgebieten sind zur Erlangung der Facharztbezeichnung bestimmte Kurse oder Inhalte unabdingbar: z.B. Theoriestunden und Balintgruppen u.a. in der Allgemeinmedizin, die Neurologierotation in der Psychiatrie oder Weiterbildungskurse in der Arbeitsmedizin. Planen Sie diese in Rücksprache frühzeitig in Ihre Weiterbildungszeit ein.
Nach der Zusage oder Unterschrift zu einer Weiterbildungsstelle
Weiterbildungsplan: In der Regel gibt es vom Weiterbilder einen Weiterbildungsplan, der mal mehr, mal weniger praktisch und konkret umgesetzt wird. Fordern Sie dennoch konkrete Angaben mindestens über das nächste Halbjahr ein, um sich darauf vorzubereiten oder Urlaub sicher zu planen. Das Weiterbildungs-Logbuch sollte regelmäßig (spätestens jährlich) aktualisiert und unterschrieben werden – häufig geschieht dies erst komplett am Ende der Weiterbildungszeit.
Ein-/Unterweisung: Der Arbeitgeber, meist vertreten durch Ihren Chef oder Oberarzt der Abteilung ist verpflichtet, sie einzuweisen beziehungsweise zu unterweisen (Erste Hilfe, Brandschutz, Notfallausgänge und so weiter). Ebenso ist ein Termin für eine Einstellungsuntersuchung beziehungsweise gesetzlich vorgegebene Vorsorgeberatung notwendig (Frage nach wesentlichen Impfungen).
Vorstellung: Planen Sie unbedingt Zeit ein, sich in der ersten Woche in der Abteilung und den zugehörigen Funktionseinheiten vorzustellen. Dabei lernen Sie Kollegen:innen, Pflegekräfte und Assistenz sowie Räumlichkeiten kennen. Stellen Sie sich lieber bei einer Person zu viel, als bei einer zu wenig vor. Generell ist jeder Beschäftigte, egal in welcher Funktion, sehr dankbar, wenn er/sie mit Freundlichkeit und Respekt behandelt wird. Erkundigen Sie sich nach den Assistentensprechern und ob es gegebenenfalls einen Assistentenstammtisch oder ähnlich gibt. Hier kann man Tipps bekommen oder auch Problemfelder diskutieren. Machen Sie sich ebenfalls mit Abläufen im Falle eines lebensbedrohlichen Notfalls zum Beispiel auf Station vertraut!
Notizen: Am Anfang werden Sie wahrscheinlich von den spezifischen Abläufen einer Abteilung „erschlagen“ sein. Aktualisierte Abteilungs-Leitfäden können hilfreich sein. In einem kleinen Notizbuch (Smartphone erlaubt?) kann Wichtiges notiert werden: Verwendete Medikamente, Passwörter, Telefonnummern, Namen von Kollegen:innen von Nachbarabteilungen, zu klärende Fragen und so weiter.
Mentor:in/Weiterbildungsgespräche: Bestenfalls ist der/die Weiterbildungsbefugte direkte/r Ansprechpartner:in in allen Fragen bezüglich der Weiterbildung, häufig wird diese Aufgabe delegiert. Gegebenenfalls kann zusätzlich die Wahl eines Mentors die Weiterbildung begleiten, der/die unabhängig vom aktuellen Arbeitsbereich ansprechbar ist. Auch kann es hilfreich sein, fest Weiterbildungsgespräche anzusetzen (Stand der Weiterbildung und Klärung von Fragen). In manchen Weiterbildungskurrikula sind (jährliche) Weiterbildungsgespräche Pflicht. Bitten Sie auf jeden Fall um ein Feedbackgespräch zum Einstieg nach zwei bis drei Monaten .
Konfliktbewältigung: Durch verschiedene Ansprechpartner (Chef:in, Ober-arzt:in, Mentor:in) sollten Probleme bottom-up im Vieraugengespräch angesprochen und gelöst werden. Manchmal lassen sich Abläufe für alle Beteiligten dadurch verbessern. Grenzen Sie diskutable Themen von strukturellen, nicht veränderbaren Problemen ab. Als ultima ratio kann gekündigt und eine neue Stelle gesucht werden (Achtung: Weiterbildungsmindestzeiten beachten – meist sechs Monate, manchmal drei Monate).
Sonstiges: Es kann hilfreich sein, sich vor oder zum Beginn der Weiterbildung über die Vertretungen/Fachverbände des jeweiligen Faches im wissenschaftlichen und klinischen Bereich zu informieren. Häufig bieten diese oder deren Nachwuchsgruppen Seminare zum Einstieg oder zu bestimmten wichtigen Fähigkeiten an. Zum Teil gibt es auch Mentoringprogramme, wie etwa von der DGAUM (Deutsche Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin; Infos unter dgaum.de/themen/arbeitsgruppen/), in denen erfahrene Kollegen aus verschiedenen Bereichen unabhängig (und außerhalb der eigenen Klinik) beraten und unterstützen können. Viel Erfolg und Freude beim (Wieder-) Einstieg!
Autor PD Dr. med. Rüdiger Görtz ist Facharzt für Arbeitsmedizin sowie Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie im Gesundheitszentrum Erlangen.