Das oftmals bessere Gehalt im Krankenhaus und die Aufstiegschancen sind – so die öffentliche Wahrnehmung – für viele Ärzt:innen entscheidend, sich für eine Krankenhauskarriere zu entscheiden und gegen den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Mit dem Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst sollen neben Investitionen in die Infrastruktur auch viele neue Stellen geschaffen und die Attraktivität des ÖGDs gestärkt werden. An welcher Stelle des „Paktes“ befindet man sich gerade und warum sollten junge Mediziner:innen sich intensiver als bisher mit den Möglichkeiten in den Gesundheitsämtern beschäftigen?
Langweilige Arbeit und schlechter Lohn – mit solchen Vorurteilen hat der Öffentliche Gesundheitsdienst, kurz ÖGD, nur bei denen zu kämpfen, die sich nur sehr oberflächlich mit den Aufgaben der Gesundheitsämtern befassen. Langweilig ist die Arbeit sicherlich nicht, versichert Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärzt:innen des Öffentliches Gesundheitswesens. Mit einer Arbeit im Krankenhaus werden jedoch ein besserer Lohn, eine gute Facharztausbildung und Aufstiegschancen zum Chefarzt assoziiert. Viele (junge) Ärzt:innen entscheiden sich infolgedessen für eine Krankenhauskarriere. Zahlreiche Stellen im ÖGD bleiben folglich unbesetzt. „Richtige Personalverstärkung kann nur in Kombination mit attraktiver Bezahlung gelingen“, unterstreicht Teichert.
Mittel für personelle Verstärkung
Mit dem von der Bundesregierung initiierten ÖGD-Pakt soll daher eine Verbesserung der Situation im Öffentlichen Gesundheitswesen erreicht werden, die neben den Investitionen in die teils veraltete Technik auch eine verbesserte Personalsituation zum Ziel hat. Gesundheitsministerinnen und -minister von Bund und Länder einigten sich am 29. September 2020 auf diesen Pakt im Angesicht einer Pandemie, welche die Bedeutung des ÖGD so deutlich wie nie zeigte.
Ziele und Inhalte des ÖGD-Paktes
Für den ÖGD-Pakt wird ein Finanzvolumen im Wert von rund vier Milliarden Euro kalkuliert. In Hinblick auf die Personalsituation heißt es: „Die Länder tragen in einem ersten Schritt dafür Sorge, dass im Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. Dezember 2021 mindestens 1.500 neue, unbefristete Vollzeitstellen (Vollzeitäquivalente) für Ärztinnen und Ärzte, weiteres Fachpersonal sowie Verwaltungspersonal in den Behörden des Öffentlichen Gesundheitsdienstes geschaffen und besetzt werden, in einem weiteren Schritt werden bis Ende 2022 mindestens weitere 3.500 Vollzeitstellen (Vollzeitäquivalente) geschaffen”, verrät ein Ministeriumssprechner des Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. “„ie Ländermittel aus dem Pakt für den ÖGD in Höhe von 200 Millionen Euro für das Jahr 2021 werden in monatlichen Festbeträgen im Rahmen der vertikalen Umsatzsteuerverteilung ausgezahlt. Dabei werden die Mittel auf die Länder nach ihren jeweiligen Einwohneranteilen aufgeteilt”, so ein Sprecher des Bundesministeriums für Gesundheit. Entsprechende Vereinbarungen zum Personalaufbau in den kommunalen Gesundheitsämtern sind daher zwischen dem jeweiligen Land und den betroffenen Kommunen zu treffen.
Wie weit ist man heute?
Wie realisierbar ist dieses Vorhaben? “„ie Länder befinden sich noch in der Umsetzung der Vorgaben der ersten Tranche des Paktes für den ÖGD. Durch eine Erhebung mit dem Stichtag 31. Dezember 2021 soll der Personalaufwuchs gemessen werden”, vermeldet ein Sprecher des Bundesministerium für Gesundheit. Es bleibt also noch abzuwarten, ob die Stellen der Länder vollständig besetzt werden können. Im Plan sieht man sich in Bayern, wo ein Sprecher des Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege verrät: “Die Stellenbesetzung in 2021 erfolgt in Bayern bisher planmäßig, so dass mit keinen Problemen bei der Umsetzung der Paktvorgaben in diesem Jahr aus bayerischer Sicht gerechnet wird.” Ob in Bayern an diesen Erfolg im kommenden Jahr angeknüpft werden kann, bleibt jedoch noch abzuwarten: „Aktuell ist noch nicht abschließend geklärt, bis wann die ab 2022 zu schaffenden Stellen konkret zu besetzen sind”, so der Ministeriumssprecher.
Bis zum 31.12. sollen die Personalaufwachskonzepte der Bundesländer vorliegen
Das Bundesministerium für Gesundheit verspricht sich mehr Klarheit, wenn die Bundesländer zum 31. Dezember ihre jeweiligen Personalaufwuchskonzepte und -zielsetzungen in einem Bericht vorlegen: „Dadurch soll verdeutlicht werden, für welche Aufgaben im ÖGD befristete und unbefristete Stellen geschaffen werden sollen. Dies ermöglicht den Ländern und somit auch bundesweit eine bedarfsgerechte Stärkung des ÖGD.”
Dieser droht nämlich durch die Alterstruktur der Amtsärzteschaft weiter unter sich intensivierenden Personaldruck zu geraten.
Mehr Fachärzt:innen für Öffentliches Gesundheitswesen wären wünschenswert
Eine Imagekampagne für den ÖGD scheint überfällig, übersieht doch vor allem der Nachwuchs, mit welchen Vorteilen der ÖGD wuchern kann. Dazu zählen die „Vielfältigkeit der Aufgaben, die interprofessionelle Herangehensweise und Zusammenarbeit, die erforderliche Flexibilität und die sehr starken Auswirkungen des ärztlichen Handelns auf die Bevölkerungsgesundheit“, weiß Dr. Ute Teichert. Wer diese Vielfalt erfahren will, entscheidet sich für eine Weiterbildung zum oder zur Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen.
Der Weiterbildungskurs an der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen Düsseldorf umfasst sechs Module, die verschiedene Themenschwerpunkte umfassen. Teilnehmer:innen erwerben nicht nur medizinische Fachkenntnisse aus verschiedenen Fachbereichen wie Sozialmedizin, Sozialapädiatrie oder Umweltmedizin, sondern auch Schulungen im Bereich Verwaltungsrecht sowie eine Fortbildung in verschiedenen Bereichen der Organisation, des Managements und in Rechtsgrundlagen.
Vielfältigkeit und Mitgestaltungsmöglichkeiten
„Als Facharzt für das Öffentliche Gesundheitsamt muss man nicht zwangsläufig in einem Gesundheitsamt arbeiten“, betont Teichert. In Großstädten bestehen oftmals auch spezielle Angebote. In Frankfurt am Main besteht beispielsweise die Möglichkeit, sich beruflich bei der Humanitären Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung zu engagieren.
Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, die Aus-, Fort- oder Weiterbildung am ÖGD mitzugestalten. Die Arbeit beim ÖGD besticht durch Vielfalt, so besteht beispielsweise die Möglichkeit, im Bereich der Umweltmedizin oder des Infektionsschutzes, aber auch in der Kinder- und Jugendmedizin beschäftigt zu sein.
Gute Argumente für den ÖGD
Für Mediziner:innen, die sich soweit wie möglich von hierarchischen Strukturen distanzieren möchten, ist eine Tätigkeit beim ÖGD ebenfalls erstrebenswert. Im Vergleich dazu sei eine Karriere im Krankenhaus „häufig fremdbestimmt. Sei es vom Patientenaufkommen oder von hierarchischen Strukturen“, gibt Teichert zu bedenken. Der ÖGD bietet konträr dazu „eine Autonomie in der Planung und Strukturierung meiner Arbeitsabläufe“.
Hinzu kommt, dass beim ÖGD sämtliche Kenntnisse, die während der medizinischen Weiterbildung erworben werden, in der Regel auch zur Anwendung kommen, weil das Spektrum der Aufgaben so breit ist. Dabei ist nicht nur medizinisches Fachwissen, sondern auch das Verständnis um die Verwaltungsstrukturen und Management gefragt.
Ein weiterer Pluspunkt sind die geregelten Arbeitszeiten, von denen man allerdings während der Pandemie aktuell nicht sprechen kann. Dienste wie im Krankenhaus kennt man aber als Amtsärztin oder Amtsarzt nicht, wodurch insbesondere das Familienleben profitiert. Angestellte beim ÖGD können außerdem von speziellen kommunalen Angeboten profitieren – sei es die Kinderbetreuung oder die Nutzung von Wohnraum, der von der Gemeinde zur Verfügung gestellt werden. Auch die Möglichkeit eines Beamtenverhältnisses ist reizvoll.
Wer sich für eine medizinische Laufbahn im ÖGD entscheidet, leistet einen Beitrag für den Erhalt und die Verbesserung der Gesundheit der Bürger vor Ort, spürt also direkt die Wirksamkeit seines Handelns. Üblicherweise pflegt man als Arzt oder Ärztin ein bilaterales Verhältnis zu einzelnen Patient:innen, im Gesundheitsamt ist man dagegen für ganze Bevölkerungsgruppen verantwortlich.
Der ÖGD hat gute also Argumente, die für ihn als Arbeitsbereich sprechen. Wie aber genau überzeugt man mehr Mediziner:innen davon, sich mit einer Karriere als Amtsärztin oder Amtsarzt zu beschäftigen? Die Fokussierung alleine auf das Thema „Gehalt“ greift zu kurz und könnte sogar kontraproduktiv sein. Die Botschaft „bessere Entlohnung, dann kommen wir“ in das Zentrum der Diskussionen um die Beschäftigungsmöglichkeiten in den Gesundheitsämtern zu stellen, wäre ein falsches Signal.
Interessanterweise haben aktuelle Studien zu den generellen Karriereambitionen von Hochschulabsolventen aller Fachbereiche ergeben, dass der Staat als Arbeitgeber äußerst attraktiv ist. Man schätzt die Sicherheit, weiß um eine ausgeglichene Work-Life-Balance und hat in Zeiten des demografischen Wandels durchaus das Gefühl, dass Leitungsfunktionen in den kommenden Jahren neu besetzt werden müssen und sich dadurch ein interessanter Gestaltungsspielraum ergibt.
Gehalt alleine nicht entscheidend
Genau diesen Habitus einer Generation, die viel weniger materiell getriggert wird als vorherige Generationen sollten sich kommunale Arbeitgeber zunutze machen, wenn sie ihre Recruitingmaßnahmen überprüfen.
Der Rechtsanwalt und Mediator Sven Thanheiser sieht das Betriebsklima als deutlich wesentlicher für die Entscheidungsfindung über einen potentiellen Arbeitgeber als materielle Anreize: „Im Lichte der wachsenden Ansprü̈che gerade von Nachwuchskräften zeigt sich, dass Nachhaltigkeit, Flexibilität der Arbeitserbringung und das Arbeitsumfeld die deutlich wichtigeren Faktoren für die Attraktivität eines Arbeitsplatzes sind als kurzfristiger finanzieller Anreiz.
Die Sicherheit, dass kommunale Arbeitgeber eine Dauereinrichtung sind, liegt auf der Hand. Jedenfalls gilt dies für die Verwaltungen und soziale Einrichtungen.
Dass flexible Arbeitszeiten und Teilzeit heute zum Standard gehören sollten, hat sich mittlerweile herumgesprochen.
Der wesentliche Faktor ist jedoch das Gefühl, das Menschen mit ihrem Arbeitsplatz verbinden! Wer ungern zur Arbeit geht oder den ersten Eindruck vom potentiellen künftigen Arbeitgeber wie zum Beispiel Internetpräsenz oder erste persönliche Kontakte unattraktiv findet, wird sich für die Konkurrenz entscheiden.“
Der ÖGD muss raus aus der Nische
Genau an diesem Punkt sollten kommunale Arbeitgeber ihre Stärken ausspielen und einer Generation von Nachwuchsakademikern auf Augenhöhe begegnen, in dem sie Antworten auf die Fragen nach Sinnstiftung, Nachhaltigkeit und Selbstwirksamkeit liefern. Raus aus der Nische und den Gestaltungswillen der Nachwuchsmediziner:innen ansprechen – der ÖGD darf in der Ärzteschaft nicht nur mit Gehaltsdiskussionen assoziiert werden.
Eine wie von Mediator Sven Thanheiser geforderte einladende Internetpräsenz könnte der Anfang für eine solche Kommunikation sein. Warum nicht in Videostatements die amtsärztliche Leitung zu Wort kommen lassen, damit sich potentielle Kandidaten einen Eindruck davon machen können, mit wem sie es zu tun haben? Oder in Bewegtbildern zeigen, wie interessant das Aufgabenspektrum ist und wie hoch der Nutzen ist, den man den Bürgern vor Ort sehr konkret bringt?
Das kostet heute nicht mehr so viel, als das es ein Hinderungsgrund wäre, das eigene Image zeitgemäß ins rechte Licht zu rücken – verdient wäre es!
Warum die Arbeit im ÖGD lukrativ ist, erfahren Sie auch hier.