Nicht nur bei Crashtest-Dummys wird nur der männliche Körper als Standard gesetzt und Sicherheitsprozesse ausschließlich auf diesen optimiert: Auch in der Medizin wird nicht zwischen den klar belegten Unterschieden zwischen den Geschlechtern differenziert. Ein echter Fehler, findet Dr. Franziska Rubin, die zuletzt „Die bessere Medizin für Frauen“ im Knaur-Verlag veröffentlichte.
Dr. Rubin, warum benötigen Frauen eine bessere Medizin?
Die wenigsten Medikamente oder medizinischen Verfahren wurden wirklich unter Berücksichtigung der Geschlechterunterschiede getestet. In der Medizin, insbesondere der Entwicklung ist „Mensch“ oft gleich „Mann“. Das bringt einen großen Nachteil für Frauen mit sich. Es heißt also, den kleinen Unterschied bei Diagnostik und Therapie mehr zu bedenken, zu erforschen und zu lehren. Wir brauchen eine individualisiertere Medizin und eine mit mehr komplementären Verfahren. Frauen sind diesen besonders aufgeschlossen und wenden sie gerne und erfolgreich an, wenn sie angeleitet werden.
Was war Ihr persönlicher Moment, in dem Sie sich diesem Thema verschrieben haben?
Bei den weltweiten Recherchen viel auf, dass die Gendermedizin in anderen Ländern ernster genommen wird als bei uns. Das ist doch komisch und unfair, wir sollten viel gleichberechtigter sein und haben ja hierzulande auch durchaus die Möglichkeiten, zu forschen und lehren.
Ein medizinisches Thema, das vor allem junge Frauen kürzlich bewegte, ist die Pille. Seit Jahren hätten hier keine Weiterentwicklungen stattgefunden und das medizinische Verhütungssystem beruhe immer noch darauf, Frauen einzuschränken, wohingegen Männer frei blieben.
Es ist wirklich schade, dass die Pille immer noch für viele als beste Lösung erscheinen muss – rein aus Mangel an Alternativen. Die Pille ist insbesondere in Kombination mit Rauchen und Übergewicht ein wichtiger Risikofaktor für Schlaganfall und Herzinfarkt, also gesundheitlich nicht ohne. Das einfach mal so auf die Frauen abzuwälzen, weil Mann zu faul ist, sich ein Gummi drüber zu ziehen, ist einfach unfair.
Mit Empfehlungen wie der TCM oder Naturheilkunde machen Sie sich sicherlich nicht nur Freunde unter den Kolleg:innen. Wieso sprechen Sie sie dennoch aus und welche Vorteile sehen Sie darin speziell für Frauen?
Frauen wenden komplementäre Medizin gerne an, wenn sie merken, der kleine Aufwand lohnt sich. Besonders bei Kindern machen viele Frauen die Erfahrung, dass es gut funktioniert und sie weniger Zeit beim Arzt verbringen. Vielleicht sprechen Frauen auch deshalb besser an auf ergänzende Verfahren. Ich verstehe die meisten Ressentiments gar nicht. Insbesondere die europäische Naturheilkunde hat hier, eine so lange Tradition und ist mittlerweile sogar gut untersucht. Viele Ärzte wenden mittlerweile Verfahren wie Neuraltherapie, Akupunktur u.v.m. an und bieten den Patienten damit wertvolle Ergänzungen oder Alternativen. In der besseren Medizin für Frauen beschreibe ich zu jedem Krankheitsbild meine Favoriten aus der Komplementärmedizin.
Wie wählt man sich als Frau einen Arzt/Ärztin aus, der/die passt?
Sich umhören und auf das eigene Gefühl achten.
Ab wann rechnen Sie damit, dass Gendermedizin Aufnahme in den Lehrplan an Universitäten oder in den Alltag von Kliniken findet?
Meines Wissens wurde schon reagiert und Gendermedizin steht ab 2024 im Lehrplan. Aber vermutlich wie die Naturheilkunde vor 30 Jahren mit vier ganzen Fragen. Ein Anfang ist gemacht aber wir brauchen viel mehr Awareness und Energie, damit diese Ungerechtigkeit endlich aufhört!