„Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes.“ So heißt es in § 1 Absatz 1 der Bundesärzteordnung. In diesem einen Satz werden alle Facetten des ärztlichen Berufsbildes widergespiegelt. Er zeigt aber auch das größte Problem der ärztlichen Ausbildung in Deutschland: Wenn der Arzt / die Ärztin der Gesundheit des gesamten Volkes dient, warum werden an den Universitäten dann nur kurative Individualmediziner:innen ausgebildet und keine präventiven Bevölkerungsmediziner:innen?
Ich hatte als Student sehr vielfältige Interessen und wusste deshalb nie, welche Facharztweiterbildung die richtige für mich sein könnte. Ich hätte mir damals gewünscht, dass mir jemand schon früher von der Bevölkerungsmedizin beziehungsweise dem öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) erzählt hätte. Dadurch hätte ich gewusst, dass man neben der Klinik, Arztpraxis oder experimentellen Forschung auch in anderen Institutionen und Behörden arbeiten kann. Das ärztliche Berufsbild an meiner Alma Mater war sehr konservativ. Da war leider kein Platz für die die gesamte Spannbreite der ärztlichen Tätigkeit.
Der neben der stationären und ambulanten Versorgung als dritte Säule des Gesundheitssystems bezeichnete ÖGD verbindet alles, was das Herz von Public Health-Enthusiast:innen höherschlagen lässt. Wer sich für das Gesundheitssystem interessiert und für Gesundheitspolitik sowie für multidisziplinäre Fragestellungen begeistern lässt; wer in Teams mit unterschiedlichen Berufen zusammenarbeiten will; wer Prävention und Gesundheitsförderung wichtiger findet als im Nachhinein Krankheiten zu behandeln, die man auch hätte verhindern können, sollte aufmerksam weiterlesen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ihr gerade dabei seid, euren Traumberuf zu entdecken.
Der ÖGD ist in Deutschland föderal aufgebaut. Das bedeutet, dass die Bevölkerungsmedizin neben den Bundesbehörden vor allem aus Landesbehörden und kommunalen Gesundheitsämtern besteht. Letztere sind im Rahmen der COVID-19-Pandemie zum ersten Mal in das öffentliche Bewusstsein gerückt, weil man gesehen hat, welche existentielle Rolle die Gesundheitsverwaltung für die Bevölkerung hat. Die mediale Berichterstattung über die Kontaktpersonennachverfolgung wird den vielfältigen Aufgaben im ÖGD aber nicht gerecht. Die Kontaktpersonennachverfolgung bei Infektionskrankheiten ist höchstens nur die Spitze des Eisbergs. In einem Gesundheitsamt gibt es nicht nur die Infektiologie als Fachdisziplin, sondern auch viele andere Bereiche. Alles, was mit der Gesundheit der Bevölkerung zu tun hat, wird in der einen oder anderen Form im ÖGD abgebildet. Je nach Ressourcen des jeweiligen Gesundheitsamts mal mehr, mal weniger. Das Ziel ist dabei immer das gleiche: Krankheiten in der Bevölkerung verhindern sowie Gesundheit erhalten und fördern.
„Die Interdisziplinarität der Teams macht uns aus“
In einem Gesundheitsamt arbeiten die unterschiedlichsten Berufsgruppen zusammen. Ärzt:innen verschiedenster Fachrichtungen – internistisch, pädiatrisch, psychiatrisch, infektiologisch, hygienisch und umweltmedizinisch – bilden mit anderen Berufsgruppen, wie beispielsweise den sozialmedizinischen Assistent:innen, Ingenieur:innen, Hygienefachkräften, Hygienekontrolleur:innen, Gesundheitswissenschaftler:innen, Verwaltungsfachangestellt:innen, Gesundheitsberichterstatter:innen, multidisziplinäre Teams. Alle arbeiten zusammen daran, die vorgeschriebenen Aufgaben zu erledigen und Strategien zu entwickeln, wie man die Gesundheitsprobleme vor Ort lösen kann.
Die Tätigkeiten
Die Aufgaben in einem Gesundheitsamt sind wahnsinnig vielfältig. Zu den gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben gehören beispielsweise die hygienische Begehung und Beratung von Gesundheitseinrichtungen, Schuleingangsuntersuchungen und allgemeine amtsärztliche Untersuchungen. Bei alledem spielt der Beratungsaspekt immer eine sehr fundamentale Rolle, egal ob es sich um STDs, frühkindliche Bildung oder die Unterstützung von Menschen und Familien in Krisen handelt.
Man ist aber auch Teil von Netzwerken, zum Beispiel für die Bekämpfung von multiresistenten Erregern, oder muss konzeptionell arbeiten. Beispielsweise wird im Rahmen der Gesundheitsplanung definiert, welche Probleme die jeweilige Bevölkerung aus gesundheitlicher Sicht hat. Es ist anschließend die Aufgabe des Gesundheitsamts, eine Strategie zu entwickeln, diese den politischen Vorgesetzten vorzustellen, gegebenenfalls ein politisches Votum einzuholen und die Strategie anschließend auch umzusetzen.
Konkretes Beispiel: Durch den Klimawandel werden die Sommer in der jeweiligen Stadt so heiß, dass es zu einer Übersterblichkeit kommt. Was muss kommunal geschehen, um diese hitzebedingte Übersterblichkeit zu reduzieren? Mit welchen Stakeholdern muss man hierfür zusammenarbeiten?
Man gestaltet im ÖGD also immer die lokale Gesundheitspolitik mit oder setzt sie selbst um. So viel Einfluss auf die praktische Politik wird man als Arzt/Ärztin in keinem anderen Bereich vorfinden.
Die Weiterbildung zum/zur Mediziner:in im ÖGD
Viele Wege führen in den ÖGD. Deshalb sollte man sich überlegen, was das eigene berufliche Ziel ist. Möchte man eher in einer Fachabteilung arbeiten und sich auf bestimmte Themen spezialisieren (Infektiologie und Hygiene, Umweltmedizin, Kinder- und Jugendgesundheit, Sozialpsychiatrie, medizinische Begutachtung etc.) oder ist es wichtig, alle Facetten der Gesundheit im Rahmen der Gesundheitsplanung und Politikberatung zu vereinen? Für Ersteres sind entsprechende berufliche Erfahrungen oder auch bereits absolvierte Facharztweiterbildungen nützlich. Für letzteres kommt der/die „Public Health-Facharzt/Fachärztin“ ins Spiel.
Offiziell heißt diese Facharztweiterbildung „Öffentliches Gesundheitswesen“. Man kann sie im Rahmen von speziellen Traineeprogrammen direkt nach dem Studium in wenigen Gesundheitsämtern in Deutschland absolvieren, oder auch nachträglich erwerben. Dann darf man sich Bevölkerungsmediziner:in nennen und ist Expert:in für die Gesundheit der Bevölkerung sowie die Schnittstelle zwischen Politik und Fach. Mit dieser Facharztweiterbildung kann man dann auch die Behördenleitung eines Gesundheitsamts übernehmen. Damit ist man erste:r Ansprechpartner:in für die kommunale Politik und hat den Hut bei der Gesundheitsplanung auf. Gleichzeitig trägt man die Verantwortung für die Gesundheit von mehreren zehn- bis hunderttausend Menschen gleichzeitig. Leicht ist dieser Job deshalb nicht und verlangt eine Vielzahl von medizinischen, aber eben auch nicht-medizinischen Kompetenzen ab. Wer mit Politik, Jura, Kommunikation und Netzwerkarbeit nichts anfangen kann, ist im ÖGD fehl am Platz.
Die Arbeit im ÖGD ist aufgrund ihrer Vielfältigkeit sehr erfüllend. Weil die Aufgaben andere sind als in der Klinik oder Praxis, lernt man alle Faktoren kennen, die die menschliche Gesundheit beeinflussen. Das Arbeitsklima ist wertschätzend und fördernd, was im absoluten Kontrast zum Klinikalltag steht. Die Arbeitszeiten sind human und familienfreundlich, aber auch sehr flexibel. Je nach Arbeitgeber:in besteht die Möglichkeit auf eine Verbeamtung, was für die eine oder andere Person einen zusätzlichen Reiz darstellen kann.
Man lernt nie aus
Die persönliche Entwicklung ist im ÖGD aber der größte Mehrwert der Arbeit. Mit der Zeit lernt man, wie Gesundheit und die gesamte Gesundheitsinfrastruktur miteinander verbunden sind und wie multidimensional die menschliche Gesundheit ist. Diesen ganzheitlichen Blick kann die kurative Individualmedizin nicht geben. Dieser Perspektivwechsel hat mich im Laufe meiner Facharztweiterbildung sehr geprägt. Ich freue mich jeden Tag auf meine Arbeit, weil ich weiß, dass jeder Tag anders sein wird und ich etwas Gutes für die Bevölkerung tue. Meine Entscheidung, trotz der Verwirrung meiner Kommiliton:innen („Arzt in der Behörde? Echt jetzt?!“) meinen Werdegang im ÖGD einzuschlagen und einen Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen zu machen, war eine der besten Entscheidung meines Berufslebens.
Ich hoffe, dass spätestens nach der COVID-19-Pandemie mehr junge Mediziner:innen auf den ÖGD aufmerksam werden und ihn nicht wieder vergessen. Wir brauchen nämlich dringend Nachwuchs, weil sich die universitäre Ausbildung bis heute nicht sonderlich für die Bevölkerungsmedizin interessiert. Bis dahin gibt es viel zu tun, damit alle Studierenden völlig selbstverständlich in den Vorlesungen auch die Bevölkerungsmedizin kennenlernen. Wenn es dann soweit ist und mehr Ärztinnen und Ärzte ihren Weg in den ÖGD finden, freue ich mich auf eine neue Generation von jungen Kolleg:innen.
Özden Doğan ist Arzt in Weiterbildung zum Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen im Gesundheitsamt Frankfurt am Main. Er studierte Humanmedizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Er ist Mitglied im Nachwuchsnetzwerk Öffentliche Gesundheit (NÖG).
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